„Schön, dass Sie etwas, was Ihnen nach Artikel 24 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte zusteht, zur Verfügung stellen und gleichzeitig mir mein Recht nach Artikel 19 einräumen, um etwas für Ihr Recht nach Artikel 26 zu tun!“, so die Wiener Juristin Marianne Schulze am Mittwochabend vergangener Woche zu ihren Zuhörer/innen. Das Plädoyer einer Staatsanwältin? Fach-Chinesisch? - Nein.

Dietmar Steinmair

Die Vorarlberger Plattform für Menschenrechte hatte in die Inatura Dornbirn geladen. Der 10. Dezember ist nämlich der Jahrestag des Beschlusses der „Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte“ durch die Vereinten Nationen.

Die Übersetzung ihrer Begrüßung lieferte Marianne Schulze sofort: „Schön, dass Sie Ihre Freizeit (Art. 26) zur Verfügung stellen und gleichzeitig mir zugestehen, meine Meinung frei zu äußern (Art. 19), um etwas für Ihre Bildung (Art. 26) zu tun!“. Schulze war Vortragende beim Festakt zum ersten Aktionstag, mit dem die Vorarlberger Plattform für Menschenrechte an die Öffentlichkeit trat. Die Plattform ist ein loser Zusammenschluss von Vorarlberger Organisationen, die sich auf verschiedenste Arten für Menschenrechte einsetzen. Auch die Katholische Kirche und weitere christliche Organisationen und Initiativen mischen da heftig mit: Ein Viertel der derzeitigen Plattform-Mitglieder sind der Kirche zuzurechnen.

Ziele

Hubert Feurstein ist der Sprecher der Plattform. Er bringt die fünf Ziele der Bewegung auf den Punkt: „Wir setzen uns ein für Bewusstseinsbildung, Verbesserungsvorschläge, mediale Präsenz des Themas, Vernetzung der Plattform-Mitglieder untereinander und das Aufzeigen konkreter Handlungsmöglichkeiten.“ Mittelfristig ist, so Feurstein, ein jährlicher Tag der Menschenrechte in Vorarlberg geplant. Und im nächsten Sommer soll es ein multikulturelles Friedensfest geben.

Marianne Schulze ist Human Rights Consultant in Wien. Und sie desillusioniert die Zuhörer/innen gleich zu Beginn: Im Gegensatz etwa zu UN-Konventionen gibt es für die „Allgemeine Erklärung der Menschenrechte“ (AEMR) keine Rechtsverbindlichkeit. Zwar gilt die AEMR als „Heilige Schrift“ aller Menschenrechts-Bewegten und es sind ihr bislang 194 Staaten beigetreten, doch ist sie letztlich nicht mehr als eine Absichtserklärung. Schulze nimmt da auch den Staat Österreich in die Pflicht: Das Recht auf Bildung, auf Arbeit, auf Gesundheit oder auf soziale Sicherheit sind in Österreich nicht in der Verfassung verankert. Im Gegensatz dazu ist „Europäische Menschenrechtskonvention“ in Österreich ratifiziert und hat Verfassungsrang, doch sie umfasst die genannten Rechte nicht.

Recht auf ...?

Beim Thema Schule hakte Schulze nach. Kommt Österreich dem allgemeinen Menschenrecht auf Bildung (Art. 26) nach, wenn es in Österreich mehr als eine halbe Million funktionaler Analphabeten gibt? Die letzte Untersuchung dazu sei vom Bildungsministerium blockiert worden. Dem aus ihrer Sicht zu teuren derzeitigen Bildungssystem stellte sie das Beispiel der gemeinsamen Schule bis 14 in Südtirol entgegen. Auch mit der Meinungsvielfalt habe Österreich ein Problem. Sich den Seitenhieb auf Vorarlberg als „Russ-Land“ nicht verkneifend, hinterfragte Schulze, ob man wirklich darauf stolz sein könne, dass die „Kronen Zeitung“ im Verhältnis zur Bevölkerung die reichweitenstärkste Zeitung der Welt sei. Auch für den derzeit vielgebrauchten Begriff „Whistleblower“ gebe es keine deutsche Übersetzung. In Österreich etwa liegt für Schulze das Problem darin, dass man lieber über den Aufdecker eines Missstandes als über den Missstand selbst diskutiere.

Schulze appellierte auch an die Politiker: Das Bemühen um die Menschenrechte verlangt ständige Diskussion und ist mit einem Aktionstag pro Jahr nicht erledigt. Nebenbemerkung: Bis auf die Dornbirner Bürgermeisterin und den Klubobmann der Grünen war der Politiker-Besuch der Veranstaltung spärlich.
Den Zuhörern und Menschenrechts-Bewegten gab Schulze einen Satz aus einer Performance der Jugendlichen von youngCaritas mit auf den Weg: „Hebt eure Stimme, habt den Mut, und denkt nicht, es wird alles gut!“

Allgemeine Erklärung der Menschenrechte

Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte (AEMR), auch UN-Menschenrechtscharta genannt, wurde am 10. Dezember 1948 von der Generalversammlung der Vereinten Nationen in Paris genehmigt und verkündet.

Hier in Auszügen (Hervorhebungen durch die Redaktion):

Artikel 1: Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren. Sie sind mit Vernunft und Gewissen begabt und sollen einander im Geist der Brüderlichkeit begegnen.

Artikel 2: Jeder hat Anspruch auf die in dieser Erklärung verkündeten Rechte und Freiheiten ohne irgendeinen Unterschied, etwa nach Rasse, Hautfarbe, Geschlecht, Sprache, Religion, politischer oder sonstiger Überzeugung, nationaler oder sozialer Herkunft, Vermögen, Geburt oder sonstigem Stand.

Artikel 3: Jeder hat das Recht auf Leben, Freiheit und Sicherheit der Person.

Artikel 6: Jeder hat das Recht, überall als rechtsfähig anerkannt zu werden.

Artikel 14: 1. Jeder hat das Recht, in anderen Ländern vor Verfolgung Asyl zu suchen und zu genießen. 2. [...]

Artikel 16: 1. Heiratsfähige Frauen und Männer haben ohne Beschränkung auf Grund der Rasse, der Staatsangehörigkeit oder der Religion das Recht zu heiraten und eine Familie zu gründen. Sie haben bei der Eheschließung, während der Ehe und bei deren Auflösung gleiche Rechte. 2. [...] 3. Die Familie ist die natürliche Grundeinheit der Gesellschaft und hat Anspruch auf Schutz durch Gesellschaft und Staat.

Artikel 18: Jeder hat das Recht auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit; dieses Recht schließt die Freiheit ein, seine Religion oder Überzeugung zu wechseln, sowie die Freiheit, seine Religion oder Weltanschauung allein oder in Gemeinschaft mit anderen, öffentlich oder privat durch Lehre, Ausübung, Gottesdienst und Kulthandlungen zu bekennen.

Artikel 26: 1. Jeder hat das Recht auf Bildung. Die Bildung ist unentgeltlich, zum mindesten der Grundschulunterricht und die grundlegende Bildung. 2. [...]

(aus dem KirchenBlatt Nr. 51 vom 18. Dezember 2014)