Dass es in Vorarlberg neue Unterkünfte für Flüchtlinge und mehr Wohnraum für Ortsansässige braucht, darüber sind sich die Verantwortlichen einig. Ein Architektentrio hat intensiv nach einer Lösung für diese Fragen gesucht und ein Modell entworfen, das einen gangbaren Weg aufzeigt. Denn es ist nicht nur bautechnisch geeignet, sondern auch sozialpolitisch tragfähig.

Patricia Begle

Andreas Postner, Konrad Duelli und Hermann Kaufmann. Diese drei Namen stecken hinter dem Wohnraum-Konzept, das Antworten gibt auf viele Fragen, die derzeit in Zusammenhang mit der großen Zahl von Flüchtlingen im Land anstehen. Mehr noch. Das Konzept löst zugleich auch jene Wohnraum-Engpässe, die sich in den letzten Jahren entwickelt haben. Diese zeigen sich in langen Wartelisten auf den Gemeindeämtern. Rund 4000 Wohnungssuchende gibt es momentan in Vorarlberg. Das Modell „transfer wohnraum vorarlberg“ ermöglicht eine Win-Win-Situation in viele Richtungen.

Hohe Flexibilität
Das Modell empfiehlt, an zwei unterschiedlichen Orten in einer Gemeinde zu bauen. Es entstehen Häuser für Flüchtlinge und solche für Ortsansässige. Die Häuser für Flüchtlinge geben Raum für 25 bis 30 Menschen, mehr nicht. Die Anlagen für Ortsansässige können auch größer sein - je nach Bedarf. Auf jeden Fall sind es leistbare Wohnräume. In Dörfern sind die Bauten beispielsweise zweigeschossig, in Städten auch einen Stock höher. Die Wohnungen sind so konzipiert, dass ihre Größe variabel ist: 110 m², 70m², 55m² oder 35m² - diese vier Größen sind möglich und können relativ einfach - mit dem Einziehen oder Entfernen von Zwischenwänden - bei Bedarf wieder verändert werden. Diese Flexibilität ist für die Gemeinden von großem Vorteil, weil sich die Bedürfnisse der Menschen mit der Zeit oft ändern. Momentan ist zum Beispiel die Nachfrage nach kleinen Wohnungen sehr groß.

Mitarbeit der Flüchtlinge 
Die Wohnungen für Flüchtlinge richten sich nach den Vorgaben seitens des Bundes. In einer Wohnung finden zehn Personen Platz, aufgeteilt sind sie in zwei größere Schlafzimmer, zwei kleine Bäder stehen ihnen zur Verfügung sowie eine große Küche mit zwei Herden und zwei Spülbecken.
Das Besondere an diesem Konzept ist, dass die Bewohner in relativ rohe Räume einziehen und bei der Fertigstellung selbst Hand anlegen dürfen. Konkret heißt das, dass sie dann Wände streichen und Böden legen, alte Möbel - die sich in vielen Gemeinden auf irgendwelchen Dachböden finden - wieder auf Vordermann bringen und die Räume wohnlich gestalten. Mit dieser Mitarbeit haben die Asylwerber nicht nur eine sinnvolle Beschäftigung, sondern sie hilft ihnen auch, hier anzukommen und heimisch zu werden. „Heimisch“ hat ja mit „Heim“ zu tun.

Bei dieser Arbeit werden sie natürlich von Fachkundigen angeleitet und begleitet. Das kann aufgrund der sprachlichen Barrieren eine große Herausforderung sein, gleichzeitig wird dabei die deutsche Sprache auf sehr praktischer Ebene erlernt. Vokabeln wie „Farbe“, „Holzlatte“ oder „Zentimeter“ werden schnell begriffen. Ein zweiter Bereich, in dem die Flüchtlinge mitarbeiten können, ist der Garten, der bei den Häusern angelegt wird. „Interkulturelle Gärten sind die besten Integrationsprojekte, die wir kennen“, weiß Postner.

Gute Bedingungen
Bauträger dieser Projekte sind gemeinnützige Wohnbaugenossenschaften. Die Rahmenbedingungen für das Zusammenspiel von Gemeinden bzw. Pfarren und Bauträgern sind im Baurechtsverfahren geregelt. Der Baugrund wird seitens der Gemeinde oder Pfarre zur Verfügung gestellt, nach 5 bis 10 Jahren verfügt der Eigentümer bzw. die Gemeinde über die Wohnobjekte, das heißt, sie vergeben die Wohnungen - nach dem Modell des sozialen Wohnbaus. Nach beispielsweise 50 Jahren geht der Besitz zurück an Gemeinde oder Pfarre. Auf diese Weise fallen für Gemeinden bzw. Pfarren keinerlei Baukosten an, sie müssen lediglich den Grund zur Verfügung stellen - und auch diesen nur auf Zeit. Gebhard Barbisch, diözesaner Liegenschaftsverantwortlicher sowie Koordinator für Flüchtlingsquartiere, sieht gerade in dieser Regelung einen Weg, der den Interessen der Pfarren sehr entgegenkommt. „Viele Pfarren sind sehr vorsichtig, wenn es um den Verkauf von Grund und Boden geht. Mit den Regelungen des Baurechtvertrages, die quasi eine Vereinbarung auf Zeit darstellt, können aber sicher viele gut mit.“

Gut für Umwelt und Region
Gewinner dieses Modells sind auch heimische Handwerksbetriebe, denn die Häuser werden in solider Holzbauweise gebaut. Das ermöglicht eine hohe regionale Wertschöpfung. Das Holz stammt aus Vorarlberger Wäldern, wird in heimischen Sägereien verarbeitet und von Holzbauunternehmen aus der Region in die entsprechende Form gebracht. „Wir haben uns für eine Bautechnik entschieden, die jede Zimmerei ausführen kann“, erläutert Postner. Das stärkt die Kleinbetriebe vor Ort. Außerdem haben die Häuser Niedrig-Energie-Standard, beheizt wird mit erneuerbaren Energien, die sich wiederum nach den Möglichkeiten und Ressourcen vor Ort richten.

Gemeinwesenarbeit 
Eine Aufgabe, die in der Verantwortung der Gemeinde bleibt, ist das Engagement rund um die Integration der Asylwerber/innen bzw. späteren Konventionssflüchtlinge. Dass dies in Vorarlberg gut funktioniert, zeigt sich an vielen Beispielen: Vereine und Privatpersonen setzen sich auf unterschiedlichste Weise ein, mit Deutschkursen und Fußballspielen, Arbeitseinsätzen und Ausflügen. Ein solcher Einsatz wirkt auf eine Gemeinde stärkend und verbindend.

Gute Resonanz 
Im Verlauf der Konzeptausarbeitung führte das Architektentrio viele Gespräche im Freundes- und Bekanntenkreis. Später stellten sie ihr Modell öffentlichen Personen und Institutionen vor. „Dabei stießen wir immer auf positive Resonanz. Menschen aus verschiedensten Arbeitsfeldern - von der Flüchtlingsbetreuung über den Verwaltungsbereich bis zum Holzbau - alle haben uns bestärkt, ob Gemeindeverband oder Landespolitiker - das Modell hat überzeugt“, erzählt Konrad Duelli.

Komplexe Anforderungen 
„Bauen ist ein Bestandteil der Integration, ein wesentlicher Teil“, erklärt Duelli den Ansatz des Architektenteams. „Deshalb geht es nicht nur allein um das Bauen, sondern um das sozialpolitische Konzept dahinter.“ Und dieses ist in diesem Modell sehr durchdacht, Wissen und Erfahrungen aus verschiedensten Bereichen sind mit eingeflossen. Die Anforderungen an das Modell waren hoch. „Es muss von der Bevölkerung akzeptiert werden, politisch durchsetzbar und schnell baubar sein, Beteiligung ermöglichen, modular und damit felixbel gebaut und administrierbar sein. Und es muss mit Gemeindeentwicklung und Gemeinwesenarbeit zu tun haben“, erklärt Postner.

Startbereit
In einem nächsten Schritt möchten die Architekten Pilotprojekte starten - in drei oder vier Gemeinden gleichzeitig. Diese konkreten Erfahrungen fließen in das Gesamtkonzept ein. Dann wird es der Öffentlichkeit übergeben. „Das könnte, wenn alles gut geht, schon zu Ostern sein“, überlegt Postner. „Vom Baubescheid bis zum beziehbaren Roh-Bau braucht es etwa zweieinhalb Monate.“ Das klingt gut und machbar.

Andreas Postner und Konrad Duelli (Zwei Architekten des Trios: Andreas Postner (li.) und Konrad Duelli)

IM ÜBERBLICK - transfer wohnraum vorarlberg

  • Gebaut wird kostengünstig für Flüchtlinge und für Ortsansässige (sozialer Wohnbau)
  • Gründe kommen von Gemeinden oder Pfarren
  • Laut Baurechtsvertrag fällt das Verfügungsrecht nach fünf bis zehn Jahren den Eigentümern bzw. Gemeinden zu, nach beispielsweise 50 Jahren geht der gesamte Besitz an den Grundeigentümer - der konkrete Baurechtsvertrag ist auch immer Verhandlungssache
  • Kleinstrukturierte Einheiten für überschaubare Nachbarschaften, maximal 25-30 Flüchtlinge
  • Flexible Modulbauweise, Wohnungsgrößen von 35m² bis 110 m²
  • Bauträger sind gemeinnützige Wohnbaugenossenschaften, Private, Neue Genossenschaften, Stiftungen
  • Bauausführende sind heimische Holzbauunternehmen, die regionale Wertschöpfung ist hoch
  • Flüchtlinge können beim Innenausbau mitarbeiten
  • Bei den Flüchtlingsunterkünften werden interkulturelle Gärten angelegt
  • Die neuen Holzbauten müssen integraler Bestandteil und Impuls der Gemeindeentwicklung sein

TERMIN

Neue Spielräume - Flucht und Zivilcourage
Di 3. November, 20 Uhr, Spielboden, Dornbirn.
Engagement im Flüchtlingsbereich und damit verbundene Ängste und Chancen stehen im Mittelpunkt der Podiumsdiskussion am Dornbirner Spielboden. Es diskutieren: Angelika Schwarzmann (Bürgermeisterin von Alberschwende), Darrel Toulon (Projekt „Througn the open door“), Günter Marinelli (tanz ist), Tanim Nashed (Caritas Wien, Projekt „Kompa“), Aslan Murtazaliev (Tschetschenischer Kulturverein Bodensee), Andreas Postner (transfer wohnraum).

(aus dem KirchenBlatt Nr. 44 vom 29. Oktober 2015)