Der argentinische Künstler Adrián Villar Rojas hat das Kunsthaus Bregenz in einem extraorbitanten Kraftakt in ein tiefgehendes Gesamtkunstwerk verwandelt. Dabei zeichnet er unbewusst bewusst die christliche (Heils-)Geschichte der westlichen Kultur nach.

Wolfgang Ölz

Es ist bereits festgehalten worden, dass der 37-jährige Südamerikaner in der aktuellen Schau im Kunsthaus die Grenzen des Möglichen völlig ausreizt, wenn nicht sogar ein wenig überschritten hat.
Und wirklich: Villar Rojas lässt eines der wohl bedeutendsten Kunstwerke der Renaissance bzw. der Kunstgeschichte - die „Madonna del Parto“ von Piero della Francesca (ca. 1455-1465) - von Bühnenbildmalern auf nahezu die gesamte Grundfläche des Kunsthauses vergrößert abmalen und auf den Boden des Erdgeschosses des Kunsthauses legen. Für den ersten Stock hat Villar ­Rojas mehrere tonnenschwere LKW-Ladungen marokkanischen Marmors anliefern lassen, die von 500 Millionen Jahre alten Fossilien überwuchert sind. Im zweiten Stock im Halbdunkel dann eine riesige Kopie des Antikriegsbildes „Guernica“ von Pablo Picasso vor einem elf Meter langen Feuer und einer Sitzgruppe für Hünen. Im dritten Stock im Zentrum eine überdimensionierte Version der Beine Davids von Michelangelo, auf die vier Rampen zulaufen. Der gesamte David würde die Decke des Kunsthauses durchstoßen.

Kirche?
Adrián Villar Rojas ist ein Nomade des globalisierten Kunstbetriebes. Ohne festes Atelier jettet er unablässig mit seinen acht Mitarbeitern um die Welt, um dem Ruf seines Namens, der im elitären Kunstgeschäft einer Spitzenmarke gleichkommt, gerecht zu werden. Denn Künstler seiner Liga stehen unter einem immensen Druck. Dabei versprüht er bei der Pressekonferenz in Bregenz mit seiner Kapuzenjacke etwas Franziskanisches. Und nicht nur das - mit juveniler Frechheit sagt er vom Kunsthaus Bregenz: „This is a church“ - „Das ist eine Kirche“. KUB-Direktor Thomas Trummer und Kurator Rudolf Sagmeister bezeichnet er als die Mönche dieses Kunsttempels. Rudolf Sagmeister, der offenbar eine ziemlich aufreibende Arbeitsphase mit dem argentinischen Superstar, der in seiner frühen Jugend schon als Wunderkind galt, hinter sich hat, sagt wiederum, dass Villar Rojas etwas „von einem Seher, von einem Propheten, ja sogar von Johannes, dem Lieblingsjünger des Herrn“ habe.  Natürlich ist hier (Selbst-)Ironie im Spiel, und doch verfügt diese Ironie klar über Scharf- und Hintersinn.

Größe!
Nun folgt eine der möglichen Interpretationen der Schau: Seine vier großen ­Ausstellungen 2017 in New York, Los Angeles, Athen und Bregenz nennt ­Villar ­Rojas insgesamt „The Theater of Disappearance“, ein Theater des Verschwindens. Interessant ist, dass - bei allem Verschwinden - die Leerstellen bleiben. Das gibt seiner Kunst echte Größe. Die mystisch blickende Muttergottes im Erdgeschoss birgt den Heiland. Oder geht sie etwa mit Unheil schwanger, wenn man die folgenden Stockwerke mitbedenkt? Gleichzeitig symbolisiert diese Madonna den Grund unserer Zivilisation, den ­Boden, auf dem wir stehen. Dann folgen im ersten Stock die Marmorblöcke aus Marokko mit versteinerten Zeugen der Evolution. Paradiesische Heilsgeschichte versus wissenschaftlich belegte Evolution? Eine Ambiguität, die es auszuhalten gilt. Dann folgt im zweiten Stock das menschliche Golgota, wie es Picasso sah. Vor dem flackernden Feuer riesige leere Stühle, eine schaurige Kaminszene. Welcher (Un-)Mensch kann sich auf diese Sessel fläzen, während andere gequält und getötet werden? Im dritten Stock dann die Apotheose der Leerstelle. Was für einen ­Gesichtsausdruck hat dieser David, von dem nur die Beine zu sehen sind? Zynisch? Blasiert? Kitschig verklärt? Oder weltfremd entrückt? Jedenfalls wird hier unbewusst bewusst die christliche Heilsbewegung nachgezeichnet: Jesus Christus vor der Geburt, parallelisiert zu den Altären der Evolution, Golgota in der kriegerischen Gewalt an ­Unschuldigen und zuletzt die Auferstehung. Allerdings: Angesichts der intellektuell gestellten Frage nach dem Leid, der Theodizee, bleibt scheinbar nur die Negation Gottes, die Leere, statt der göttlichen Fülle, die doch nur einen Lidschlag entfernt wäre.

Ausstellung

Adrián Villar Rojas:
„The Theater of Disappearance“
Bis 27. August 2017.

Kunsthaus Bregenz, Karl Tizian Platz
Informationen: T 05574 48594

www.kunsthaus-bregenz.at

(aus dem KirchenBlatt Nr. 20 vom 18. Mai 2017)