Teil 4 der Serie "Mit Matthäus im neuen Kirchenjahr"

Hans Hauervon Hans Hauer
Seelsorger im Dekanat Steyr,
Mitarbeiter im Bibelwerk Linz

Bei den ersten beiden Kapiteln im Matthäusevangelium meinen manche, dass es sich um eine Geburts- oder Kindheitsgeschichte handle. Doch die Geburt ist dem Autor nicht einmal einen Hauptsatz wert.

Von der Kindheit Jesu erfahren wir im Matthäusevangelium nichts, außer dass einer dieses „Kind“ fürchtete, ihm nach dem Leben trachtete und dass das Kind nach der Flucht später aus Ägypten zurückkehrte – gemäß der
Schrift. Der Evangelist will mit seinem Vorwort (Mt 1–2) einen Einstieg geben, hinführen zum Hauptteil und wie bei einer Ouvertüre die wichtigsten Themen anreißen.
Es geht ihm nicht um eine Biographie Jesu oder eine Ahnenforschung – es geht um den „Ursprung“ Jesu und seine „Abstammung“ im tieferen Sinn. Darum ist der einleitende „Stammbaum“ durchkonstruiert und die Erzählung von Josef ein Hinweis auf die „eigentliche Herkunft“ des Nazoräers.

Ein Gerechter

Bei der einleitenden kurzen Schilderung der Situation (Mt 1,18) wird klar, dass sich der Verlobte von Maria in einer sehr misslichen Lage befindet. Denn eine Verlobung war damals ein verbindlicher Rechtsakt, auch wenn die beiden bis zur Hochzeit getrennt lebten. Juristisch lag hier ein Ehebruch vor. Darauf stand theoretisch die Todesstrafe. Um das zu verhindern, zeigt sich Josef als „Gerechter“. Er stellt die Liebe zu Maria und die Bewahrung des Lebens über die wortwörtliche Gesetzeserfüllung. Er vollzieht bereits die größere „Gerechtigkeit“, die später in der „Lehre auf dem Berg“ (Bergpredigt, vgl. Mt 5,20) gefordert wird, denn zur Befolgung der Tora, des Gesetzes Gottes, muss die „Barmherzigkeit“ dazukommen („Selig die Barmherzigen …“). Josef ist als der wahrhaft Gerechte dargestellt, der den tieferen Sinn des Gesetzes erkennt.

Retten und Mitsein
Im anschließenden Traum erhält Josef Ermutigung zum Handeln und Erklärendes für das Geschehen. Josef wird zunächst ermutigt, Maria zu sich zu nehmen. Als Grund wird die „Abstammung“ des Kindes genannt, denn dessen Ursprung liegt durch das Wirken des Geistes in Gott. Mit dem Namen ist ein erster Aspekt der Sendung Jesu genannt: Jeschua, d. h. JHWH rettet/hilft/heilt. Dies zeigt sich in der Vergebung der Sünden, die immer wieder geschehen wird. Der jüdische Autor des Evangeliums unterstreicht diesen Punkt, indem er aufweist, dass dies entsprechend der hebräischen Bibel geschieht. Damit verbunden wird ein zweiter Name: Immanuel, d. h. JHWH ist mit uns. Mit dieser Zusage schließt auch das Evangelium: „Seid gewiss: Ich bin mit euch …“ (Mt 28,20). „Dies alles ist geschehen“ (Mt 1,22), damit sich die Schrift erfüllt und Menschen erfahren: Gott rettet und ER ist mit den Menschen.

Mann der Tat
Der jüdische Autor verweist auf die großen Rettergestalten des Ersten Bundes. Dem gleichnamigen ägyptischen Josef hilft Gott durch Träume und rettet seine Sippe vor dem Hungertod. Später rettet und befreit Gott durch Mose sein Volk aus dem Sklavenhaus, begleitet es und ist mit ihm (Immanuel).

Wenn es in Mt 1,24 heißt, dass Josef nach dem Erwachen den Auftrag Gottes umsetzt, dann ist er kein Träumer, sondern ein „Täter“, ein wahrhaft Gerechter, der Gottes Weisung tut. Denn wer die Worte hört und danach handelt, ist wie „ein kluger Mann, der sein Haus auf Felsen baute“ (Mt 7,24). So ermutigt der Evangelist die Gemeinde, dem Herrn den Weg zu bereiten und die Nähe des Himmelreiches zu erkennen. Josef ist dafür ein ermutigendes Beispiel.

Wenn überhaupt eine „Lenkung“ der Leser/innen durch eine Überschrift sinnvoll ist, dann wäre es wohl zielführender, den Abschnitt nicht mit „Die Geburt Jesu“, sondern mit „Herkunft und Bedeutung Jesu“ zu betiteln.