Am 20. Jänner findet in Österreich die erste Volksbefragung nach Artikel 49b Bundes-Verfassungsgesetz statt. Es geht um die Frage, ob die allgemeine Wehrpflicht beibehalten werden soll oder nicht. Damit hängen auch weitere Fragen zusammen. Die Regierungsparteien haben sich verpflichtet, das Votum der Bevölkerung auch politisch umzusetzen.

zu: Für die Wehrpflicht - Dr. Michael Schaffer

Gegen die Wehrpflicht

"Sind Sie für die Einführung eines Berufsheeres und eines bezahlten freiwilligen Sozialjahres?"

Dr. Klaus HeideggerDr. Klaus Heidegger
ist Religionslehrer am Priv. ORG Volders/St. Karl,
Vorsitzender der Kommission Pazifismus/Antimilitarismus
von Pax Christi Österreich und
seit 30 Jahren in der christlichen Friedensarbeit

Der eigentliche Inhalt der Volksbefragung ist klar. Es gibt die Wahl zwischen Wehrpflicht Ja oder Wehrpflicht Nein.
Zum ersten Mal in der Geschichte hat ein Volk direkt die Möglichkeit, für oder gegen den militärischen „Kriegsdienstzwang“ zu stimmen. Dies wünschten sich pazifistische und antimilitaristische Bewegungen in vielen Ländern der Welt, denn Zwangsrekrutierung ist mit Kriegführen und Menschenrechtsverletzungen verknüpft. Russland, Israel, die Türkei oder Syrien sind Wehrpflichtstaaten. Immer noch sind Tausende Kriegsdienstverweigerer weltweit in Gefängnissen. Wehrpflicht verhindert nicht Krieg, sondern führt zu Kriegen. Die Geschichte der Wehrpflicht ist eine Geschichte der Angriffskriege, der Expansionsgelüste, der Blutspuren, der Inhaftierungen, der Hinrichtungen. Franz Jägerstätter war Opfer der Wehrpflicht. Beide Weltkriege wurden mit Wehrpflichtigen geführt. Erst ihr Einsatz machte den unvorstellbar hohen Blutzoll möglich. Der Zwang zum militärischen Dienst bedeutet keine Zivilisierung der Gesellschaft, sondern eine permanente Militarisierung des Denkens.

Neutralität
Österreich könnte aus seiner Geschichte lernen: Die heimische Wehrpflichtarmee war jenes Werkzeug, mit der staatliche Politik neutralitätsrechtliche Bestimmungen – wie zum Beispiel sich „immer-während“ nicht militärisch an Kriegseinsätzen zu beteiligen – umgangen hat. Unter Wehrpflichtbedingungen findet heute schon eine neutralitätswidrige militärische Integration in bestehende Pakte (NATO-Partnerschaft und EU-Verteidigungsstrategie) statt und wird eine Kampftruppenkapazität für die EU-Battle-Groups aufgebaut. Das heimische Militär diente stets auch als Legitimation für die heimische Kriegsmaterialienproduktion und einen neutralitätswidrigen Waffenexport. Die Wehrpflicht ist somit kein Garant für die Neutralität. Das Beispiel Irland zeigt hingegen, dass ein Land ohne Wehrpflicht eine Politik der Neutralität verfolgen kann.

Abrüsten
Die Wehrpflicht führt auch nicht automatisch dazu, dass ein Militär klein gehalten wird. Schon jetzt gibt es in Österreich weit mehr als 16.000 Berufssoldaten. Wehrpflichtabschaffung hat dagegen in vielen Ländern Europas zu einer Verringerung des Berufsheeranteils und auch zu einer Reduzierung der Verteidigungsausgaben geführt. Eine Berufsarmee kann verkleinert werden, ein Wehrpflichtheer wird dagegen immer einen großen Berufskader brauchen.

Einsatzpolitik
Die Frage, wie eine Armee eingesetzt wird, orientiert sich letztlich nicht am Wehrsystem, sondern ist eine politische Frage. Das Militär ist stets Instrument des Staates. Ein schlechter Staat wird auch seine Armee in schlechtem Sinne einsetzen können, unabhängig von der Frage, ob auf Wehrpflicht- oder Freiwilligenbasis. Die Wehrpflicht jedenfalls konnte in vielen Staaten dieser Welt die Militärs nicht von einem Putsch abhalten. Im Gegenteil. Kein Land Europas kennt mehr Zeiten einer militärischen Machtübernahme als Griechenland, das bis heute eine äußerst lange und scharfe Wehrpflicht hat. Zu glauben, dass die Wehrpflichtstruktur gegenüber Berufsarmee-Rahmenbedingungen einen menschenrechtswidrigen Einsatz verhindern könnte, stimmt mit Blick auf empirische Daten einfach nicht.

Mogelpackungen
Freilich sind die beiden Optionen, die dem Volk nun zur Abstimmung vorliegen, aus populistischen Gründen in Mogelpackungen verkleidet worden. In dieser Abstimmung geht es zum Teil gar nicht darum, was darauf steht – Berufssoldaten wollen ja beide, militärische Konfliktbearbeitung wollen ja beide, militärische (Kampf-)Einsätze im Ausland wollen ja beide usw. – das ist nicht der Unterschied. Was beide Positionen unterscheidet, das ist der Inhalt. In der Packung mit der Aufschrift „Berufsheer und bezahltes freiwilliges soziales Jahr“ steckt: KEINE WEHRPFLICHT. Die Aufschrift ZIVILDIENST auf der zweiten Packung soll Stimmen bringen, weil Zivildienst positiv besetzt ist. Drinnen steckt aber: Fortführung der Wehrpflicht. Wer also auf der Basis oben genannter Argumente gegen Wehrpflicht ist, weiß die Antwort für den 20. Jänner und wird diese historische Chance nützen. 

Für die Wehrpflicht

"Sind Sie für die Beibehaltung der allgemeinen Wehrpflicht und des Zivildienstes?"

Dr. Michael SchafferDr. Michael Schaffer
leitet die Abteilung Personalwirtschaft der Salzburg AG.
Der studierte Jurist war Einjährig-Freiwilliger und Offizier auf Zeit.
Er ist  Brigadier der Miliz und Präsident
des österreichischen Milizverbandes.

Österreichs Wehrpflicht steht für Sicherheit, Solidarität und Verantwortung.
Für einen neutralen Kleinstaat wie Österreich kann es zur Erfüllung von militärischen Mindeststandards nur ein Heer auf breiter Basis geben. Zu den Aufgaben des Bundesheeres gehören Landesverteidigung in ihrem gesamten Aufgabenspektrum wie Souveränitätsschutz und Schutz des Territoriums, Schutz kritischer Infrastruktur etc. sowie helfen, wo andere nicht mehr können (Katastrophenhilfe, Assistenzeinsätze oder auch Hilfeleistungen im Ausland). Jedes Land muss aufgrund seiner Rahmenbedingungen selbst klären, welche Wehrform für die jeweils konkreten Aufgabenstellungen die beste ist.

Für ein neutrales Land, das weder der NATO noch einem anderen Verteidigungsbündnis angehört und angehören darf, für ein Land, das Vollbeschäftigung hat und aufgrund der topografischen Lage häufig mit Naturkatastrophen und Elementarereignissen rechnen muss, ist die allgemeine Wehrpflicht mit einem Milizsystem ein demokratiepolitisch wünschenswertes, effizientes und auch kostenmäßig zweckmäßiges System.
Diese breite Aufgabenpalette ist nur mit einem Mischsystem aus Berufs- und Milizsoldaten sinnvoll abzudecken. Ein Berufsheer allein wäre für Einsätze immer zu klein, außerhalb von Einsätzen permanent zu groß, aber in jedem Fall immer zu teuer.

Führungskrise
Unser derzeitiges Bundesheer ist aufgrund seiner Führung der letzten zehn Jahre abgewirtschaftet, die Bediensteten sind orientierungslos, die Rekruten demotiviert. Ein Führungsversagen darf aber nicht Grund sein, alles über Bord zu werfen und gleich die Wehrpflicht abzuschaffen. Wir schaffen auch nicht die Schulpflicht ab, nur weil wir im PISA-Test schlecht abschneiden.

Berufsheer

Die Wehrpflicht in Österreich aufgeben hieße de facto das Bundesheer abschaffen. Österreich ist zu klein für ein Berufsheer. Wir haben dafür weder das Geld noch die Leute. In Konkurrenz zum Arbeitsmarkt könnte die notwendige Anzahl von Berufssoldaten nicht gefunden werden bzw. wäre dies auch aus demokratiepolitischer Sicht nicht wünschenswert. Berufsheere in anderen Ländern rekrutieren sich häufig aus Schulabbrechern, Abenteurern, Vorbestraften und allen möglichen Randgruppen. Die verzweifelten Versuche des Norbert Darabos, dies mit irgendwelchen Studien zu widerlegen, sind unglaubwürdig und lächerlich. Aber selbst wenn plötzlich Geld keine Rolle mehr spielen sollte und für jeden heutigen Miliz(-Reservisten) bzw. Grundwehrdiener staatliche Planstellen geschaffen würden, möchte ich in keinem Land leben, in dem sich die bewaffnete Macht nicht aus dem Spiegelbild der Bevölkerung – das Milizprinzip – zusammensetzt. Es ist eine bekannte Tatsache, dass Berufsheere in Krisenzeiten oft selbst zum Staat im Staat werden und nicht mehr den Willen des Volkes, sondern jenen des jeweiligen Machthabers durchsetzen.

Politischer Schnellschuss
Die Berufsheerdebatte entspringt einem schäbigen Motiv: Wenige Tage vor der Wiener Wahl erfolgte dieser populistische Schnellschuss und unser Verteidigungsminister drehte sich binnen eines Tages um 180 Grad.

Solidarität
Ausgerechnet jene, die vom Staat ständig neue Leistungen abverlangen, somit eine All-inclusive-Gratisgesellschaft propagieren, desavouieren mit diesem Anspruchsdenken die Grundfesten der Gesellschaft. Mit der Wehrpflicht würde auch der Zivildienst fallen. Beides hat mit Solidarität zu tun. Die von Norbert Darabos vorgestellten Alternativmodelle sind unseriös und basieren nur auf Vermutungen – ein Hasard und das alles ohne jede Not. Der bezahlte Zivildienst wäre der gleiche Flop wie ein Berufsheer: hier wird mutwillig ein Keil in gut funktionierende Systeme getrieben. Hunderttausende Freiwillige bei Feuerwehr, Rettung, in Sozialdiensten und Hilfsorganisationen aller Art würden vor den Kopf gestoßen, wenn ausgerechnet der Zivildienstersatz bezahlt wird. Daher Finger weg von unverantwortlichen Experimenten. Wer für ein Berufsheer stimmt, gefährdet die Sicherheit Österreichs und destabilisiert unsere sozialen Systeme.

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