Christian Hörl versammelt in seinem Buch „unvollkommen vollkommen“ spannende Einsichten und auch ein wenig Lebensweisheit eines Mittfünfzigers. Die unvollkommene Vollkommenheit des Menschen betrachtet er aus vielen Blickwinkeln und mit den Worten vieler Vor- und Mit-Denker. Denn: „Die Liebe fürs Leben wächst, wenn Menschen dafür die Stimme erheben.“

Dietmar Steinmair

Kürzlich hörte ich folgenden Witz: „Wie werden Netze hergestellt? Man nimmt die Löcher und knüpft sie mit den Seilen aneinander.“ - Es ist klar: Die Löcher gibt es in Wirklichkeit nicht unabhängig oder schon vor dem Netz. Der Witz-Erfinder hat einfach das Ergebnis eines Arbeitsprozesses zu seinem Ausgangspunkt gemacht. Um Komik zu erzeugen, setzt er seinen Hebel verkehrt herum an. Unerwartete Angelpunkte wählen und überraschende Blickwinkel-Wechsel vornehmen - das kann man auch in ernsthafteren Dingen: Politik, Wirtschaft, Ökologie, Sozialstaat, Gesellschaft.

Anderswo ansetzen
Christian Hörl versucht das auch in seinem Buch „unvollkommen vollkommen“. Pünktlich zu seinem 55. Geburtstag hat er auf 126 Seiten und in einer Auflage von 555 Stück eine „Einladung zum Dialog über das Menschliche“ geschrieben. Im Buch sammelte er „Gedanken, Gefühle und Erkenntnisse unzähliger Menschen, die wiederum aus Gedanken, Gefühlen und Erkenntnissen unzähliger Menschen entstehen“.
Das Buch ist eine persönliche Reflexion auf Dinge, die aufmerksamen Bewohnern des (reichen) Mitteleuropa auffallen, wenn sie in die nähere oder fernere Welt blicken. Ob das nun die Spaltung eines Landes in einem Bundespräsidentschaftswahlkampf ist oder die weltweiten Folgen der Klimaerwärmung. Dabei geht es Hörl nicht um theoretische Konzepte, sondern immer um das Menschliche, um Beziehungen, um unterschiedliche Klänge und Färbungen.

Dialog statt Diktat
Hörl reiht in „unvollkommen vollkommen“ viele Geschichten und Anekdoten aneinander. Das eine kommt so - durchaus assoziativ - zum anderen. Das Buch hat darum, bis auf das Einleitungskapitel über Hörls eigene Wurzeln, irgendwie auch keinen Anfang und kein Ende. Man könnte ebenso mittendrin anfangen zu lesen - und das Buch dennoch mit Gewinn lesen, weil es flüssig geschrieben ist und immer wieder Einstiegspunkte bietet. Bei nicht wenigen Zitaten und Reflexionen hält man inne, lässt die Worte auf sich wirken, liest sich einige Passagen sogar nochmals laut vor, um die Worte auch zu hören.
Es geht im Buch um die Beschränktheit menschlichen Lebens, um das Ungewisse und Ungefähre. Aber auch um Gelassenheit und Dankbarkeit - selbst dem Scheitern gegenüber. Dabei macht Hörl nie den Fehler, die Unvollkommenheit selbst zum obersten Ideal, also doch zum Vollkommenen zu erheben. Hörl gibt Zitate, die ihn selbst beeindruckt haben, an die Leser weiter. Viele Zitate sprechen auch große Weisheiten aus. Dennoch werden sie nicht präsentiert, wie wenn da ein Autor die Weisheit selbst mit dem Löffel gefressen hätte oder wie wenn ein Besserwisser uns belehren wollte. Hörls Blick ist weitaus vorsichtiger, sein Schreiben tastender. Es könnte ja auch anders sein, aber zunächst: Lass uns darüber reden, denn ich möchte dir zuhören.

Dennoch
Gleichzeitig warnt Hörl auch vor denen, die Vollkommenheit versprechen. Das gelte für Ärzte genauso wie für Politiker oder Wirtschaftstreibende mit ihrem Mantra des „Mehr, Mehr!“. Doch wie den Heilsversprechern und Demagogen begegnen? Um nur - auszugsweise - einen Hinweis aus dem vorliegenden Buch zu geben: Zu den drei Zitaten, die Hörl für den Klappentext auswählte, gehört ein längeres von Jon Gnarr. Der isländische Komiker und Schriftsteller war von 2010 bis 2014 Bürgermeister von Reykjavik. Er meint: „Wenn sich der Humor als wichtige, allgemein anerkannte Charaktereigenschaft erst einmal durchgesetzt hat, werden auch die Bewohner dieser Erde besser miteinander auskommen. Sie werden erkennen, dass das Leben zu kurz ist, um sich und andere zu ärgern und zu bekämpfen, und stattdessen versuchen, dem Leben ein Höchstmaß an Genuss und Erfüllung abzugewinnen.

Christian Hörl,

geboren 1962, ist verheiratet und Vater von zwei erwachsenen Kindern. Von 1986 bis 1995 war er Geschäftsführer der Wohnungs- und Arbeitsloseninitiative DOWAS. Von 1993 bis 2000 war Hörl Landtagsabgeordneter der Grünen im Vorarlberger Landtag, davon 5 Jahre als Klubobmann. Seit 2000 ist er freiberuflich als Coach, Supervisor und Projektentwickler tätig, u.a. im „Dialogprojekt St. Arbogast“ sowie bei den „Projekten der Hoffnung“.

Christian HörlDas Buch „unvollkommen vollkommen“
ist erhältlich in allen Brunner-Buchhandlungen, in „Das Buch“ im Messepark Dornbirn, in  der Buchhandlung Eggler in Feldkirch sowie im Bildungshaus St. Arbogast. Preis: € 25,-

 

(aus dem KirchenBlatt Nr. 37 vom 14. September 2017)