Kolumne: Welt der Religionen

Auf der Suche nach Urlaubsliteratur mit Niveau fiel mir „Aliyahs Flucht oder Die gefährliche Reise in ein neues Leben“ der alevitischen Literaturwissenschaftlerin und Sozialpädagogin Güner Yasemin Balci in die Hände. Nein, dieses Buch, das Dokumentation, Sachbuch und Roman in einem ist, handelt nicht von der aktuellen Flüchtlingssituation. Die tragische Heldin dieser wahren Geschichte ist eine junge kurdische Frau in Berlin, die sich in einen griechischstämmigen Mann verliebt hat. Den aus traditioneller Familiensicht „falschen“ Mann zu lieben kann eine Muslima das Leben kosten. Und aus diesem Grund ist Aliyah auf der Flucht vor ihrer eigenen Familie – wahrscheinlich bis heute.

Was hat dieses Schicksal mit der Gottesmutter Maria zu tun, deren Aufnahme in den Himmel die christlichen Kirchen am 15. August feiern? Auch Maria muss sich in einer prekären Situation befunden haben, als sie nach ihrer Verlobung mit Josef durch die Kraft des Heiligen Geistes schwanger wurde. Möglicherweise wurde die ihr zuteil gewordene Gnade nicht gleich von allen erkannt. Auch ihr Verlobter wollte sich von ihr abwenden, doch ihm erschien im Traum ein Engel des Herrn, sodass er die Göttlichkeit des Kindes erkannte und Maria zu sich nahm. (Mt 1, 18-25)

In einem geisterfüllten, authentischen Leben müssen immer wieder Tabus durchbrochen, scheinbare Grenzen überschritten werden. Dass viele Propheten, Heilige und Religionsbegründer – auch die anderer Religionen – dieses Schicksal teilen und ihnen als Menschen viel zugemutet wurde, ist uns aus heutiger Sicht oft nicht bewusst.

Wieviel wusste Maria zu Lebzeiten über ihr eigenes Schicksal – und wie sehr gab sie sich als Magd des Herrn ganz in Gottes Hände? Wie sehr litt sie, als ihr Sohn gekreuzigt wurde? Konnte sie in diesem Moment auf seine Auferstehung vertrauen? Sicherlich wurde ihrem Herzen unendlich viel anvertraut. Da sie ihre Reinheit bewahrte, und damit ist sicherlich auch ihre psychisch-emotionale Integrität gemeint, wurde sie, apokryphen Evangelien entsprechend, in den Himmel aufgenommen. Der katholisch geprägte Begriff „Himmelfahrt“ stammt übrigens aus dem Volksglauben und zeigt auf, wie sehr Maria als Gottesmutter geheiligt wird: sie wird dadurch ihrem Sohn ähnlich gemacht, auch wenn die Bezeichnung theologisch nicht ganz korrekt ist.

Aglaia Mika

(aus dem KirchenBlatt Nr. 32 / 33 vom 11. / 18. August 2016)