Ist Friede mehr als die Abwesenheit von Streit? Leisten die Religionen einen Beitrag zum Frieden in der Welt? Oder sind sie im Gegenteil - im Blick auf die religiös aufgeladenen Konflikte der Gegenwart - Teil der Ursache von Unfrieden und Gewalt? Vertreter der drei großen monotheistischen Weltreligionen diskutierten darüber mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen in Hohenems.

Dietmar Steinmair

"Friede" - das Thema des HotSpotTalks am vergangenen Donnerstag hätte aktueller nicht sein können. Es verband das ehemals jüdische Hohenems mit dem 3.000 Kilometer entfernten Jerusalem, dessen Status in diesen Tagen besonders heftig umstritten ist. Hatte doch am Beginn vergangener Woche Donald Trump als erster US-Präsident Jerusalem als Hauptstadt Israels anerkannt und damit heftige Proteste der Palästinenser und in der arabischen Welt ausgelöst.

Dialog im Schützengraben

Nun, über den einseitigen Schritt der USA und die große Weltpolitik wurde in Hohenems nicht diskutiert. Dafür gaben drei Vertreter der Weltreligionen ihre persönlichen Erfahrungen und Einschätzungen weiter. Einer von ihnen war der St. Galler Rabbiner Tovia Ben-Chorin. Der schon über 80-Jährige gehört dem liberalen Judentum an und ist ein profilierter Diskussionspartner. Von einer seiner prägenden Erfahrungen erzählte er auch den jugendlichen Zuhörer/innen in Hohenems: Im Sechstagekrieg 1967 - Ben-Chorin diente in einer Panzereinheit - kam man in einer Waffenpause zu ihm und teilte ihm mit, ein ägyptischer Offizier wolle noch mit jemandem sprechen. Ben-Chorin sprach gut Englisch. Er suchte den Offizier auf, der in einem Bunker auf eine Bahre lag, und eröffnete das Gespräch mit den Worten: "Es tut mir leid, dass Sie hier liegen." Der Ägypter entgegnete: "Es hätte genauso gut umgekehrt sein können", und fragte den Israeli dann: "Hat man Sie gefragt, ob Sie hier sein wollen?" Als Ben-Chorin verneinte, sagte der Offizier: "Bei mir ist es genauso. Beide wurden wir nicht gefragt."

Das Entscheidende für Ben-Chorin war damals: Mitten in einer Kampfpause, mitten in einer Situation, in welche die Beteiligten "von oben" hineingestellt wurden und wo die beiden Soldaten nur Minuten zuvor alles getan haben, um den anderen umzubringen, war dennoch ein Dialog möglich. Der spätere Rabbiner, der sich selbst "pazifistische Neigungen" bescheinigt, sucht seither den Dialog und glaubt an seine Kraft. In einem Gespräch, sagt er, wolle er als erstes immer wissen, was der andere denkt, und nicht, wie man als Sieger aus der Diskussion hervorgehen könne.
Dem pflichtete Bischof Benno Elbs bei und zitierte dafür Ignatius von Loyola. Laut dem Gründer des Jesuitenordens müsse man sich selbst in der erbittertsten Debatte immer auch die Frage stellen: "Wie kann ich das Argument des Anderen retten?" Anders gefragt: Was ist das berechtigte Anliegen des Anderen?

Es beginnt im Alltag

Bevor es aber zu einem fruchtbaren Dialog auf Augenhöhe kommen kann, ist es hilfreich, die Ursachen für Friede oder Unfriede zu entdecken. Dieser Ursachenforschung widmete sich der Abend eingehend. Bischof Benno, regelmäßiger Gast bei den HotSpotTalks, machte hier auf zwei Dinge aufmerksam: die Kränkung und die Gier. Wer verletzt und wem die Würde abgesprochen wird, der werde gekränkt oder laufe Gefahr, sein Gesicht zu verlieren. Auch die Gier als Nicht-genug-haben-Können bringe Konflikte hervor.

Wie sieht es nun mit dem Zusammenleben in Vorarlberg aus? Für die muslimische Religionslehrerin Hatice Demirkir sind die Gemeinsamkeiten zwischen Menschen, die als Angehörige unterschiedlicher Religionen oder Ethnien in Österreich leben, immer größer als die Unterschiede. Darum verwendet sie die Rede von den "zwei Welten", in denen sich etwa Einheimische und zugewanderte Türken hierzulande befänden, gar nicht gerne. Denn im Alltag, beim Einkaufen, in der Schule oder auf der Straße sehe man doch das Viele, das verbindet. Statt zu sagen: "Der andere muss sich verändern und anpassen", fragt Demirkir lieber: "Muss nicht auch ich mich verbessern?" Auf die Frage, woher die viel zitierten Ängste kommen, antwortete sie in Hohenems mit einem schlichten Koranvers: "Gott ist unser Herr und euer Herr."

In den Gesprächsrunden, die zwischen die Statements der Referenten gestreut wurden, blickten die jungen Erwachsenen auf Situationen im Alltag, in denen sich Unfriede oder Friede zeigen - ob das nun das demonstrative Besetzen eines freien Platzes mittels Rucksack im überfüllten Zug oder der Wunsch "Schönes Wochenende!" an die gestresste Kassiererin im Supermarkt ist. Vor allem die Ungeduld, so waren die Teilnehmenden am HotSpotTalk überzeugt, führe unweigerlich zu Unfriede.

Heiliges Land

Der St. Galler Rabbiner führte nochmals gedanklich zurück in den Nahen Osten: Israel hat auf einem guten Viertel der Fläche Österreichs fast genauso viele Einwohner wie die Alpenrepublik. Juden, erklärte Ben-Chorin, seien immer eine Minderheit gewesen und seien es bis heute. Für sie habe das Land Israel eine derart große Bedeutung wie etwa Jesus für die Christen oder Mohammed für die Muslime. Letztlich sei das Land für Juden sogar wichtiger als der Kult: Die Utopie dieses "geomystischen Landes zwischen Jordan und Mittelmeer" sei im heutigen Staat Israel verwirklicht, so Ben-Chorin. Virtuell trage jeder Jude das Land in sich. Überhaupt stellte der Rabbiner lieber die Frage nach der Identität als jene nach der Religion. Unter "Judentum" verstehe er vor allem die "jüdische Zivilisation". Religion sei ein Teil davon. Nichtsdestotrotz diskutiere er mit atheistischen Juden besonders gerne, sagte Ben-Chorin, weil sie mit Gott noch und immer wieder ringen. Vor Leuten hingegen, die sich überaus sicher sind, habe er eher Angst. Als Rabbiner, nicht als Politiker, glaube er aber dennoch an den Frieden im Nahen Osten, so Ben-Chorin.

Was Europa betrifft, so müsse Integration immer von beiden Seiten kommen. Gleichzeitig sei es legitim, zu einem Einwanderer zu sagen: Das und das erwarten wir. "Toleranz" sei dabei die falsche Haltung - falls sie bedeute, den anderen einfach und ohne Auswirkungen reden zu lassen. Vielmehr forderte Ben-Chorin "Respekt" im gegenseitigen Umgang. Dann könne man auch stolz auf die Unterschiede sein, die man nicht verwischen darf, sondern sehen solle. Für eine wirkliche Begegnung und um etwas zu lernen, müsse man aber die eigene kleine Welt verlassen. Den jungen Zuhörer/innen gab der Rabbiner darum folgende Frage als Ratschlag mit auf den Weg: "Wo kann ich jemanden treffen, der normalerweise keine Chance hat, mich zu sehen?"

Freunde haben

Wie steht es also um Religion und Friede? An der Veranstaltung in Hohenems nahmen auch Mitglieder der "Muslimischen Jugend Österreichs" teil. Sie werden, wie sie erzählten, nicht selten mit Beschimpfungen konfrontiert, etwa wegen des Tragens des Kopftuches. Auch Hass-Postings in den sozialen Netzwerken gehören zu ihren Erfahrungen. Die muslimische Lehrerin Demirkir ermutigte die Zuhörer/innen, dagegenzustehen - durch Engagement und durch die Teilnahme an Veranstaltungen wie dieser. Sie zitierte dazu aus einem Flugblatt der Münchner Widerstandsgruppe "Weiße Rose": "Zerreißt den Mantel der Gleichgültigkeit, den Ihr um Euer Herz gelegt!"

Auch Bischof Benno ist überzeugt: "Wenn eine Religion zum Innersten seines Wesens findet, dann hat sie die Kraft zum Frieden." Damit das keine graue Theorie bleibt, sondern im Leben des einzelnen und ganz konkreten Menschen Schritte zum Frieden bewirkt, helfe eine einfache Gewissensfrage, so Elbs. Der frühere Limburger Bischof, Franz Kamphaus, hatte einmal die Frage gestellt: "Hast du Freunde bei den Armen?" Diese Frage erweiterte der Feldkircher Bischof nun zu: "Hast du Freunde bei einer anderen Religion?" Viele der jungen Erwachsenen werden die Frage nach diesem Abend in Hohenems wohl positiv beantworten können.

Zur Reihe

Die HotSpotTalks sind eine offene Veranstaltungsserie für junge Leute aus ganz Vorarlberg, geplant und durchgeführt von jungen Leuten zwischen Bludenz und Schoppernau und der Berufungspastoral der Diözese Feldkirch. Der nächste HotSpotTalk mit Bischof Benno Elbs findet im April 2018 statt.

www.hotspottalk.at