„Ich war eine radikale Frauenrechtlerin geworden“, bekannte Edith Stein rückblickend auf ihre Studienzeit. Die Gleichstellung von Mann und Frau und das Frauenwahlrecht waren ihr wichtige Anliegen.

Auf der Spur von Edith Stein: 120. Geburtstag - 70. Todestag - 25 Jahre selig

Sr. M. Anna Pointinger

 

Serie: Teil 4 von 6
von Sr. M. Anna Pointinger

Marienschwester vom Karmel

Als Edith Stein zwischen 1928 und 1932 in zahlreichen Vorträgen zu Frauenfragen Stellung nahm, entschied sie sich, das Thema „sachlich“ anzugehen. Zu diesem Zeitpunkt blickte sie bereits auf mehrere gescheiterte Habilitationsversuche zurück, und es war ihr sehr bewusst, dass das auch mit ihrem Frau-Sein zu tun hatte. Die Fragen, die sie mit ihrem Publikum erörterte, waren auch ihre eigenen existentiellen Fragen. Was ist die dem Wesen der Frau gerechte Lebensaufgabe?

Frauen im Beruf
Edith Stein sieht für Frauen eine politische, berufliche und persönliche Lebensdimension. Im Blick auf die politische und berufliche differenziert sie, dass Gleichstellung der Frau nicht völlige Gleichheit mit dem Mann heißt, sondern gleiche Anerkennung bedeutet. Hinsichtlich Sinn-erfahrung unterscheidet sie zwischen Beruf und Erwerbstätigkeit. Finanzielle Not macht die Erwerbstätigkeit von Frauen für den Erhalt der Familie erforderlich und kann zu einer Belastung werden, die Frauen anders trifft als Männer. Erfülltes Berufsleben aber ist etwas anderes. Sie ist überzeugt, dass Frauen – unabhängig, in welchem Beruf sie arbeiten, – durch ihre weibliche Art, wie sie ihn ausüben, das jeweilige Berufsbild neu gestalten können.

Berufung der Frau
„Berufung“ bezeichnet – über die Lebensentscheidung von Priestern und Ordenschristen hinaus – auch erfülltes Berufsleben. Sie umschreibt die Stimmigkeit von innerer Einstellung und äußerem Handeln; einem Potential zufriedenen Lebens, trotz Mangel und Widerstand, das auf einen vernehmbaren und doch geheimnisvollen Ruf zurückgeht. Gibt es – in diesem Sinn – überhaupt eine „Berufung der Frau“, wo doch das Frau-Sein naturgemäß ist? Dem Schöpfungsbericht nach ist jeder Mensch – also auch die Frau – nicht nur von Gott geschaffen, sondern auch berufen.

Für Stein ist die Berufung in der „Natur des Menschen“ vorgezeichnet. Ein beredtes Zeugnis ist ihr eigener Berufsweg – geprägt von ihrer Begabung zu wissenschaftlicher Tätigkeit und dem Suchen nach geeigneter Berufsausübung. Mit dem Eintritt in den Karmel (1933), so meinte sie, sei wissenschaftliches Arbeiten zu Ende. Ihr philosophisches Hauptwerk „Endliches und ewiges Sein“ (1935–37) zeigt, dass ihre Vorgesetzten sahen, was in „ihrer Natur vorgezeichnet“ und somit ihre Berufung war.
In kirchengeschichtlichen Quellen beobachtet Edith Stein, dass der Berufung zum Ordensleben stets Männer und Frauen folgten, doch die Berufung zum Priestertum Männern vorbehalten ist. Sie nimmt auch Bezug auf geweihte Diakoninnen, deren Wirken in der Westkirche bis ins 8. Jahrhundert bezeugt ist. Weihe bedeutet im ursprünglichen Sinn immer, dass sie einem Menschen „für andere“ gespendet wird. 

Die Antwort des Lebens
Bis zum heutigen Tag hat sich eine Vielfalt kirchlicher Berufe entwickelt, die auch von Frauen ausgeübt werden können. Weltweit betrachtet wirken Frauen auf vielfältigste Weise im kirchlichen Leben mit: am Dienst der Verkündigung, des sakramentalen Lebens und der Sorge für die Menschen. Zunehmend stehen auch leitende Positionen in Pastoralämtern, Ordinariaten und theologischen Universitäten Frauen offen. In den Überlegungen Edith Steins finden sich ermutigende Impulse – auch für Frauen des 21. Jahrhunderts – zu kirchlichem Engagement entsprechend der persönlichen Begabung und Berufung. So können Frauen „kirchliches Amt“ mitprägen im Sinne eines „offenen Prozesses“ – und Entwicklung wird geschehen ...

Das Zitat

Heiß bewegten uns alle damals die Frauenfragen. Hans (Biberstein) war unter den Studenten ein weißer Rabe; er trat nämlich so radikal für vollständige Gleichberechtigung der Frauen ein wie nur irgendeine von uns. Oft sprachen wir über das Problem des doppelten Berufs. Erna und die beiden Freundinnen waren sehr im Zweifel, ob man nicht der Ehe wegen den Beruf opfern würde. Wenn man uns damals die Zukunft vorausgesagt hätte! Die drei anderen heirateten und behielten trotzdem ihren Beruf bei. Ich allein blieb unverheiratet, aber ich allein ging eine Bindung ein, der ich mit Freuden jeden anderen Beruf zum Opfer bringen wollte.
Aus dem Leben einer jüdischen Familie,
ESGA 1, S. 88


Nur Gott kann eines Menschen Hingabe ganz empfangen und so empfangen, dass der Mensch seine Seele nicht verliert, sondern gewinnt. Und nur Gott kann sich selbst einem Menschen so schenken, dass er dessen ganzes Wesen ausfüllt und dabei von sich nichts verliert.
ESGA 13, „Die Frau“, S. 26

Esga: Edith Stein Gesamtausgabe