Seit Jahrzehnten schwelt zwischen Israelis und Palästinensern ein Konflikt – um Land, um Grenzen, um Sicherheit. Die israelische Sperrmauer, der Bau illegaler israelischer Siedlungen auf palästinensischen Gebieten und wechselseitige militärische Angriffe sind traurige Zeugnisse dieser Auseinandersetzung. Veronika Windischer berichtet von ihrem Friedenseinsatz in der Region.

Susanne Huber

Es geschah in der Nacht

50 Olivenbäume – einfach abgehackt. Israelische Siedler waren da am Werk. Nur ein paar Bäume haben sie unversehrt gelassen. Lulu kann es nicht fassen. Die 70-jährige Palästinenserin sitzt auf der Erde inmitten ihres zerstörten Olivenhains. Vor 35 Jahren hat sie jeden einzelnen Baum gepflanzt, gepflegt, gegossen mit Wasser, das sie auf dem Kopf transportiert hat, damit die Bäume wachsen können. Und nun, von einem Tag auf den anderen, ist alles verwüstet, ist eine wichtige Lebensgrundlage der Familie weg. Wann hier wieder Oliven geerntet werden können, weiß momentan niemand.

Da sein und berichten

Die Zerstörung von palästinensischen Olivenhainen, Häusern oder Feldern durch israelische Siedler sind keine Seltenheit. „Täglich kommt es zu solchen Vorfällen“, erzählt Veronika Windischer. Erst vor kurzem ist sie von ihrem dreimonatigen Friedenseinsatz im Westjordanland zurückgekehrt, das neben dem Gazastreifen und Ostjerusalem seit 1967 von Israel besetzt wird. Als gewaltfreie Menschenrechtsbeobachterin stand sie im Rahmen des ökumenischen Begleitprogramms in Israel und Palästina (EAPPI) an der Seite jener, die von Menschenrechtsverletzungen betroffen sind. Ihr Einsatzgebiet war die Region South Hebron Hills, 20 Kilometer südlich von Hebron. Die Innsbruckerin begleitete palästinensische Kinder zur Schule, um sie vor Attacken israelischer Siedler zu schützen; beobachtete und dokumentierte die Vorgänge an den Checkpoints entlang der israelischen Sperranlage, die Israel und das Westjordanland trennt; sprach mit den Menschen und besuchte Familien, deren Zelte oder Häuser zerstört wurden. „Wir gingen mit Bauern auf ihre Felder und mit Hirten auf ihre Weiden, haben ihnen Schutz geboten, wenn sie Angst vor Übergriffen durch Siedler oder israelische Soldaten hatten“, so die Innsbruckerin. 

Trauer

Lulu trauertAuch zu Lulus Familie wurde das EAPPI-Team gerufen, nachdem ihr Olivenhain im kleinen palästinensischen Dorf At-Tuwani, das unter israelischer Verwaltung steht, verwüstet worden war. „Das war schrecklich. Die ganze Familie ist danach zusammengekommen, um gemeinsam zu trauern. Die Aufregung war groß. In solchen Momenten kann man nur für sie da sein, ihnen beistehen und ihnen versprechen, dass wir das weitertragen und darüber berichten, was mit ihnen geschieht“, sagt Veronika Windischer.

Polizeiposten

Die israelische Besatzung ist überall. Auf den Hügeln rings um die Felder der palästinensischen Bauern liegen illegale israelische Siedlungen mit Polizeiposten. Da stehen schwer bewaffnete Soldaten und beobachten. Treffen Siedler, die in palästinensische Felder eindringen, mit Bauern und Menschenrechtsgruppen zusammen, greift das Militär ein und drängt zuerst die Bauern auf ihren eigenen Feldern zurück, danach die internationalen Organisationen und dann erst die Siedler. „Die Felder werden in Folge zur Militärzone erklärt. Das bedeutet, dass 24 Stunden niemand mehr das Land betreten darf – auch nicht die Bauern, die ihre landwirtschaftlichen Flächen bewirtschaften wollen. Wären da nicht die Friedens- und Menschenrechtsorganisationen zum Schutz der palästinensischen Bevölkerung, wer weiß, ob die Menschen, die hier seit Generationen leben, nicht längst schon vertrieben worden  wären“, schildert die Friedensaktivistin und Sekretärin von Pax Christi Österreich ihre Eindrücke.

„Feuerzone“

Angrenzend an At-Tuwani liegt die Firing Zone 918, eine Gegend, die zum israelischen Militärübungsgebiet Typisches palästinensisches Dorferklärt wurde. In dieser „Feuerzone“ befinden sich elf palästinensische Dörfer. Die Leute wohnen hier entweder in Zelten bzw. in Behausungen mit Betonböden und Planen darüber oder tatsächlich in Höhlen. Es gibt Ziehbrunnen und Generatoren für zwei Stunden Strom am Abend. Die Menschen leben von Getreide, Ziegen- und Schafprodukten. „Hungrige Kinder habe ich nicht gesehen. Spielzeug für die Kleinen findet man hier jedoch nicht, auch keine Bücher oder Kunstgegenstände. Nur das Wesentlichste.“ Es herrschen schwierige Verhältnisse, das Leben wird massiv eingeschränkt. So dürfen die Bewohner der Firing Zone keinen Besuch von außerhalb erhalten, auch nicht von Familienmitgliedern. Nur internationale Menschenrechtsorganisationen oder Friedensgruppen können hinein. „Es gilt hier ein Abrissbefehl, die so genannte „demolition order“, das bedeutet, dass nichts gebaut werden darf und auch bestehende Zelte, Hütten oder Ställe immer wieder abgerissen werden; betroffen davon sind oft zehnköpfige Familien.“

Überfälle

Die Menschen in der Firing Zone leben in ständiger Angst. Bei den Übungen der Militärs werden regelmäßig Familien überfallen. „Während meines Einsatzes haben wir erfahren, dass elf Hütten komplett demoliert und die Leute ausgeraubt wurden. Gegen Mitternacht sind 12 Soldaten gekommen, mit Lärmbomben, die sie in die Häuser warfen, um die Familien zu erschrecken und einzuschüchtern. Gesucht haben sie nach zwei Schafen, die den israelischen Siedlern gestohlen wurden. Doch gefunden haben sie nichts. Es war ein Vorwand, um die Leute zu schikanieren.“

Siedlungsbau stoppen

Gäbe es diesen schrecklichen Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern nicht, so wäre es hier wie im Paradies, sagt Veronika Windischer. „Ich war beeindruckt von der wunderschönen Steinwüstengegend und von der Gastfreundschaft der Palästinenserinnen und Palästinenser.“ Nach Meinung der Pax-Christi-Mitarbeiterin müsste der illegale Siedlungsbau, der stetig vorangetrieben wird, endlich gestoppt werden. „Zwischen Palästinensern und Israelis gibt es ja auch Freundschaften. Ich habe ganz viele Hirten und Bauern getroffen, die ihre guten Beziehungen zu den Israelis pflegen würden, wären da nicht diese Hürden, diese Mauer. Die einen sperren sich ein, die anderen sind ausgesperrt und alle haben Angst vor dem anderen. Es ist vor allem eine politische Sache, denn die Bevölkerung möchte Frieden.“

Traum vom Fall der Mauer

Es gibt auf der israelischen Seite aber nicht nur die Militärs, Soldaten und Besetzer. Es gibt auch jene, die den Dialog zwischen Israelis und Palästinensern fördern und sich für Frieden einsetzen. Zum Beispiel die Israelin Rony Kelder. „Eine tolle, optimistische Frau. Sie hat die Friedensbewegung ,Other Voices‘ gegründet, hält Vorträge und träumt von einem United States of Israel und Palestine mit gleichen Rechten für alle. Sie gibt die Hoffnung nicht auf, dass hier irgendwann die Sperren aufgelöst werden“, so Windischer. Der Fall der Berliner Mauer ist für viele Leute vor Ort ein Beispiel dafür, dass das eines Tages passieren kann.

Infos zum Ökumenischen Begleitprogramm in Israel und Palästina (EAPPI) finden Sie unter:
www.paxchristi.at; www.versoehungsbund.at; www.diakonie.at/auslandshilfe