5-teilige Serie: "Die Freude des Evangeliums". Teil 1: Papst Franziskus: Zentrale Botschaften seines Schreibens "Evangelii gaudium".

Halbmayr Aloisvon Dr. Alois Halbmayr
lehrt Dogmatik
an der Uni Salzburg

„Ich lade jeden Christen ein, gleich an welchem Ort und in welcher Lage er sich befindet, noch heute seine persönliche Begegnung mit Jesus Christus zu erneuern oder zumindest den Entschluss zu fassen, sich von ihm finden zu lassen, ihn jeden Tag ohne Unterlass zu suchen. Es gibt keinen Grund, weshalb jemand meinen könnte, diese Einladung gelte nicht ihm … Wer etwas wagt, den enttäuscht der Herr nicht, und wenn jemand einen kleinen Schritt auf Jesus zu macht, entdeckt er, dass dieser bereits mit offenen Armen auf sein Kommen wartete.“   Papst Franziskus in „Evangelii gaudium“ 35

Begegnung ist für Papst Franziskus die zentrale Erfahrung, der zentrale Ort, wo sich Glaube, persönliche Entwicklung und gesellschaftliche Erneuerung ereignen. Schon der Titel dieses Schreibens („Die Freude des Evangeliums“) ist Programm und kann als Zusammenfassung seines Hauptanliegens gelesen werden: Die Begegnung mit dem Evangelium führt zur Begegnung mit Jesus selbst, und diese Begegnung, wo sie Herz und Verstand erreicht, nimmt die Traurigkeit, die innere Leere und die Vereinsamung hinweg, die für Papst Franziskus zu den Hauptproblemen moderner Gesellschaften gehören.

Mit Jesus Christus, so schreibt er gleich zu Beginn, „kommt immer – und immer wieder – die Freude“ (EG 1). Diese Freude muss die Menschen erreichen und anstecken: nur so finden sie aus ihren Verstrickungen heraus, nur so gelingt es ihnen, ihrer wahren Berufung zu einem erfüllten Menschsein zu folgen. Das gilt in erster Linie für die Christinnen und Christen selbst. Deshalb greift Papst Franziskus zur Form eines „apostolischen Schreibens“. Denn dieses richtet sich, etwa im Unterschied zu einer Enzyklika, primär an die Kirche selbst, also an die Bischöfe, Priester, Ordensleute und Laien.

Be-Zeugen
Nur wenn die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Evangeliums selbst von dieser Freude erfüllt sind, kann eine Erneuerung von Kirche und Welt gelingen. Die Frohe Botschaft den Menschen in allen ihren verschiedenen Lebenslagen zu bringen, ist Hauptaufgabe einer Kirche, die vom Geist Jesu erfüllt ist, die aus der Freude des Evangeliums lebt und so den Mut schöpft, Gottes Geschichte mit den Menschen, vor allem mit den Armen und Ausgestoßenen, immer wieder neu zu bezeugen. Dieser missionarische Impuls, der im Kern des Glaubens selbst verankert ist, erfordert eine nachhaltige Umstellung des kirchlichen Handelns. Wir können nicht mehr, so zitiert er aus dem Schlussdokument der V. Lateinamerikanischen Bischofskonferenz von Aparecida 2007, „passiv abwartend in unseren Kirchenräumen sitzen bleiben“, sondern müssen „von einer rein bewahrenden Pastoral zu einer entschieden missionarischen Pastoral“ übergehen (EG 15).

Nachhaltig anders
Für diese grundlegende, aus der Freude des Evangeliums erwachsende Umstellung entwirft Papst Franziskus in diesem Text die großen Leitlinien. Er gibt Anstöße, die in der Tat geeignet sein können, die Koordinaten in den Landkarten des Glaubens nachhaltig zu verschieben. In dem rund 200 Seiten umfassenden Text wird deutlich, warum die Freude des Evangeliums keine andere Sprache kennt als die der Einladung, der Bitte und der Hoffnung. So fehlt hier jeglicher doktrinaler, oft so schwer zu schluckender autoritärer, definitiver Ton. Vielmehr wird der Wunsch spürbar, mit anderen die Zeichen der Zeit zu erkennen und im Lichte des Evangeliums richtig zu deuten (vgl. EG 51). Trotz der Fülle an Gedanken, Themen und Verästelungen, trotz des lebhaften Ineinanders von pastoraler und theologischer Sprache zeichnet den Text doch eine überzeugende Konzentration auf wenige Kerngedanken aus wie z. B. „Glaube ist zu allererst Begegnung“. Weitere wären die „Option für die Armen“ oder der missionarische Grundauftrag („verbeulte“ Kirche).

Das Wichtigste
Wohl nicht zufällig greift der Papst den traditionsreichen, immer wieder gerne an den Rand gedrängten Gedanken von einer „Hierarchie der Wahrheiten“ auf (EG 36; 246). Das Zweite Vatikanische Konzil hatte im Ökumenismusdekret an dieses wichtige theologische Prinzip erinnert, dass es nun einmal eine Rangordnung innerhalb der Katholischen Lehre gibt, je nach der Art ihres Zusammenhangs mit dem Fundament des christlichen Glaubens. Nicht jede Glaubensaussage oder moralische Botschaft ist gleich wichtig (EG 38f). Mit Bezug auf Thomas von Aquin betont der Papst, beinahe etwas augenzwinkernd, „dass die Vorschriften, die dem Volk Gottes von Christus und den Aposteln gegeben wurden, »ganz wenige« sind.“ (43)

Der Glaube ist eben keine Ansammlung von Geboten und Verpflichtungen, kein Katalog abrufbarer Wahrheiten, sondern Begegnung. Nur in diesem Geist sind Aufbruch und Neubeginn, zu denen uns das Evangelium einlädt, möglich. Papst Franziskus hat das eindringlich in Erinnerung gerufen – und zieht daraus zum Teil radikale Konsequenzen.