Die Angst der syrischen Bevölkerung vor einem möglichen Militärschlag des Westens wächst. Ein Angriff gegen Syrien würde „den Konflikt in der Region nur noch weiter verschärfen“, sagt Otmar Oehring. Es besteht die Gefahr eines Konflikts „zwischen der islamischen Welt und dem – aus islamischer Sicht – christlichen Westen“, so der Menschenrechtsexperte.

Bild rechts: Weltweit gibt es Proteste gegen einen Militärschlag des Westens gegen Syrien - wie bei dieser Demonstration in San Francisco.

zu: Papst Franziskus: "Krieg ist eine Niederlage für die Menschheit"

Oehring OtmarDr. Otmar Oehring
ist Leiter des Auslandsbüros Jordanien und Leiter des Regionalprogramms Golf-Staaten der Konrad-Adenauer-Stiftung.
Er wurde 1955 im deutschen Salgau geboren und wuchs in Ankara auf. In München studierte er Kultur und Geschichte des Nahen Orients und Rechtswissenschaften. Bevor Otmar Oehring 2012 beruflich nach Jordanien wechselte, war er Leiter der Fachstelle für Menschenrechte beim Internationalen Katholischen Missionswerk „missio“ in Aachen/Deutschland. 

Interview: Susanne Huber

Seit 2011 hält der Konflikt in Syrien bereits an. Wie schätzen Sie die Lage derzeit ein? 
Otmar Oehring: Ohne Lösung wird sich der Konflikt in Syrien noch lange hinziehen. Seit dem offenen Eingreifen des Iran und der Hisbollah in die Kampfhandlungen hat sich das Blatt gewendet. Bis zur Schlacht um Qusayr im Frühjahr schien das Regime in die Defensive geraten zu sein. Nun hat man den Eindruck, dass das Regime wieder Boden gewinnt und die oppositionellen Gruppen – nicht zuletzt wegen der Streitigkeiten unter diesen Gruppen – in die Defensive geraten. Für die Zivilbevölkerung ist die Lage in jedem Fall eine Katastrophe. Immer mehr Menschen fliehen aus Syrien in die Nachbarländer – mittlerweile schon mehr als zwei Millionen.

US-Präsident Obama hat sich für einen Militärschlag gegen Syrien entschieden. Welche Folgen und Risiken hätte ein solcher Militärangriff?
Otmar Oehring: Ein Militärschlag – gleich ob er nur drei Tage dauert oder, wie man jetzt hört, 60 Tage – wird die Lage in der Region nur noch weiter verschärfen und auf jeden Fall zu einer Ausweitung des Konflikts ­führen. Zunächst durch die Flüchtlingsströme, die sich dann in die Nachbarstaaten von Syrien ergießen würden, die schon bislang eine gigantische Flüchtlingslast tragen. Im ­Libanon mit seinen 4,5 Millionen Einwohnern leben bald 750.000 syrische Flüchtlinge, in Jordanien mit 6,5 Millionen Einwohnern gut 600.000 Flüchtlinge. Bis zum Jahresende wird in beiden Ländern mit mehr als einer Million Flüchtlingen gerechnet. Man muss sich nur vorstellen, was entsprechend große Flüchtlingsmassen für Deutschland oder Österreich bedeuten würden. Zudem ist zu befürchten, dass sich viele Menschen aus der islamischen Welt durch so einen Angriff aufgerufen fühlen würden, in den Krieg in Syrien zu ziehen.

Was würde das bedeuten?
Otmar Oehring: Bislang war der Konflikt ein Konflikt um die Vormacht in der Region, der zwischen sunnitischen Staaten (vor allem Saudi-Arabien, Katar und der Türkei) und dem schiitischen Iran ausgetragen wird. Wenn sich allerdings noch mehr Muslime aus den syrischen Nachbarländern den Kämpfern in Syrien im Kampf gegen das Assad-Regime anschließen, dann würde es um einen Krieg zwischen Teilen der islamischen Welt und der – aus Sicht vieler Muslime – christlichen westlichen Welt gehen. Das wäre für die Christen in der Region, aber auch für die säkularen, westlich orientierten Muslime in der Region eine Katastrophe.

Wie geht es den Christen in Syrien? Haben Sie da Einblicke? 
Otmar Oehring: Die Christen in Syrien haben wie alle Menschen im Land Angst vor jedem Militäreinsatz, egal von wem ein solcher Einsatz ausgeht. Die Folgen eines amerikanischen Militäreinsatzes in Syrien könnten aus den oben dargelegten Gründen allerdings für die Christen in Syrien ganz besonders schlimme Folgen haben. Den Christen in Syrien geht es genau so schlimm wie der Zivilbevölkerung insgesamt. Soweit Christen jedoch in Gebieten sind, die nun von radikal-islamistischen Gruppen kontrolliert werden, muss man das Schlimmste befürchten. Allerdings kann man davon ausgehen, dass sich in solchen Gebieten keine Christen mehr befinden.

Zahlreiche Menschen fordern eine friedliche ­Lösung in Syrien. Wie, denken Sie, könnte eine friedliche Lösung aussehen? Welche ­Alternativen gibt es?
Otmar Oehring: Man kann nur hoffen, dass es doch noch zu einer Verhandlungslösung, also einer politischen Lösung des Konflikts kommt. Wenn sich die USA und Russland einig wären, wäre eine solche Lösung denkbar. Doch auch beim G-20-Gipfel vergangene Woche in St. Petersburg gab es zwischen US-Präsident Barack Obama und Russlands Präsident Wladimir Putin keine Annäherung in der Syrien-Frage.

Welche Rolle spielt Russland in diesem Konflikt?
Otmar Oehring: Russland steht in diesem Konflikt auf der Seite Syriens und ist einer der Waffenlieferanten und auch Geldgeber Syriens. Zudem hätte Russland wohl auch genügend Einfluss, um das syrische Regime an den Verhandlungstisch zu bringen. Allerdings  wird das Russland kaum tun, wenn die USA sich nicht mit Russland einigen.

Wie soll die Internationale Gemeinschaft Ihrer Meinung nach auf die jüngsten Entwicklungen reagieren?
Otmar Oehring: Die Internationale Gemeinschaft hat in Syrien weitgehend versagt. Und  das gilt nicht erst seit dem Giftgas-Desaster in Damaskus. Die Großmächte müssen sich endlich auf eine politische Lösung des Konflikts einigen.

Was würde ein Militärangriff für Länder wie zum  Beispiel den Iran, Libanon oder Israel bedeuten? 
Otmar Oehring: Bezogen auf den Iran und Israel kann man das momentan noch nicht mit Sicherheit sagen. Der Libanon allerdings ist schon längst in den Konflikt in Syrien ­hineingezogen worden, auch wenn die Auseinandersetzungen im Libanon – glücklicherweise – bis jetzt noch nicht das Maß der Auseinandersetzungen in Syrien erreicht haben.

 

Franziskus: „Krieg ist eine Niederlage für die Menschheit"

Der Papst hat einen Traum: „Ich möchte heute Abend den Herrn bitten, dass wir Christen, die Brüder und Schwestern der anderen Religionen, alle Menschen aus Leibeskräften schreien: Gewalt und Krieg sind niemals der Weg des Friedens“.
Ernst und mit Nachdruck sprach Franziskus diese Worte am Samstagabend auf dem Petersplatz in Rom. Seine Meditation über Gewalt und Frieden war Höhepunkt der vierstündigen Gebetswache, der zentralen Veranstaltung des Fasten- und Gebetstags für den Frieden in Syrien und anderen Konfliktregionen der Welt. Die rund 100.000 Zuhörer unterbrachen ihn mehrfach mit Applaus.
In seiner Ansprache bekräftigte der Papst abermals eindringlich seine Ablehnung eines Militärschlags gegen das Regime von Baschar al-Assad. „Möge das Waffenrasseln aufhören!“, forderte Franziskus. Krieg sei immer eine „Niederlage für die Menschheit“.

Nicht nur auf dem Petersplatz wurde an diesem Tag für den Frieden in Syrien gebetet. Von Washington über Bagdad und Manila bis Sydney beteten Millionen Katholiken für ein Ende des Blutvergießens. Und nicht nur Katholiken. Auch der Ökumenische Patriarch von Konstantinopel, das Ehrenoberhaupt der orthodoxen Christenheit, und zahlreiche andere christliche Kirchen hatten sich der Initiative angeschlossen. Sogar in Syrien selbst kamen Muslime, Christen und Juden in der Omajjaden-Moschee der Hauptstadt Damaskus zu einem gemeinsamen Gebet zusammen.
Der Papst hatte ausdrücklich auch Angehörige anderer Religionen eingeladen, sich seiner Initiative anzuschließen.

Ist Friede tatsächlich möglich, oder bleibt er frommes Wunschdenken? Die Antwort des Papstes ist eindeutig: Ja, Friede ist möglich, lautete die Kernbotschaft seiner Ansprache. Und er beginnt nicht in Damaskus, im Pentagon oder im Kreml, sondern bei jedem Einzelnen. „Möge ein jeder den Mut fassen, auf den Grund seines Gewissens zu schauen und auf jene Stimme zu hören, die sagt: Komm‘ heraus aus Deinen Interessen, die Dein Herz verengen, überwinde die Gleichgültigkeit gegenüber dem anderen“, so Franziskus. Jeder Mensch müsse der „Hüter seines Bruders“ sein.   Thomas Jansen, kathpress

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 (aus KirchenBlatt Nr. 37 vom 12. September 2013)