Kann man den Tod als „Schwester“ lieben? Wohl nur, wer in großer Zuversicht und Demut darauf vertraut, dass er am Ende von Gottes Liebe aufgefangen und getragen ist. Ende der 7-teiligen Serie.

Bild rechts: Franziskus: In der modernen Franziskus-Darstellung im Klostergarten von Sießen scheint der Mann aus Assisi über den Rand seines irdischen Lebens hinauszublicken.

Sonnengesang des hl. Franz

P. Johannes Schneidervon P. Dr. Johannes Schneider
Fachmann für franziskanische Spiritualität

 

Franziskus ist Mitte vierzig und schwer krank. Es ist schwer, jemandem eine hoffnungslose Diagnose mitteilen zu müssen, vor allem, wenn es ein geliebter Mensch ist. Zuweilen durchbrechen die Todkranken selbst die Mauer der Beklemmung: „Sag mir die Wahrheit: Welchen Eindruck hast du?“, fragt Franziskus den befreundeten Arzt Buongiovanni. Der antwortet: „Vater, für unsere Kunst ist deine Krankheit unheilbar. Du wirst Ende September sterben.“

Sei willkommen, Schwester Tod! Franziskus streckte die Hände aus und sagte: „Ben venga, sorella morte – Sei willkommen, Schwester Tod!“ Ein Bruder bestätigte: „Vater, du musst in Wahrheit wissen, dass deine Krankheit unheilbar ist und dass du nur noch kurz zu leben hast, wie die Ärzte schon sagten.“ Darauf Franziskus: „Wenn ich also bald sterben muss, dann ruft mir Bruder Angelus und Bruder Leo, damit sie mir von Schwester Tod singen!“ Und er fügt vor den letzten Vers des Sonnengesangs die Strophe von Schwester Tod ein:

Gelobt seist du, mein Herr,
durch unsere Schwester, den leiblichen Tod;
ihm kann kein Mensch lebend entrinnen.
Wehe jenen, die in tödlicher Sünde sterben.
Selig jene, die er findet
in deinem heiligsten Willen,
denn der zweite Tod wird ihnen kein Leid antun.


Trost in der Angst
Franziskus liebt den Tod nicht. Wie er Angst hat vor dem Feuer, das seinen Sehnerv verbrennen wird, so hat er noch mehr Angst vor dem Tod. Sonst würden Brüder und Arzt sich nicht scheuen, ihm die Wahrheit zu sagen. „Wir werden an Leib und Seele Ängste und Bedrängnisse ertragen um des ewigen Lebens willen“, schreibt Franziskus. Der Glaube an das ewige Leben ist kein Morphium gegen die Angst vor dem Sterben. Aber das Lied, das sich Franziskus in seiner letzten Krankheit immer wieder vorsingen lässt, hat er auch zum eigenen Trost geschrieben. Die Strophe vom Tod schließt unmittelbar an jene vom Frieden an. Denn jene Kraft, die Krankheit verzeihen und in Frieden ertragen lässt, wird auch jene größte Bedrängnis ertragen helfen, der kein Mensch lebend entrinnen kann. „Sei willkommen, Schwester Tod!“, kann nur sagen, wer dieser dunkelsten Schattenseite des Lebens vergeben kann, die sich unaufhaltsam über das verglimmende Licht des Menschen hereinbeugt, „ehe Sonne und Licht und Mond und Sterne erlöschen“ (Koh 12,2).

Stark wie der Tod ist die Liebe
„Selig jene, die er findet in deinem heiligsten Willen.“
Die Vaterunserbitte „dein Wille geschehe“ deutet Franziskus dahin, „dass wir lieben“. Der „heiligste Wille“ Gottes ist die Liebe. Nur durch sie kann der Mensch Leid ertragen und vergeben. Sie ist die Kraft, die dem Schatten des Todes als „unserer Schwester“ zu begegnen vermag, denn „stark wie der Tod ist die Liebe“ (Hld 8,6). Auch hier handelt es sich, wie Franziskus sagt, um „die Liebe, die Gott ist“. Nur sie ist stark wie der Tod und noch stärker, „so dass der zweite Tod kein Leid mehr antun wird“.

Das letzte Wort. Im „Loblied der Geschöpfe des Herrn“ hat nicht die Strophe vom Tod das letzte Wort, sondern das Lob:

Lobt und preist meinen Herrn
und dankt ihm und dient ihm mit großer Demut.

Das allerletzte Wort ist Demut – „humilitate“. Es schließt den Kreis und öffnet das Tor zum Anfang: „Altissimu – Allerhöchster, allmächtiger, guter Herr, dein sind das Lob ...“. In tiefer Demut gibt sich der Mensch, der jetzt ganz unten, am Grund und Ende seines Lebens angelangt ist, Gott zurück, in seinen heiligsten Willen, in seine Liebe.

Sonnengesang und angeführte Zeugnisse: Franziskus-Quellen, Kevelaer 2009, S. 40f., 1178f., 1094f., 83, 31.