In seinem Buch „Abschied ohne Ende“ hat Wolfgang Hermann 2012 den Tod seines Sohnes bearbeitet. Als der aus Vorarlberg stammende Autor es fertig geschrieben hatte, spürte er ein großes Aufatmen, und das Gefühl, eine wesentliche Aufgabe erfüllt zu haben, stellte sich ein. Das Schreiben hat für Hermann keine therapeutische Wirkung, weil die seelischen Wunden bleiben. Was ihn aber froh macht: Die Übersetzungen zeigen, dass Menschen aller Kulturkreise diese Gefühle teilen können.

Wolfgang Ölz

Nach der Verzweiflung über den Tod seines Sohnes hat Wolfgang Hermann zu einer heiteren Gelassenheit gefunden, in der der Schmerz einen vernünftigen Platz hat. Grund dafür ist auch seine Romanfigur „Herr Faustini“, die viel mehr ist als ein literarisches Alter Ego. „Faustini sieht die alltäglichen Dinge, als sähe er sie zum ersten Mal“, so Hermann. „Es ist überhaupt ein Mittel beim Schreiben, die Dinge wie mit einer Lupe, wie mit einem optischen Gerät neu zu sehen. Ich stelle die Romanfigur in ihrer Unschuld dar, als ob sie das erste Mal auf die Erde käme. Das gibt Faustini so etwas Jungenhaftes.“
Wolfgang Hermann nimmt Dinge aus dem Leben und verfremdet sie gleichzeitig, er bricht sie wie in einem Kaleidoskop: „Die Dinge des Lebens sind ja oft sprachlos, und wenn ich versuche, sie zu versprachlichen, dann mache ich etwas Neues aus ihnen. Und ich erfinde natürlich auch.“

Die Suche nach dem Licht 
In „Abschied ohne Ende“ fand Wolfgang Hermann einen Weg, den jahrelangen, sprachlosen Schmerz um seinen jung verstorbenen Sohn zur Sprache zu bringen. Erst nach zwölf, dreizehn Jahren habe er sich in diesen Strom des Schmerzes hineinfallen lassen und dieses Buch schreiben können. In Wirklichkeit sei alles noch viel trauriger als in der Erzählung gewesen: „Es beginnt mit der Katastrophe und dreht dann immer mehr auf die Suche nach dem Licht und nach der Hoffnung.“ Im Buch ist es die ehemalige Freundin des Sohnes, die dem Erzähler als Vertreterin der jungen Generation hilft, wieder eine hellere Zukunft ins Auge fassen zu können.
Es war Hermann wichtig, kein negatives, schwarzes Buch des Jammerns zu schreiben - frei nach dem Motto: Wie arm bin ich doch. Er wollte vielmehr die literarische Figur des Fabius ins Zentrum stellen, und sich ausgehend von ihm auf die Suche nach dem Licht machen.

An einer Stelle der Erzählung wird der verstorbene Sohn beschrieben, „wie er langsam einem Licht entgegenschwebte“. Die Lichtmetaphorik ist für Hermann bedeutsam, auch wenn er sagt, dass er letztlich „nichts weiß“. Er wusste jedoch: Irgendwann muss er aus der Schwärze der Erfahrung des Todes heraus dem Sohn in irgendeiner Form ein Denkmal setzen. Da habe ihm dieses innere Bild vom Licht geholfen, die  Verzweiflung zu überwinden.
Der Ich-Erzähler in „Abschied ohne Ende“ erfährt Trost auch durch die Literatur, im konkreten Fall durch den „Spaziergänger“ von Robert Walser.  Hermann dazu: „Es ist nicht die Sprache der Ratgeber, sondern die tiefe Schichten der Seele ansprechende Sprache der Dichtung, die dem Erzähler Trost schenken kann.“

Wenn das Allerliebste stirbt 
„Wenn einem das Allerliebste durch den Tod genommen wird, dann ist das mit keinem materiellen Verlust vergleichbar, dann kommt man an einen gewissen Punkt, wo alles in Asche zerfällt“, sagt Hermann. Das Bild von Hiob, die alttestamentarische Geschichte von der Prüfung, ist im Buch ein Bild für die Erfahrung jeden Menschens. Jeder Mensch wird geprüft und muss lernen, die wichtigsten Dinge loszulassen. Auch ein Spitzensportler, der mit 25 Jahren querschnittgelähmt wird, muss auf bittere Weise lernen trotzdem weiterzuleben.

Ohne Hilfe verloren
In der Erzählung erfährt der Ich-Erzähler Hilfe von anderen Menschen, etwa von einem Christian und einer Anna. Wolfgang Hermann: „Ohne die Hilfe eines anderen ist man verloren. Wenn so eine Katastrophe passiert, ist es schlimm, dass sich das Umfeld zurückzieht. Da zeigt sich, welcher Freund stark genug und trotzdem da ist. Dann spürt man, wer wirklich als ein Freund zu einem hält. Viele denken sich, mein Leben ist schon kompliziert genug, das muss ich mir nicht auch noch antun. Viele meinen, das halte ich jetzt nicht aus, ich melde mich dann, wenn es ihm besser geht.“

Lösen
Durch den Tod des Sohnes hat Hermann auch gelernt, seine Rettung in Lustigem zu finden. Die „Begegnung“ mit Herrn Faustini hat eine jahrelange Schreibhemmung gelöst. Hermann sagt: „Immer wieder gibt es einen ‚Wechsel der Töne‘, wie das Hölderlin nennt, vom Lyrischen zum Komischen, vom Elegischen zum Ethischen, vom Melancholischen zum Leichtfüßigen.“

Der Autor Wolfgang Hermann

Hölderlin, Herr Faustini und ein Leben für die Literatur

Wolfgang HermannWolfgang Hermann (geboren 1961 in Bregenz) studierte in Wien Philosophie und Germanistik und promovierte über Hölderlin. Auch heute noch findet er etwa in der Literatur der Frühromantik ein „weites Licht“. Hölderlin zu lesen, gibt ihm das Gefühl, dass „es heller wird im Raum“. 

Ein freier Schriftsteller
Hermann ist früh als Lyriker hervorgetreten. Seine ausgedehnten Studienreisen und mehrjährigen Aufenthalte in Berlin, Paris und Tokio schlagen sich in seinen Texten nieder. Nach dem Tod seines Sohnes entdeckte er „Herrn Faustini“, seine zentrale Romanfigur. Erst nach vielen Jahren konnte er das Sterben seines Kindes in der Erzählung „Abschied ohne Ende“ verarbeiten.  

Momentane Projekte
Diesen Sommer ist Hermanns vierter „Faustini“-Roman erschienen: „Herr Faustini bleibt zu Hause“. Wolfgang Hermann schreibt zur Zeit an seinem fünften Buch über Faustini, „das noch übermütiger werden soll“, wie er sagt. Außerdem in Arbeit sind eine Erzählung mit dem Titel „Lichtgeher“ und  ein Roman über Dornbirn in den 1970er-Jahren mit dem Titel „Walter oder die ganze Welt“.

(aus dem KirchenBlatt Nr. 43 vom 27. Oktober 2016)