Vor einem Jahr fand die zweite der beiden Bischofssynoden zum Thema Familie statt und vor sieben Monaten erschien das Schreiben „Amoris laetitia“ (Freude der Liebe) von Papst Franziskus. Auch ohne neue Regeln ist nach Einzelfallprüfung zum Beispiel nicht mehr ausgeschlossen, dass wiederverheiratete Geschiedene zur Kommunion gehen. Bischof Benno Elbs, Österreichs Vertreter bei der zweiten Synode, hat nun ein Buch zur Synode und zu „Amoris laetitia“ veröffentlicht. Im Gespräch erklärt er, was ihm dabei wichtig ist.

Interview: Heinz Niederleitner

Wollen Sie mit Ihrem neuen Buch die Ergebnisse von „Amoris laetitia“ vertiefen oder in Erinnerung rufen?
Benno Elbs: Beides. Ein persönlicher Grund ist, dass ich mich sehr über „Amoris laetitia“ gefreut habe, weil Papst Franziskus vieles aus den Synodenberatungen aufgenommen hat. Zudem geht es mir darum, den seelsorglichen Ansatz des Schreibens herauszuarbeiten. Denn der ist nicht nur für die Familienseelsorge relevant, sondern grundsätzlich sehr wertvoll. Außerdem möchte ich benennen, was die Schwerpunkte für die Familien in dem Schreiben sind.

Grob gesagt richtet sich Ihr Buch einerseits an Familien, andererseits an Seelsorger ...
Elbs: Ja, aber ich hatte beim Schreiben noch eine dritte Zielgruppe im Auge: 30.000 Menschen haben sich in Österreich vor der ersten der beiden Familiensynoden an der großen Umfrage beteiligt. Viele Themen wurden in „Amoris laetitia“ aufgegriffen. Wer sich beteiligte, wurde so Mitautor/in dieses Papstschreibens. Da wollte ich danke sagen.

Vor „Amoris laetitia“ stand ein längerer Prozess der Meinungsbildung mit Umfragen und zwei Synoden. Nach „Amoris laetitia“ geht es nun um die Umsetzung der Ergebnisse in Diözesen und Pfarren. Wo stehen wir da heute?
Elbs: Die Antwort darauf ist nicht einfach. Vieles, was in „Amoris laetitia“ vertreten wird, haben Seelsorger/innen oft schon vorher gemacht. Für sie ist das Papstschreiben ein Zeichen der Wertschätzung ihrer Arbeit. Aber man muss auch sagen: Die Haltung Jesu den Menschen gegenüber einzuüben, ist eine ständige Herausforderung. Es geht darum, den Lebensweg, den Menschen wählen, zu respektieren und darin jeweils das Gute zu suchen: In jeder menschlichen Situation, auch wenn sie noch so weit außerhalb von Vorgaben liegt, finden wir Chancen. Deshalb setzt „Amoris laetitia“ nicht auf neue Regeln. Es geht um unsere Haltung. Diese übe ich nicht durch neue Statuten ein, sondern durch Austausch, Exerzitien und „Training“. Für mich waren die Synode und Amoris laetitia auch Anlass zur Gewissenserforschung: „Wie gehe ich mit Menschen um?

Gibt es nicht auch Widerstände gegen die Haltung, die hinter Amoris laetitia steht – auch von Seelsorgern?
Elbs: Es gibt Widerstand, bei dem zum Teil auf bedenkliche Art abgelehnt wird, was Papst Franziskus vertritt. Man muss unterscheiden: Erstens ist da ein theologischer Widerstand, der auch in gewissen Internetforen und einschlägigen Kreisen sichtbar wird. Das tangiert die Gläubigen gering oder gar nicht. Und es gibt eine andere Form von Widerstand: Ich kenne Seelsorger, die meinen: „Ich weiß, wie die Welt funktioniert und wie Familie zu sein hat – und die Menschen haben sich danach zu richten.“ Dabei muss sich doch Seelsorge an Jesus Christus und dem Leben der Menschen orientieren. Dieser Widerstand von Seelsorgern ist für mich der schwierigere, denn hier geht es um Menschen, die verletzt und gedemütigt werden. Da wird Kirche zur „Zollstation“, wie Papst Franziskus sagt.

Manche Kirchenrechtler wollen genauere Regeln vom Papst. Sonst hänge es von einzelnen Bischöfen ab, wie mit wiederverheirateten Geschiedenen umgegangen wird. Was sagen Sie?
Elbs: Der Papst schreibt, die Wirklichkeit sei „wunderbar komplex“. In einer solchen Wirklichkeit können Gesetze und Regeln nur Leuchttürme oder Leitplanken sein. Ein Ja/Nein-Schema für jeden Fall wäre bequem, aber das Leben ist anders. Thomas von Aquin sagt, es gehe darum, die Grundprinzipien mit Weisheit und Klugheit in den konkreten Situationen anzuwenden. Die klare Formulierung der Grundprinzipien ist Aufgabe des Kirchenrechtlers. Aber die pastorale Anwendung mit Weisheit und Klugheit ist Aufgabe des Seelsorgers – und der jeweils betreffenden Person: Gerade „Amoris laetitia“ betont ja die Stellung des Gewissens des Einzelnen. Mit dieser Spannung ist zu leben.

Für die Situation wiederverheirateter Geschiedener hat „Amoris laetitia“ gute Worte gefunden. Aber wenn die Umfragen aus den Diözesen so wichtig waren: Was ist aus  den Themen Empfängnisregelung oder Homosexualität geworden?
Elbs: Beim Thema Empfängnisregelung ist unbestritten, dass die natürlichen Methoden (Beachtung des weiblichen Zyklus, Anm.) etwas Wertvolles sind. Zu ihrer Anwendung wird in „Amoris laetitia“ ermutigt. Beim Thema Homosexualität bleibt Amoris laetitia dabei, dass es keine Diskriminierung geben darf und der Respekt den Menschen gegenüber wichtig ist. Weiterentwickelt wurde das nicht, weil die Zugänge in der Weltkirche zu verschieden sind, als dass eine konkretere, gemeinsame Position derzeit möglich wäre.

Sie bringen in Ihrem Buch auch zwei Beispiele Ihrer seelsorglichen Praxis vor. Ist es Ihnen wichtig, als Bischof Seelsorger zu bleiben?
Elbs: Ich kann nicht Bischof sein, ohne Seelsorger zu sein. Die Beispiele im Buch – beide habe ich an Sterbebetten erlebt – sind aus der jüngeren Zeit. Am Sterbebett findet sich Wahrheit, denn hier muss niemand mehr Theater spielen. Die Beispiele berichten davon, dass in der Seelsorge einmal Fehler gemacht wurden. Auch ich blicke auf Erlebnisse zurück, wo ich heute sagen muss: Es gibt einen Grund, um Verzeihung zu bitten, weil ich zu hart war, zu wenig sensibel. Wenn ein theologisches Buch nur am Schreibtisch geschrieben wird, kommen bei mir Fragezeichen. Denn es ist ja genau der Zugang im Schreiben „Amoris laetitia“, zu den Menschen hinzugehen.

BUCHVORSTELLUNG

Cover-Wo die Seele atmen lerntBenno Elbs: „Wo die Seele atmen lernt. Ein neuer Blick auf Ehe und Familie mit Papst Franziskus.“
Verlag Styria, 173 Seiten, 22,90 Euro.
Das Buch ist in der Medienstelle der Diözese in Feldkirch erhältlich.

Buchvorstellung am 21. Oktober in Bregenz