Einen höchst interessanten Abend bot am vergangenen Samstag die Reihe „Tangenten“ im Theater am Saumarkt in Feldkirch: Ein Ägyptologe und ein Schriftsteller diskutierten über die Sackgassen totalitärer sowie über die befreiende Kraft gewalt-loser Religionen.

Bild: Jan Assmann (li.) im Gespräch mit Michael Köhlmeier im Theater am Saumarkt.

Dietmar Steinmair

Während in der Einführung durch den Veranstalter noch etwas verkürzend von der durchdringenden Rhetorik der Gewalt in der Bibel die Rede war, überraschte Jan Assmann sein Publikum mit zahlreichen differenzierenden Ausführungen zur Weltanschauung der Ägypter sowie zu den ersten fünf Büchern Mose. Die Erklärungen des Professors waren teilweise derart detailliert, dass man sich in eine theologische Universitäts-Vorlesung versetzt wähnte, was manche - vermutlich religionskritische - Zuhörer dann doch zeitweilig unruhig werden ließ.

Gott und Welt 
Assmann berichtete in seinem Impuls-Statement anschaulich von der „anderen Welt“ der Ägypter, denen der Schöpfergott der jüdisch-christlichen Offenbarung schlicht und einfach fremd war. Die Welt war für die Ägypter von innen her entstanden, dementsprechend unterschieden sie auch nicht zwischen Gott und Welt. Auch die Kategorien „wahr/falsch“ oder „treu/untreu“ kümmerten die Ägypter bezüglich ihrer Göttervorstellungen weit weniger als die Israeliten, die sich im Laufe ihrer Geschichte dem Monotheismus zugewandt hatten. Nach diesem muss der Glaube an alles, was nicht der eine, rettende Gott ist, notgedrungen falsch sein. Als die „Revolution in der Antike“ bezeichnete Assmann dennoch den Glauben der Israeliten, dass Gott - symbolisiert durch das „Zelt“ während der Wüstenwanderung und später durch den Tempel in Jerusalem - mitten unter seinem Volk wohnen wollte.

Totale Religion
Carl Schmitt - der Chronist der NS-Diktatur - hatte den Begriff des „totalen Staates“ geprägt und hob die Politik und die Freund/Feind-Unterscheidung über alle anderen Lebensbereiche. Assmann wendet in seinem neuesten Buch - „Totale Religion“ - diesen Begriff nun auf die Religion an. Ein totalitäres Religionsverständnis sei eindeutig in jenen heiligen Schriften Israels zu finden, wo im ersten der zehn Gebote von einem eifersüchtigen Gott die Rede sei, wo nach der Anbetung des goldenen Kalbes Tausende zur Sühne dahingemetzelt wurden, wo die Joschijanische Kultreform 622 v. Chr. zu einer religiösen Säuberung und einer puristischen Verschärfung zugunsten des Monotheismus geführt habe.
Nach eingehendem Studium zahlreicher wissenschaftlicher Werke zum Buch „Exodus“ ist Assmann - der laut eigenen Angaben mit den allermeisten Theolog/innen inhaltlich jedoch nicht übereinstimmt - zu folgender Ansicht gelangt: Exodus und die drei darauffolgenden Bücher der jüdischen Torah zeigten einen exklusivistischen Gott der Gewalt (vgl. die Plagen vor dem Auszug Israels aus Ägypten) und sei eine spätere Erzählung über die Flucht einer Gruppe von Arbeitssklaven aus Ägypten. Die Genesis hingegen präsentiere - besonders in der Josefsgeschichte, die von seiner Länge her seinesgleichen in der Antike suche - einen inklusivistischen, friedfertigen Gott.

Befreiende Kraft 
Bemerkenswert am Gespräch zwischen dem Schriftsteller Köhlmeier und dem Ägyptologen Assmann war, dass beide einem friedensfördernden Gottesbild das Wort redeten. Als Beispiel dienten die Genesis-Erzählung sowie die Lehre Jesu im Neuen Testament. Gerade in totalitären Systemen sei die Religion deshalb immer wieder zu ihrer Hochform aufgelaufen, so Assmann. Er verwies hier auf Mahatma Gandhi sowie - im christlichen Bereich - an die „Bekennende Kirche“ in NS-Deutschland und die friedliche Revolution in der DDR, die vor allem von den Kirchen ausgegangen sei.
Solche „gewaltlose Religion brauchen wir dringend, um der Politik notfalls in den Arm zu fallen“, so der Professor in der Diskussion über das Verhältnis von Religion und Staat. Es sei ihre ewige Aufgabe, denn die Religion, gerade jene von Jesus - die sich als „nicht von dieser Welt“ betrachtet - habe befreienden Charakter. Ein radikaler Monotheismus dagegen ist für Assmann heute im Grunde nicht mehr möglich.

Prof. Jan Assmann

ist Ägyptologe, Religions- sowie Kulturwissenschaftler. Von 1976 bis zu seiner Emeritierung 2003 lehrte er an der Universität Heidelberg. International bekannt wurde er durch den Begriff des „Kulturellen Gedächtnisses“, den er zusammen mit seiner Frau Aleida Assmann entwickelte.

(aus dem KirchenBlatt Nr. 5 vom 2. Februar 2017)