Die 6. Carl-Lampert-Akademie im Hittisauer Ritter-von-Bergmann Saal versuchte neue Zugänge zum komplexen Vorgang der Erinnerung an die NS-Zeit zu erschließen.

Dr. Margit ReiterDr. Margit Reiter
referierte aus ihren Forschungen über den Nationalsozialismus im Familiengedächtnis. Eine in jeder Hinsicht spannende Podiumsdiskussion zum Bregenzerwälder Erinnerungsprojekt gewährte Einblick in die aktuelle Auseinandersetzung mit der „dunklen Zeit“.
Wenn in der Familie über den Nationalsozialismus gesprochen wird, dann wird in erster Linie „über den Krieg“ geredet, führte Margit Reiter aus und referierte über die Konstruktion des Familiengedächtnisses, das sie anhand von Interviews mit Täterkindern erforscht hat.

Das wesentliche Ergebnis ihrer Forschungsarbeit: Reden über den Nationalsozialismus stellt keine geschlossene Erzählung dar. Beiläufige Anekdoten, kleine Geschichten, vage Anspielungen, die vielseitig interpretierbar sind, gleichen einem Puzzle, das von den Nachkommen zusammengefügt werden muss. Dazu kommt die emotionale Scheu vor dem genauen Nachfragen. Was will man überhaupt wissen?
Margit Reiter stellt fest, dass das ins Familiengedächtnis aufgenommen wird, was plausibel erscheint und was zu Gunsten von Eltern und Großeltern gedeutet werden kann. Unliebsame, belastende Bestandteile werden überhört.

Puplikum Carl-Lampert-Akademie HittisauDas Familiengedächtnis ist so ein Konstrukt, an dem jede Generation weiterbaut.
Margit Reiter empfiehlt Skepsis gegenüber den erzählten und weiter gegebenen Geschichten. Dan Bar-Ons Feststellung, dass nicht erzählte Geschichten größere Wirkmacht entfalten als das, worüber man erzählen kann, zeigt sich für Reiter gerade im heutigen Vorarlberg. Die Leerstellen in den Erzählungen sind das Leid der anderen sowie die  Mittäterschaft von Eltern und/oder Großeltern. Das zeigt sich in der Befangenheit gegenüber Juden, ohne jemals direkt einem/r von ihnen in Kontakt gekommen zu sein, in Abwehrreaktionen auf berechtigte Wiedergutmachungsforderungen und in Diffamierungen wie „Amerikanischer Exiljude“ zum Zwecke der Ausgrenzung.

Die Last der Erinnerung.
Erzählungen prägen das Familiengedächtnis, was jedoch nicht heißt, diesen Prägungen vollends ausgeliefert zu sein. Angehörige der Kinder- und Enkelgeneration sind mittlerweile erwachsene Verantwortungsträgerinnen. Sie können die Last des negativen Erbes annehmen oder ablehnen. Neben demonstrativer Gleichgültigkeit und affirmativem Verstehenwollen, bleibt die kritische Auseinandersetzung als dritte Möglichkeit. Anspruchsvoll, konfliktreich, letzlich die einzig heilsame, wenn wir die Geschichte der Ausgrenzungsmechanismen nicht wiederholen wollen.

Podium Carl-Lampert-Akademie alle

Erinnern entlastet.

Es ist im anschließenden Podium sehr klar geworden, wie bedeutungsvoll wahrheitsorientiertes, menschennahes und sachgerechtes Erinnern ist.
Vertreter aus den Gemeinden Alberschwende, Bizau, Andelsbuch und Bezau berichteten, wie sie jeweils vor Ort mit dem Erinnerungsprojekt des Kulturforums Bregenzerwald umgegangen sind. Wenn auch die entlastenden Momente vorhanden sind, so ist doch auch deutlich geworden, dass die Last der „dunklen Zeit“ nach wie vor schwer wiegt. Dennoch sind die Schritte der letzten Jahre in die richtige Richtung gegangen und das Bemühen um gemeinsames Weitergehen ist von allen Seiten bekundet worden. Die Erlebnisse entlastenden Erinnerns werden sicher weitergehen.
Karin Bitschnau / Walter Buder

(Das Podium der Carl-Lampert-Akademie 2009  (v.l.): Moderator Günther Platter (ORF); Hauptreferentin Dr. Margit Reiter (Wien), Dr. Walter Schmolly (Pastoralamtsleiter); Alwin Denz (Vizepräsident des österr. Kameradschaftsbundes), Josef Moosbrugger (LAbg., Bürgermeister von Bizau), MMag. Kurt Bereuter (Kulturforum Bregenzerwald)

www.provikar-lampert.at

aus Kirchenblatt Nr. 47 vom 22. November 2009