„Erlösung“ ist das vielleicht wichtigste Thema der Schrift und die Mitte Glaubens. Für glaubende Menschen ist zwar klar: Erlösung kommt von Gott. Doch wie kann das alte und beinahe schon verstaubte Wort „Erlösung“ neu gefüllt und belebt werden?

Dietmar Steinmair

Das Herbstsymposion der Katholischen Kirche hat als pastorale Fortbildungsveranstaltung für Religionslehrer/innen und in der Pastoral Tätige Tradition. In diesem Jahr ist die Veranstaltung so stark besucht wie selten zuvor. Man trifft sich gerne zu Beginn des Arbeitsjahres. Viele bekannte Gesichter, aber auch neue sind zu sehen. Am Ende des ersten Symposionstages werden Mitarbeiter/innen in ihre pastoralen Aufgaben entsendet.

Erlösung und Erschöpfung

Das Thema der beiden Tage zielt auf theologische Kernfragen: Was heißt „Erlösung“? Bin ich erlöst? Wenn ja, durch wen? Wie genau hat Jesus Christus die Welt erlöst, so wie es in den Gebeten heißt? Kann auch ich persönlich auf Erlösung, sprich: auf den Himmel hoffen? Wie kann „Erlösung“ gedacht werden in einer Zeit, die vielfach erschöpft - den einzelnen Menschen ebenso wie die Mit- und Umwelt? Und das mit den „Rucksäcken“ einer theologischen Tradition, die einerseits vom Opfergedanken des Kreuzestodes Christi geprägt ist und andererseits vom Himmel als Belohnung für ein moralisch bestmöglich absolviertes Leben.

Osten gegen Westen

Roman Siebenrock, Professor für Systematische Theologie an der Universität Innsbruck, zeichnet in seinem Referat einige Meilensteine im Erlösungsverständnis nach. Wie so oft ist auch hier auf die alte Kirche zu blicken. Die byzantinische Tradition tendiert zur so genannten „Allerlösung“: Gott ist Mensch geworden, damit wir „göttlich“ werden, an Gott teilhaben können. Erlösung geschieht in diesem „wunderbaren Tausch“ der Inkarnation.
Der Westen, geprägt durch das Rechtsdenken des Imperium Romanum, versteht die Beziehung zu Gott eher als Ordnung und tendiert zur „Heilsangst“, so Siebenrock. Die durch die Sünde der Menschen durcheinander geratene Welt muss wieder in Ordnung gebracht werden. Da die (Erb-)Sünde der Menschen übergroß ist, braucht es letztlich Gottes Sohn zur Versöhnung zwischen Gott und Welt. Und da schon der Exodus-Bund im Alten Testament mit Blut besiegelt wurde, legte sich der Gedanke an ein von Gott gefordertes (blutiges) Opfer nahe.
Diese Lehre unterstützte jedoch ein pessimistisches Menschenbild (etwa bei Martin Luther), aus der letztlich eine sehr persönliche und direkte Jesus-Frömmigkeit entstand. Neben dem reformatorischen Pietismus (Konzentration auf das fromme Subjekt) entwickelte sich die katholische Herz-Jesu-Frömmigkeit. Im evangelikal-freikirchlichen Bereich ist dies heute noch stärker in der Konzentration auf „meinen Jesus“. Etwa  so, wie der evangelikale Prediger Euliss Dewey im Film „The Apostle“ (1997) seine Zuhörer emotionalisieren und mitreißen will: „Ich bin auf dem Weg in den Himmel.“

Ich oder alle?

Das Zweite Vatikanische Konzil (1962-1965) rückte auf katholischer Seite die Erlösungsvorstellungen insofern wieder zurecht, indem es lehrt, dass Gott die Menschen nicht als einzelne, sondern die gesamte Menschheit erlösen will (vgl. Konstitution „Lumen gentium“ 1). Diese Lehre ging unter dem Stichwort vom „universalen Heilswillen Gottes“ in die Theologiegeschichte ein.
Die Frage nach den Verwerfungen zwischen Menschen oder ganzen Menschengruppen ist für den Innsbrucker Dogmatiker theologisch ja noch analysierbar. „Gewalt ist kein Name Gottes“, wird Papst Johannes Paul II. im Blick auf den aktuellen IS-Terror zitert. Die über das abendliche Firmament hinausgehende Frage nach dem Sinn des Menschen im Angesicht des unendlichen Kosmos ist für Siebenrock aber kaum zu beantworten: „Wir alle sind nur Nanosekunden-Nichtse.“
Nichtsdestotrotz hat Siebenrock einen konkreten Vorschlag zum Veranstaltungsthema:
Erlösung ist für ihn „Sein aus neuer Beziehung“. Zugrunde liegt die Tora-Regel Jesu: „Liebe Gott und deinen Nächsten, wie dich selbst.“ Weil die Beziehung zwischen Ich und Du geprägt ist von Verwicklungen, Rivalitäten oder Vergötzungen, braucht es eine neue Beziehung. Diese kommt von Gott, einerseits als Angebot der Kindschaft des einen Gottes, die alle Menschen zu Brüdern und Schwestern macht. Andererseits durch den Heiligen Geist, der als Lebensspender die Beziehungen zwischen den Menschen untereinander und der Menschen zu Gott vollende, so Siebenrock.

Erlösung, (k)ein Kinderspiel?

Ein Religionslehrer erzählt im Plenumsgespräch vom Kinderspiel „Versteinern und erlösen“ auf dem Pausenhof: Ein oder zwei Kinder sind Fänger, die anderen dürfen davonlaufen. Die gefangenen und dadurch versteinerten Kinder müssen auf eine freies Kind warten, das sie berührt und somit erlöst. Dann dürfen sie weiterlaufen. Die Beobachtungen dabei: Die Kinder haben ein grundsätzliches Vertrauen darauf, dass sie erlöst werden. Die Befreiung findet unmittelbar, hier und jetzt statt, und wird nicht vage für später versprochen. Und, schließlich, die „Erlösung“ benötigt die Aufmerksamkeit durch einen Befreier.
Als religiöser Befreier schlechthin gilt vielen Menschen Jesus Christus. In einem weiteren Referat auf dem Herbstsymposion sprach die Klinikseelsorgerin und Psychotherapeutin DDr.in Monika Renz über den „Mystiker aus Nazaret“ - vgl. dazu das Interview in der vergangenen KirchenBlatt-Ausgabe.


Die Vorträge zum Nachhören finden sie hier.