Es kann ganz schnell gehen und jeden treffen: Der Verlust der Arbeitsstelle, Wohnungslosigkeit, das Abdriften in ein Suchtverhalten. Eine Anlaufstelle für Menschen in verschiedenen Notlagen ist das Kaplan Bonetti Haus in Dornbirn, das im letzten Jahr nicht nur auf Sanierung und Neubau, sondern auch auf ein erfolgreiches Jahr zurückblicken kann. Geschäftsführer Peter Mayerhofer im KirchenBlatt-Gespräch mit Simone Rinner.

Bild rechts: Peter Mayerhofer in einem der neuen, einfachen Zimmer. (Alle Fotos: Gmeiner)

KirchenBlatt: Trotz eines angeblichen Wirtschaftsaufschwungs sind und bleiben die Arbeitslosenzahlen hoch. Wo liegen hier die Chancen bzw. Ansatzpunkte? Was leisten hier die Kaplan Bonetti Sozialwerke?

Mayerhofer: Arbeitslosigkeit hat immer strukturelle und individuelle Ursachen. Strukturell bietet der Arbeitsmarkt zu wenige Arbeitsplätze für niedrig qualifizierte und/oder in ihrer Leistungsfähigkeit beeinträchtigte Menschen. Diesbezüglich hat eine Verlagerung in Billiglohnländer stattgefunden, welche kurz- und mittelfristig nicht mehr rückgängig gemacht werden wird können. Wir müssen aber zumindest einer weiteren Entwicklung in diese Richtung gegensteuern: Durch Senkung von Lohnnebenkosten, durch Steigerung von Transportkosten, durch gezielte Förderprogramme, aber auch durch bewusstseinsbildende Kampagnen gegen die „Geiz-ist-geil“-Mentalität und für den Wert von Qualität und Regionalität. Die Förderung gemeinnütziger Beschäftigungsprojekte sind ein wichtiges Element dazu, weil dadurch einfache produktive Tätigkeiten im Land gehalten werden. Gerne sind wir mit den Kaplan Bonetti Arbeitsprojekten deshalb auf diesem Gebiet tätig. Wichtig ist uns dabei aber auch, bei den individuellen Vermittlungshemmnissen anzusetzen: Durch gezieltes Coaching, durch Weiterbildungsangebote, durch die Bearbeitung von Umfeldproblemen in den Bereichen Wohnen, Gesundheit, soziales Netz, Motivation usw.

Die Kaplan Bonetti Sozialwerke liegen an einem neuralgischen Punkt, wo viele Menschen „stranden“. Stichwort Bahnhofsvorplatz  als Hotspot für Alkoholmissbrauch, Bettler, etc.. Was wären Ihres Erachtens adäquate Maßnahmen? Was braucht es hier mehr? Was weniger?

Betteln oder Alkoholmissbrauch an öffentlichen Plätzen sind vor allem eines: Sichtbarer Ausdruck von Armut. Vertreibung hilft hier gar nichts, sondern bedeutet immer nur eine Verlagerung. Alle Maßnahmen, die der Armutsbekämpfung dienen – materielle Hilfen, niederschwelliges Gesundheitssystem, Wohnungslosenhilfe, menschliche Zuwendung uvm. – werden helfen, diese Phänomene zu reduzieren. Gerade der Aufenthalt an öffentlichen Plätzen ist aber in vielen Fällen vor allem auch Zeichen einer sozialen Kontaktarmut: Die betroffenen Menschen wollen dort sein, wo etwas los ist, wo Begegnung passiert. Hier als Passant die eigenen Berührungsängste abzulegen und ab und zu einmal mit jemandem das Gespräch zu suchen, kann für beide Seiten schöne Erfahrungen mit sich bringen. Und nur, wenn wir Kontakt zu jemandem finden, können wir auch Themen wie Verunreinigungen, Lärm oder Belästigungen ansprechen und eine Veränderung bewirken.

Immer wieder ist die „Bettler-Problematik“ Gegenstand medialer Berichterstattung...

Warum ist es ein Problem, wenn jemand bettelt? Jeder ist frei, zu geben oder auch nicht, und Betteln ist ein Menschenrecht. Das Problem sind nicht die bettelnden Menschen, sondern das Wohlstandsgefälle innerhalb Europas. Dagegen gilt es anzukämpfen. Und wenn ich nicht will, dass Notreisende bei uns in den Wäldern hausen, muss ich ihnen eine bessere Lösung anbieten. Das Engagement z. B. von Pfarrer Pucher in Graz zeigt, dass das geht und dass deswegen nicht immer mehr Bettler unser Land „überschwemmen“.

In den letzten Jahren wurde viel Geld in die Kaplan Bonetti Sozialwerke investiert. Was ist nun möglich, das vorher nicht umzusetzen war? Was hat sich verbessert?

Besonders für eine Einrichtung der stationären Wohnungslosenhilfe ist die bauliche Infrastruktur essentiell. Diesbezüglich war der Zustand des ehemaligen „Hauses der jungen Arbeiter“ in den letzten Jahren eine Zumutung und hart an der Grenze zur Menschenunwürdigkeit. Eine Sanierung und Modernisierung war schlicht und einfach notwendig. Die Erfahrung zeigt, dass ein schöneres, gepflegtes Wohnumfeld auch positive Auswirkungen auf die Verhaltensweisen und den Gemütszustand der Bewohnerinnen und Bewohner hat. Insofern fällt uns in den neuen Räumlichkeiten auch die Betreuung leichter, und Einzelzimmer mit Nasszellen Kaplan Bonetti Symbolbild Tischlereierhöhen die Flexibilität in der Zimmerbelegung und –einteilung ungemein. Sehr freuen wir uns auch schon auf zusätzliche Gemeinschaftsräume, die die Möglichkeit zu vielfältigeren Freizeit- und Beschäftigungsangeboten schaffen.
Mit den neuen Räumlichkeiten für unsere Arbeitsprojekte, welche wir bereits letztes Jahr beziehen konnten, ist es im Grunde ähnlich: Ein zeitgemäßer, schöner Standard ist Zeichen von Wertschätzung, sorgt für Wohlbefinden bei der Arbeit und damit auch für mehr Motivation und Leistungsbereitschaft. Dazu kommen noch logistische Vorteile durch die Zusammenlegung aller Werkstätten an einem Standort.

Die Kapelle der Kaplan Bonetti Sozialwerke ist dank des Umbaus nun öffentlich zugänglich. Was versprechen Sie sich davon, wenn die Kapelle an den Bahnhof „angebunden“ ist?

Noch ist die Kapelle nicht fertig. Wir denken aber, dass wir mit der geplanten Öffnung der Kapelle einen sehr ansprechenden Ort der Stille im unmittelbaren Bahnhofsumfeld anbieten können, der auch gerne für gelegentliche offene spirituelle und kulturelle Angebote zur Verfügung steht. Außerdem ist die Kapelle auch äußeres Zeichen unserer inneren Verbundenheit mit der Kirche und dem Fundament des christlichen Menschenbilds.


Welchen Stellenwert haben Arbeiten und Wohnen für Menschen?

Kaplan Bonetti Symbolbild BeratungsstelleWohnen ist ein Grundbedürfnis und Menschenrecht. Eine eigene Wohnung sorgt für Geborgenheit, Rückzugsmöglichkeit und Intimsphäre, schafft aber auch die Möglichkeit, andere Menschen zu sich einzuladen und Freundschaften und Beziehungen in einem geschützten Rahmen zu pflegen. Auch Arbeiten dient zu weit mehr als zur Beschäftigung und Sicherung der materiellen Lebensgrundlage: Eine Arbeit zu haben vermittelt das Gefühl, gebraucht zu werden, stiftet Sinn, schafft im Idealfall die Möglichkeit zur Entfaltung der je eigenen Talente und Fähigkeiten und eröffnet den Zugang zu zahlreichen sozialen Kontakten. Insofern sind wir mit den Themen Arbeiten und Wohnen als Hilfseinrichtung sehr nahe an den wirklich existentiellen Fragen der Menschen.

Die Kaplan Bonetti Sozialwerke bieten auch sogenannte "Trainingswohnungen". Was ist das und warum sind diese wichtig?

Wer längere Zeit in einer stationären Einrichtung (Wohnheim, Krankenhaus, Pflegeheim usw.) verbringt, verlernt oft jene Fähigkeiten, die es für die selbständige Organisation eines Haushalts braucht. Dem versuchen wir entgegenzuwirken, indem wir neben dem Wohnheim mit Vollversorgung für jene, die dies in ihrer momentanen Situation brauchen, auch Wohngemeinschaften mit verschiedenem Grad an selbständiger Haushaltsführung anbieten.

Wenn man einen Blick in den Jahresbericht wirft, kann man ein Ungleichgewicht zwischen den Geschlechtern feststellen: Warum „stranden“ mehr Männer (87%), als Frauen (13%)?

Kaplan Bonetti Symbolbild WerkstattFrauen neigen viel mehr als Männer dazu, ihre Wohnungsnot zu verbergen, um die gesellschaftliche Anerkennung als Frau nicht ganz zu verlieren. Aus Scham oder Schuldgefühlen suchen sie dann nach privaten Lösungen, die sie sehr oft in neue Abhängigkeiten führen. Sie leben nach einem Wohnungsverlust häufig in Provisorien und unsicheren Wohnverhältnissen, tauchen bei Bekannten, Verwandten unter oder kehren in ihr Elternhaus zurück. Oft lassen sie sich auch auf Zweckpartner und Zufallsbekanntschaften ein und sind dann in diesen Kontakten manchmal vielen Nötigungen und offener Gewalt ausgesetzt. Weibliche Wohnungslosigkeit bleibt somit vielfach verdeckt.

Und warum sind von der Wohnungsnot vorwiegend 45 bis 54-Jährige betroffen?

So signifikant sehe ich das Überwiegen dieser Altersgruppe nicht. Die Altersverteilung der Klientinnen und Klienten der Wohnungslosenhilfe ist zwischen ca. 25 und 65 Jahren relativ gleichmäßig. Bei den ganz Jungen greifen glücklicherweise oft noch Maßnahmen der Jugendhilfe bzw. mit Anfang Zwanzig ist die Bereitschaft und Flexibilität zu provisorischen Lösungen oder auch die Bindung ans Elternhaus im Durchschnitt sicher noch höher. Und dass es wenig über 65jährige in der Wohnungslosenhilfe gibt, ist wohl auf die geringere Lebenserwartung wohnungsloser Menschen zurück zu führen.

Wie sehen Sie die Zukunft und Entwicklung der Kaplan Bonetti Sozialwerke?

Ich gehe davon aus, dass es (leider) auch in den nächsten Jahrzehnten immer Menschen in unserem Land geben wird, die Unterstützung in den Bereichen Wohnen und Arbeiten brauchen. Diesen Schwerpunkten wollen wir jedenfalls treu bleiben und unsere diesbezüglichen Hilfsangebote weiterhin kontinuierlich verbessern und professionalisieren. Die Entwicklung, dass wir dabei nicht nur Auffangnetz in akuten Notsituationen, sondern vor allem auch „Sprungbrett“ für einen Neuanfang sein wollen, möchte ich konsequent weiterverfolgen. Persönlich wichtig ist mir auch, dass der Zugang zu unseren Leistungen immer ein niederschwelliger sein soll. Präventive sowie aufsuchende und nachgehende Ansätze, wie wir sie vor allem mit unserer 2009 ins Leben gerufenen ambulanten Arbeit der Kaplan Bonetti Beratungsstelle begonnen haben, spielen dabei eine bedeutende Rolle.

Ein paar Sätze zum Geld: Wie werden die Kaplan Bonetti Sozialwerke finanziert?

2013 waren 29% unserer Einnahmen Lohn- und Gehaltszuschüsse von AMS und Land für unsere Arbeitsprojekte, 27% Produktionserlöse aus unseren Arbeitsprojekten, 22% Tariferlöse aus dem Sozialfonds des Landes für die Wohnprojekte, 13% Eigenerläge unserer Bewohnerinnen und Bewohner, 7% Abgeltung der Beratungen und Betreuungen unserer Beratungsstelle aus dem Sozialfonds und 2% sonstige Einnahmen wie Spenden, Anlagenverkäufe, Zinsen und anderes.

Inwieweit sind die Kaplan Bonetti Sozialwerke eine soziale Einrichtung? Oder wie verstehen Sie Ihren Auftrag? Ist Ihre Arbeit, im Blick auf Emil Bonetti, religiös motiviert?

Der Inhalt und die Qualität unserer Arbeit darf sich nicht danach richten, welcher Religionsgemeinschaft wir uns zugehörig fühlen. Grundlage dafür sind allgemeine humanitäre Grundsätze und ein sozialarbeiterisches Berufsethos, wie es in Hilfseinrichtungen ohne expliziten christlichen Bezug genauso vorzufinden ist wie bei uns. Unser Auftrag ist schließlich ein gesellschaftlicher und kein religiöser – immerhin werden 58% unserer Kosten auch von der öffentlichen Hand getragen. Bei der Frage, warum wir das tun, was wir tun, spielen christliche Grundüberzeugungen hingegen sehr wohl eine Rolle und sind so auch in unseren Unternehmenskonzepten verankert. Das Evangelium liefert dabei für mich ganz wertvolle Leitsätze wie: „Er hat mich gesandt, damit ich den Armen eine frohe Botschaft bringe“ (Lk 4,18); „Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan“ (Mt 25,40); „Verurteilt nicht, dann werdet auch ihr nicht verurteilt werden“ (Lk 6,37). Der christliche Glaube verlangt aus meiner Sicht geradezu danach, sich sozial zu engagieren. Insofern sehe ich unsere Arbeit als kirchlichen Grundvollzug und meine eigene Tätigkeit in dieser Einrichtung als Verwirklichung meiner persönlichen Berufung.

Wie wichtig sind die  Kaplan Bonetti Sozialwerke für Dornbirn?

Da will ich uns jetzt nicht zu sehr selbst beweihräuchern. Persönlich glaube ich natürlich, dass das, was wir tun, gut und wichtig ist – für Dornbirn und auch darüber hinaus. Dass es in Vorarlberg so gut wie keine manifeste Obdachlosigkeit gibt, ist sicherlich ganz wesentlich auch ein Verdienst von Kaplan Bonetti. Und dass wir unseren Schwerpunkt auf die Hilfe für Menschen setzen, die anderswo keine Unterstützung mehr finden – weil sie Voraussetzungen nicht erfüllen oder Regeln nicht einhalten (können) – lässt uns eine nicht ganz unbedeutende Rolle für die gesamte Soziallandschaft des Landes zukommen.