Wo kann man auf rund zwei Quadratmetern Fläche schon eine Reise durch 500 Jahre Kirchengeschichte zurücklegen? Seit kurzem in der St. Peter Kirche in Rankweil. Dort lässt ein Archäologenteam seit Wochen fast keinen Stein auf dem anderen. Und bringt Erstaunliches zutage.

Keine Frage: Davon, was Mag. Maria Bader mit ihrem Team in der St. Peter Kirche bislang alles gefunden hat und was das bedeutet, hat die Archäologin in letzter Zeit viel erzählen müssen. Oder dürfen. Der Tag der offenen Grabung, zahlreiche Medienvertreter und noch mehr Schaulustige - alle wollen wissen, was da seit Wochen in der Kirche vor sich geht. Und Bader wird nicht müde, begeistert davon zu erzählen. Grund dafür sind zahlreiche Funde, aufgrund derer die Geschichte der Kirche umgeschrieben werden muss. Denn: St. Peter ist wesentlich älter, als es die erste urkundliche Erwähnung im frühen 9. Jahrhundert vermuten lässt - und zählt somit zu den ältesten Kirchen Vorarlbergs.

Alte Steine
Fast alle heutigen Kirchen haben ältere Vorgängerbauten, erklärt Bader. Schließlich wird eine Kirche nicht einfach verlegt, sondern an Ort und Stelle erweitert. Oder das alte Gemäuer als Fundament wiederverwendet. So war es dem fünfköpfigen Archäologenteam der Firma TALPA möglich, Reste dreier Gotteshäuser freizulegen, von dem das älteste ins 7. / 8. Jahrhundert datiert werden kann. Das ist auch der Grund, warum bei den Grabungen viele Skelette freigelegt wurden: Durch die vielen Erweiterungen der Kirche(nmauern) "rutschten" die Gräber vom ursprünglichen Friedhof in den Kirchenraum. Darunter auch 21 Kindergräber, die damals entlang der Kirchenmauer bestattet wurden. "Die Nähe zum Allerheiligsten, die Vorstellung von den sogenannten Trauffkindern (Anm.d.Red.: Das Begraben des toten Kinderkörpers unter der Dachtraufe von Kirchen oder Kapellen), des Schutzes und der Segnung" spielten dabei eine große Rolle, so Bader.

500 Jahre
Steht man in der Mitte der Kirche kann man mit wenigen kleinen Schritten im wahrsten Sinne des Wortes gleich mehrere Bauepochen durchschreiten. Da wäre die oberste, aus der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts stammende gotische Schicht, der „aktuellen“ Kirche. Damals wurde St. Peter lediglich etwas vergrößert und im beginnenden 17. Jahrhundert barockisiert, sprich: Stuck und ein neuer Boden wurden angebracht, aus den Mauern Nischen herausgeschlagen und die jetzige Sakristei angebaut.

Filigrane Malerei
Darunter befindet sich der romanische Neubau, der im 12. und 13. Jahrhundert entstanden ist und vor allem durch seine Wandmalerei bestach. Dass die Fragmente dieser qualitätsvollen Malerei  bis heute erhalten geblieben sind, ist der Tatsache zu verdanken, dass sie bei der nächsten Bauphase heruntergeschlagen und dieses „Bauschuttmaterial“ als Frostkoffer verwendet wurde, freut sich Bader. Neben den Fragmenten wurden in der Vorhalle zudem einige Gräber gefunden, wo Bader noch weitere Skelette vermutet. Genug Arbeit für die nächsten Wochen also.

Zurück in die Vergangenheit

Es folgt der bis vor kurzem älteste (und urkundlich erwähnte) Teil der Kirche, der in der karolingischen Zeit im ausgehenden 8. / 9. Jahrhundert entstanden ist. Eine Überraschung für das Archäologenteam stellte wie bereits erwähnt der Fund von 21 Kindergräbern und eines Erwachsenengrabes im Altarbereich dar, in die der karolingische Steinbau „einschnitt“. „Da war uns klar: Wir gehen noch weiter zurück in die Vergangenheit“, erinnert sich Bader. Traditionell wurden Gräber nämlich nicht inner-, sondern außerhalb entlang der Kirchenmauer angebracht. Nach intensiver Suche fand das Archäologenteam vor zwei Wochen schließlich Reste von Trockenmauerwerk, was auf einen Holzbau rückschließen lässt. Die Vermutung, dass eine frühmittelalterliche Holzkirche aus dem 7. / 8. Jahrhundert mit zugehörigem Friedhof gefunden wurde, muss jetzt „nur noch“ verifiziert werden. 

Wem gehörte St. Peter?
Fast ebenso interessant wie Größe, Beschaffenheit, Grundriss und Bauart der Kirche sind die Besitzverhältnisse, die im Laufe der Jahre gewechselt haben. Eine Quelle aus dem beginnenden 9. Jahrhundert belegt, dass St. Peter zu Beginn im königlichen Besitz, nämlich im Besitz der Karolinger war. Man spricht hier von einer königlichen Eigenkirche. Konkret bedeutet das, dass der Regent den Pfarrer und damit auch die Person, die die Seelsorge übernimmt, bestellt. Im Jahr 881 schenkt Karl III. die Kirche  dem Bischof von Chur, im 13. Jahrhundert gelangt sie in den Besitz des Klosters Kreuzlingen. Egal wem die Kirche gehörte, "für den Menschen, der in die Kirche gegangen ist, den Gläubigen, der Trost gefunden hat, der gebetet hat, hat sich nichts geändert", hebt Bader hervor. Die Kirche war und ist eine Kirche für die Bevölkerung.

Nur Steine und Dreck?
Was für die Archäologin Indizien für neue Kirchen sind, sind für den Laien auf den ersten Blick (leider) nur Steine mit etwas Dreck dazwischen. Maria Bader versteht es aber, die Begeisterung für die Abfolge von Steinen und Mörtel anderen nicht nur zu erschließen, sondern auch in ihnen Begeisterung zu wecken. Bauphasen vom 7. bis zum 12. Jahrhundert - komprimiert auf rund zwei Quadratmetern sieht man schließlich nicht alle Tage. Die dünne Schicht Bauschutt zwischen den jeweiligen Steinschichten gibt, grob gesagt, Hinweis auf die verschiedenen Bauphasen. Und auch auf die Größe und Ausrichtung der Kirche und Mauern.

Besonders interessant ist beispielsweise, dass der Westabschluss der Kirche, also die westlichste Mauer, 500 Jahre gleich geblieben ist. Dort kann man auch die vier verschiedenen Bauphasen sehen. Normalerweise, so Bader, wandert der immer weiter in den Westen.  Nur im Chor hat sich eine Vergrößerung ergeben. Gründe, warum eine Kirche erweitert oder umgebaut wurde, gibt es viele: Brand, Erdbeben, Modegründe, Modernisierung, demografische Gründe oder der Wunsch zu zeigen, "dass man es sich leisten kann".

Eindrucksvoll
Für einen Laien ebenfalls sehr eindrucksvoll ist der Blick, der sich ergibt, wenn man zwischen Altar und Kirchenschiff steht. Im Altarbereich kann man die Kindergräber und das Erwachsenengrab sehen, dreht man sich um 180 Grad steht man vor fünf Priestergräbern. Sie wurden, im Gegensatz zu den anderen Gräbern, wirklich innerhalb der Kirchenmauern beerdigt.

Mehr als Steine
Neben Steinen und Malereifragmenten hat das Archäologenteam natürlich auch Münzen, Keramik- und Glasscherben sowie Grabbeigaben wie Teile von Gebetsketten und zahlreiche Skelettegefunden. Ein besonders schönes Stück ist der sogenannte Handheller, ein Zahlungsmittel, in den vorne ein Kreuz und hinten eine Hand geprägt sind, und der aus dem 14. Jahrhundert stammt. Und nun? Nun folgen das Fertigstellen der Grabungen sowie naturwissenschaftliche und anthropologische Untersuchungen an Gräbern und Fundmaterial. Und vielleicht auch eine Publikation. Es bleibt auf alle Fälle spannend.