Die Welt von heute und das Reich Gottes von Msgr. Dr. Hans Fink, Leiter des diözesanen Schulamtes

Die Kirche in Vorarlberg ist vor 40 Jahren in einer sich rapide verändernden Welt 'angetreteten' und hat sich ihrer Aufgabe, im Dienst der Menschen das Heil zu verkündigen, tapfer gestellt. Dr. Hans Fink erläutert im Gespräch mit Dr. Walter Buder die "Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Jünger/innen Christi" (Lumen gentium 1) und skizziert Antworten auf die brennenden Fragen von heute.


Frage: Wie hat sich die Welt in den letzten 40 Jahren verändert?
Dr. Fink: Es hat weltweit große und unerwartete Veränderungen gegeben, deren Bedeutung vielfach noch gar nicht realisiert worden ist. Ich nenne nur: Der Fall der Berliner Mauer, der symbolisch für den Zusammenbruch der kommunistischen Systeme steht. Die Gründung der Europäischen Union, in der 27 Staaten unter einem gemeinsamen Dach wohnen lernen (müssen). Wer hätte das nach den zwei Weltkriegen des letzten Jahrhunderts erwartet? Die Globalisierung, in der die Welt mehr und mehr zu einem Dorf wird. Von den Entwicklungen, die  bis hinein in den Lebensstil der einzelnen Menschen wirken, gar nicht zu reden. Nur das: Der starke Individualismus wirkt besonders in die religiöse Welt. Menschen wählen aus verschiedenen religiösen Traditionen Elemente aus und bauen sich ihre eigene Religion.

Und wie war die Kirche in Vorarlberg vor 40 Jahren ?
1965 war das 2. Vatikanische Konzil zu Ende. Drei Jahre danach sind wir Diözese geworden. Es herrschte damals eine große Aufbruchstimmung: "Der Glücksfall Konzil". Längst notwendige Reformen wurden durchgeführt wie die Verwendung der Muttersprache im Gottesdienst und die aktive Beteiligung aller Mitfeiernden. Es gab einen Aufbruch in der Theologie durch große Theologen wie Karl Rahner, Josef Ratzinger, Hans Küng, Eduard Schillebeeckx. Neue Sichtweisen wie die "Kirche als Volk Gottes" setzten sich durch. Vieles, was heute selbstverständlich ist in der Liturgie, im Umgang mit der Bibel oder der Theologie, war damals neu. Dass es eine "Hierarchie der Wahrheiten" (2) gibt, wie das Konzil festhielt, war für uns damals geradezu revolutionär, aber auch entlastend: Alle Wahrheiten des Glaubens sind selbstverständlich wahr, aber nicht gleich bedeutsam. Oder: Der Umgang mit dem Begriff "Todsünde" oder "schwere Sünde" ist viel differenzierter und vorsichtiger geworden.

Ist die heutige kirchliche Situation anders?
Ja, sie ist anders. In der Aufbruchstimmung sind auch Fehler passiert. Zugegeben. Aber nur wer nichts tut, macht keine Fehler. Bald machten sich restaurative Kräfte bemerkbar, für die das Konzil kein Glücksfall war, sondern eher ein Unglück oder ein Unfall in der Kirche. Die Angst war und ist bei vielen stärker als der Mut, die "Zeichen der Zeit" wahrzunehmen und aus dem Glauben heraus zu antworten oder die notwendigen Konsequenzen zu ziehen. Ein besonderes Problem ist eine immer stärkere Zentralisierung der Kirche in Rom. Sie war in der gesamten Kirchengeschichte noch nie so groß wie derzeit. Das wirkt sich in vielfacher Weise aus, bei Bischofsernennungen oder bei der Bestellung von Theologieprofessoren..

Gibt es noch andere Beispiele ?
Ja, ein ganz heikles: Der Zölibat als Zulassungsbedingung zum Priesteramt. Heute ist das weltweit einheitlich geregelt. Die Verhältnisse sind aber ganz unterschiedlich. In den westlichen Industriestaaten gibt es einen immer größeren Priestermangel und eine immer größere Überalterung des Klerus, auch in unserer Diözese. Pfarren werden zusammengelegt, in Deutschland manchmal bis zu zehn. Ist das eine pastorale Lösung? Könnte oder müsste man nicht bei grundsätzlicher Beibehaltung des Zölibats auch die Möglichkeit eröffnen, dass verheiratete Männer zu Priestern geweiht werden können, die aus einer Gemeinde herauswachsen und dann ehrenamtlich in dieser Gemeinde tätig werden? 

Wie schätzen Sie also die aktuelle Situation ein?
Die Aufbruchstimmung der Nachkonzilszeit ist verschwunden. Die Situation in der Diözese Feldkirch ist nicht besser oder schlechter als im ganzen deutschsprachigen Raum und die Herausforderungen sind mehr oder weniger dieselben. Nach der letzten Volkszählung 2001 sind in Österreich noch 73 Prozent katholisch, in Wien ist die Zahl schon unter die 50 Prozent gesunken, fast eine Million der Österreicher ist ohne religiöses Bekenntnis. Die Zahl der Kirchgänger nimmt von Jahr zu Jahr ab. Der Priestermangel nimmt zu und die Zahl der Pfarren ohne Pfarrer wächst. Wir sind momentan in einem Wellental, aber sehr wahrscheinlich noch nicht ganz unten. Diese Situation ist eine Tatsache,  mit der wir heute leben müssen. Dabei übersehe ich nicht, wie viel an der Basis, in kirchlichen Einrichtungen und Organisationen, Tag für Tag ehrenamtlich geschieht. Immer weniger tun und spenden immer mehr.

Was wird getan oder muss getan werden?
Auf Wunsch von Bischof Elmar wird derzeit das sog. "Pastoralgespräch" vorbereitet, das im nächsten Jahr dann durchgeführt werden soll. Es gilt zunächst realistisch die Situation wahrzunehmen und auch nach (neuen) Wegen in der Pastoral zu suchen. Möglichst Viele, besonders auch an der Basis, sollen in dieses Gespräch miteinbezogen werden. Ein Ziel heißt "Gemeindeentwicklung": Aus eher "versorgten Gemeinden" sollen "sorgende Gemeinden" werden. Fähigkeiten und Charismen der Einzelnen gilt es zu entdecken und zu fördern. So werden sie befähigt, aktiv auf je eigene Weise in der Pastoral mitzuarbeiten. 

Wo liegen da die Stolpersteine?
Einer ist die Vorstellung einer hundertprozentigen, flächendeckenden Versorgung. Ein anderer Stolperstein ist die Vorstellung, dass wir Menschen das Entscheidende tun müssen. In allen "Sachen des Glaubens" aber tut und muss Gott das tun. Und Jesus hat ja auch nicht "allen" die frohe Botschaft verkündet, nicht "alle" Kranken geheilt - nein, in einem kleinen geografischen Raum hat er glaubwürdig Zeichen gesetzt für das Reich Gottes, das aber Gott selber herbei führt. (1)

Worauf wird es letztlich ankommen?
Zumindest in unserer westlichen Welt geht momentan die Entwicklung in Richtung "Minderheit", wie es in der Frühzeit der Kirche war. Ihre Aufgabe ist es, Jesus und sein Evangelium überall in der Welt präsent zu halten und den Menschen so die Möglichkeit der Begegnung und der Nachfolge zu bieten. Dazu braucht es kleinere und größere Gemeinschaften, die aus dem Evangelium leben und so Jesus und seine Sache bezeugen.

Gibt es verbindliche Kennzeichen oder etwas wie eine Basisprogramm, das in die Zukunft führt?
Der Evangelist Lukas beschreibt in der Apostelgeschichte (2,42) die Urgemeinde in Jerusalem, und nennt vier Kennzeichen, die ich gerne "Die vier Säulen des Christentums" nenne: Es ist dies die LEHRE DER APOSTEL, die lebendige Verbindung zu Christus, wie sie uns vor allem durch die Evangelien gegeben ist. Dann die GEMEINSCHAFT - damals mit starker persönlicher Verbundenheit untereinander und der (diakonischen) Sorge, dass kein Mitglied Not leidet. Dann  das BROTBRECHEN, die Feier der Eucharistie, und schließlich das vierte, das GEBET. Dieses Programm, das es zu verwirklichen gilt, ist sehr klar und einfach. Mit seiner Verwirklichung kann jede und jeder schon heute beginnen, ohne zuerst Weisungen und Erlässe "von oben" abwarten zu müssen. Das ist auch der Weg, dass die Kirche "Salz der Erde" und "Licht der Welt" sein kann.

(1) Der Gedanke ist ausgeführt in: Gisbert Greshake Priestersein in dieser Zeit. Würzburg (Echter) 2005. (2) Unitatis redintegratio, Dekret über den Ökumenismus (Nr. 11)

erschienen in der Jubiläumsnummer des Vorarlberger KirchenBlattes Nr. 49 vom 8. Dezember 2008