Das Kunsthaus Bregenz zeigt mit Rachel Rose einen Shootingstar der globalen Kunstszene. Ihre Videoarbeiten sind von herausragender Qualität, die sinnliche Wahrnehmung in philosophische Dimensionen weitet.

Wolfgang Ölz 

Die US-Amerikanerin Rachel Rose (Jahrgang 1986) hat in den letzten Jahren einen kometenhaften Aufstieg in der internationalen Kunstszene hingelegt. Die New York Times schrieb etwa: „Die Kunstwelt sucht immer das nächste große Ding und jetzt scheinen die Videoinstallationen von Rachel Rose dieses nächste Ding zu sein.“ Heute hat die selbstbewusste junge Frau, die Jugendlichkeit mit höchster Professionalität verbindet, ein Atelier an der Lower East Side in New York und arbeitet dort an ihren präzisen, gewaltigen, bahnbrechenden Videos jeweils ca. ein Jahr lang. 

Absurde Kameraführung
Im Kunsthaus Bregenz sind nun auf drei Stockwerken jeweils ca. zehnminütige Videoarbeiten von Rachel Rose zu sehen. In „Palisades in Palisades“ verschränkt Rose die Gegenwart einer jungen Frau in einem Park in New Jersey mit der Vergangenheit eben dieses Ortes, der Schauplatz einer blutigen Schlacht im Amerikanischen Unabhängigkeitskrieg war. Die Kamera fährt dabei etwa von einer großen Aufnahme des Parks auf den Ausschnitt der jungen Frau zu, und vergrößert so stark, bis die Struktur des gestrickten blauen Pullovers sich in abstrakte Formen auflöst. Diese hyperrealistische Auflösung des Dokumentarischen lässt die konventionelle Kameraarbeit ins Absurde kippen.

Transzendentes Gefühl
Im zweiten Stockwerk befindet sich eine weitere großformatige Videoinstallation mit dem Titel „Everything and More“. Hier setzt Rose einen NASA-Astronauten in Szene, der von seinen völlig neuen Sinneseindrücken berichtet, nachdem er von einer Raumfahrt auf die Erde zurückgekommen ist. Kombiniert mit einem Popsong, entsteht laut den Museumsmachern „ein Gefühl der Transzendenz“. Es werden „Tauchgänge in die Tiefen der Wahrnehmung“ ermöglicht, wie das Kunsthausdirektor Thomas Trummer ausdrückt. Indem die scheinbar selbstverständliche Wahrnehmung der Schwerkraft ausgesetzt wird, entsteht ein neuer Raum, der Fragen nach der menschlichen Existenz in philosophische Dimensionen öffnet.

Im Tod zählt die Liebe
Im dritten Stock des Kunsthauses findet sich eine weitere filmische Arbeit mit dem Titel „A Minute Ago“. Darin kombiniert Rachel Rose eine friedliche Strandszene, die durch einen Hurrikan in eine Katastrophe ausartet, mit einem zehn Jahre alten Interview mit dem damals knapp 90 Jahre alten Philip Johnson, einer Legende der modernen Architektur. Johnson wandelt erklärend durch sein eigenes Haus, allerdings dermaßen verschwommen, dass er mehr an eine Spukgestalt, denn an einen leibhaftigen Menschen erinnert. Hier stellt die scharf denkende Künstlerin den Begriff, den die Menschen sich  von der  „Zeit“  gemacht haben, in Frage. Ist die Zeit eine Insel von einer Minute? Was macht es für einen Unterschied, ob das Schönwetter vor einer Minute oder im letzten Jahrhundert geendet hat? Eine Schlüsselsequenz im Video „A Minute Ago“ ist der Wortwechsel eines Paares, das in diese hurrikanartige Katastrophe gerät. Der Dialog lautet übersetzt: „Wenn ich sterbe, wisse, dass ich dich liebe.“ Antwort: „Ich liebe Dich auch.“ Auch wenn es ein Liebesschwur ist, der in Hollywoodfilmen ein Klischee darstellt, es ist die Liebe, die im Angesicht des Todes einzig zählt.

Ausstellung

Kunsthaus Bregenz, Rachel Rose
bis 17. April 2017
T 05574 485 94,
www.kunsthaus-bregenz.at 

Wolfgang ÖlzNachgedacht

von Wolfgang Ölz

Künstler sind Menschen die überzeugt sind, dass das, was sie selbst empfinden, bedeutsam ist. Darin sind sie den Gläubigen sehr verwandt. Auch der spirituelle Mensch weiß, dass das, was er fühlt, was sich in seinem Herzen regt, große Relevanz hat, weil  er mitunter die Stimme Gottes hören kann. Die Künstlerin Rachel Rose sagt von sich, dass ein alltägliches, unterschwelliges Gefühl für sie oft der Ausgangspunkt eines Kunstwerkes darstellt. Wenn sie sagt „I am interested in - Ich interessiere mich für“, dann ist das genau dieses künstlerische Interesse, das dem gläubigen Vertrauen so ähnlich ist.

Bemerkenswert ist auch ein Bild von Rachel Rose im Erdgeschoss. In Herzform hat sie den Kampf der Engel mit dem Teufel dargestellt. Kurator Rudolf Sagmeister dazu: „Sie stellt die Guten und die Bösen dar, und der Mensch hat die Möglichkeit sich (in seinem Herzen) zwischen Gut und Böse zu entscheiden.“

Rachel Rose vergleicht das Raumgefühl im Kunsthaus Bregenz übrigens mit der Atmosphäre einer Kathedrale. Wie in einer Kirche dringt von außen nur das reine Licht in den Innenraum, der ansonsten von Stille geflutet wird. 

(aus dem KirchenBlatt Nr. 6 vom 9. Februar 2017)