Teil 6 von 7 der Fastenzeit-Serie "mehr oder weniger" mit Ordensleuten - diesmal mit P. Paul Weingartner OCD.

Fasten-Logo Mehr oder weniger  Fastenserie 2014

P. Paul Weingartner OCDP. Paul Weingartner OCD
wurde 1958 in Eberstalzell geboren. Nach einer Ausbildung zum Karosseriespengler trat er 1984 in den Teresianischen Karmel in Wien ein – und studierte Theologie. 1991 wurde P. Paul Weingartner zum Priester geweiht. Nach Studien in Rom war er in der Verkündigung und Seelsorge tätig. Er ist Provinzial des Karmelitenordens. Die Bezeichnung „Teresianischer Karmel“ geht auf die Gründerin Teresa von Avila zurück.
In Österreich hat der Orden vier Brüderkonvente, nämlich in Wien, Linz, Graz und Innsbruck.

Was unter Menschen eine gute Beziehung fördert, gilt auch in der Beziehung mit Gott. Beten ist eine „innere Aufmerksamkeit“, in der sich Klarheit finden lässt.

Das Gespräch mit P. Paul Weingartner (Provinzial der Karmeliten in Österreich) führte Matthäus Fellinger.

Sie gehören einem Orden an, in dem das Gebet ganz wichtig ist. Beten – was ist das?
P. Paul Weingartner: Über das Beten rede und schreibe ich nur mit großer Zurückhaltung. Handelt es sich doch um ein sehr sensibles, persönliches und großes Thema. Wer kann schon die Beziehung Gott – Mensch einigermaßen zutreffend und konkret zur Sprache bringen? Für den Verstand ist unsere Verbundenheit mit dem verborgen gegenwärtigen Gott zu geheimnisvoll.
Doch möchte ich alles tun, um Gott und uns Menschen möglichst gut zu verstehen. Dadurch kann das Zusammenwirken besser gelingen. Die Heilige Schrift bietet mir eine Fülle von geerdeten Schilderungen, durch die ich meinen Alltag besser begreifen kann.

Was bedeutet Ihnen persönlich dabei die Heilige Schrift?
P. Paul: Im Neuen Testament habe ich kon-krete Antworten und Erklärungen für meine unzähligen Fragen als Jugendlicher gefunden. Deshalb ist es mein Lieblingsbuch geworden und geblieben. Mir wird immer klarer, dass es keine menschliche Eigenschaft und Verhaltensweise gibt, die uns nicht auch in der Bibel begegnet.
Mein Denken über Gott – und somit mein Beten – wird wesentlich aus der Heiligen Schrift und aus Quellen, die aus dem Wort Gottes leben, inspiriert. Ich denke dabei an die Gemeinschaft der Kirche, an Begegnungen mit betenden Menschen, an gute Literatur und natürlich an die eigene Erfahrung.

Gibt es nicht auch ein Beten ohne Heilige Schrift?
P. Paul: Ja, natürlich gibt es das. Viele Menschen müssen und wollen ohne sie leben und beten. Diese haben auf andere Weise von der unendlichen Liebe Gottes zu ihnen gehört. Aber müssen wir nicht versuchen, alles über Gott zu erfahren, was er selbst schon über sich gesagt hat? Ich jedenfalls möchte über Gott alles wissen, was ich erfassen soll und kann. Wir sind außerordentlich privilegiert, denn wir haben innerhalb der Kirche sehr viele spirituelle Schätze und Kostbarkeiten aus allen Jahrhunderten. Diese machen uns für das gelungene Zusammenwirken Gott – Mensch sensibel. Ein geistlicher Grundsatz lautet, dass wir durch die Gotteserkenntnis zur Selbsterkenntnis finden. Je mehr wir uns in Gott einfühlen, desto tiefer können wir e­rahnen, wer wir als seine Kinder sind.

Kann man durch Beten Gott kennenlernen?
P. Paul: Absolut! Vorausgesetzt aber, dass es sich nicht um ein Plappern handelt. Gutes Beten räumt dem Hören einen besonders großen Stellenwert ein: „Hört, dann werdet ihr leben!“ (Jes 55). Nur durch das hörende Herz – und niemals aus der Distanz oder der Theorie – können wir uns in den anderen einfühlen, sei es nun ein Mensch oder Gott.
Was unter uns Menschen das Kennenlernen und die tiefe Verbundenheit fördert, gilt auch in der Freundschaft mit Jesus: Interesse, Zeit und der Entschluss, sich selbst ganz einzubringen. In jeder Beziehung wächst die Tiefe und Intensität primär durch das innere Engagement. Genau deshalb spricht die Kirchenlehrerin Teresa von Avila ausdrücklich vom „inneren Beten“. In ihren Schriften gibt sie auch den Hinweis: „Inneres Beten und Bequemlichkeit gehen nicht zusammen.“ Obwohl die innere Aufmerksamkeit nicht immer bequem ist, entscheidet sie über die Qualität der Gottesbeziehung, somit des Gebetes. Die liebende Aufmerksamkeit unter Freunden ist für Teresa sehr bedeutend: „Meiner Meinung nach ist inneres Beten nichts anderes als Verweilen bei einem Freund, mit dem wir oft allein zusammenkommen, einfach um bei ihm zu sein, weil wir sicher sind, dass er uns liebt.“

Wie viel Beten braucht ein Mensch?  
P. Paul: Darauf antworte ich gerne mit der Frage: Wie viel Beziehung braucht eine Ehe oder eine Freundschaft? Beten bedeutet für mich, gerne und in Freude die fundamentalste Beziehung zu pflegen und zu vertiefen.
Madeleine Delbrêl meint: „Das erste Gebot lautet nicht, du sollst beten, sondern: Du sollst lieben! Damit wir aber lieben können, müssen wir beten.“ Das Wort Jesu: „Betet ­allezeit!“, will uns sagen: „Seid ständig in tiefer Gemeinschaft mit Gott!“ Er möchte, dass wir erkennen, woher uns ständig Leben zufließt. Ich denke an den Vergleich Jesu, dass er Weinstock ist und wir seine Reben sind.

Gilt also: Wer nicht betet, ist kein Christ? Manche sagen aber, sie können es nicht.
P. Paul: Grundsätzlich gilt, dass der Mensch durch Christus in ihm zum Christen wird. Also ist es die Gemeinschaft mit Jesus, die den Christen ausmacht. Hat ein Mensch den Willen, die Lebensweise Jesu anzustreben, hält er sich bereits für Gott offen. „Die Sehnsucht betet stets, auch wenn die Lippen schweigen“, sagt der hl. Augustinus. Ob es sich nun um ein Nicht-Beten-Können aufgrund seelischer Verfassung handelt oder ob vielbeschäftigte berufstätige Eltern keine Ruhe zum Beten finden: Gott wirkt mit denen zusammen, die auf ihn vertrauen wollen. Auch wenn es nicht gefühlt und gesehen werden kann. Die Sehnsucht ist ja auch das Tor des Heiligen Geistes. So können Menschen mit gutem Willen beruhigt auf das verborgene Mitwirken des nicht fühlbar gegenwärtigen Gottes vertrauen.

Ist persönliches oder gemeinsames Beten wertvoller?
P. Paul: Einerseits rät Jesus, in der Verborgenheit einer Kammer zu beten, anderseits sagt er: „Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ­ihnen.“ Ob nun alleine oder in Gemeinschaft, Ziel ist immer die persönliche Hinwendung der Einzelnen zu Gott. Wir können damit rechnen, dass alles, was in der Tiefe der Seele „hinter verschlossenen Türen“ geschieht, sich als Frucht in der Öffentlichkeit zeigen wird. So spricht Lukas davon, dass Barnabas bei seinem Besuch in Antiochien die Gnade Gottes sehen konnte (Apg 11).

Welche persönliche Gebetsart ist nun die beste?
P. Paul: Da halte ich mich an die hl. Teresa, die sinngemäß rät: „Wähle jene Gebetsform, durch welche deine Liebe am meisten gemehrt wird.“ Dabei lässt sie als einzig sicheres Kennzeichen der Liebe zu Gott nur die Liebe zu den Nächsten gelten. Um jede Selbsttäuschung zu vermeiden, möchte ich hinzufügen: Ob wir lieben, können wir nicht selbst beurteilen, da müssen wir andere fragen.

Wie wirkt Beten? Kann man etwas „erbeten“?
P. Paul: Je mehr wir uns der Liebe verpflichtet wissen, desto offener werden unsere ­Augen für die Leiden, Nöte und Ungerechtigkeiten unserer Welt. Ich bin davon überzeugt, dass jedes ehrliche Gebet uns allen, der ganzen Menschheitsfamilie, zum Guten verhilft. Die Freude und Klarheit, die wir in der Freundschaft mit Gott erleben, bewirken in uns wie von selbst eine „jesuanische Sicht- und Lebensweise“, die wir durch menschliches Bemühen allein niemals erreichen könnten.
Ich persönlich bringe in mein Beten immer auch das Anliegen ein, dass Gott mir zeigen möge, worum ich bitten soll. Vorrangig ist die Bitte um den Heiligen Geist, die Gott gerne erfüllt. 

Übung

Durchwandere deine Biografie und schreibe deine bedeutendsten Erlebnisse auf.

Aus welchen Quellen wurde und wird mein Gottesbild inspiriert?

Welche Umstände haben mein Beten erleichtert oder erschwert?

Edith Stein betont die Notwendigkeit, sich den „Anschluss an die geistigen Kraftquellen zu sichern“. Wo erlebe ich meine geistigen Kraftquellen?

Buchhinweis:

Paul Weingartner, Klarheit, die von innen kommt,
Michaverlag 2013
128 Seiten, 39 Abbildungen;
ISBN 978-3-902961-00-6, € 13,90.