Univ. Prof. Dr. Roman A. Siebenrock*) zur leiblichen und seelischen Aufnahme Mariens in den Himmel, dem kirchlichen Hochfest am 15. August.

zum Foto: Die Verkündigung des neuen Dogmas der leiblichen und  seelischen Aufnahme Mariens in den Himmel erfolgte in Anwesenheit von 75 Kardinälen und 600 Bischöfen am 1. November 1950 durch Papst Pius XII. auf dem Petersplatz in Rom. 

Was die Kirche in enthusiastischer Form formell verkündet, drückt immer unsere christliche Hoffnung für alle aus. Weil sich die christliche Hoffnung prinzipiell auf alle bezieht, kann sie nie ihren letzten Grund in uns selbst, sondern allein in Gott finden. Dieses Dogma ist daher wie ein Kompass auf unserem Pilgerweg durch die Zeit, als einzelne und als Gemeinschaft aller Glaubenden, ja auch der ganzen Menschheit. Die Glaubensaussage von der Aufnahme Mariens in den Himmel bringt in menschlicher, endlicher und schuldbedrohter Sprache zum Ausdruck, was Gottes Heilswille für alle eröffnet und bereits verwirklicht hat. Deshalb kann sie uns auch eine Antwort auf die Urfrage unserer menschlichen Existenz geben: Woher komme ich, wohin gehe ich, wer bin ich?

Das Zweite Vatikanische Konzil hat Maria als die eschatologische, endzeitliche Gestalt der Hoffnung uns vor Augen gestellt. An ihr wird erkennbar, wohin die Reise unseres Lebens geht. Wenn immer die Kirche daher im Dogma Gott preist und bekennt, sagt sie mehr als sie aktuell wissen und in der Sprache von uns Sündern ausdrücken kann. So werden auch wir heute eingeladen, das eine Geheimnis der Gnade Gottes, seiner Gegenwart in Jesus Christus, so in uns Wirklichkeit werden zu lassen, dass es uns erhebt, verändert und neu auf das Ziel unseres Lebens und allen Fleisches ausrichtet. Denn in einem Fest geschieht stets eine Unterbrechung des Alltags, kann sich eine Aufhebung der Zeit ereignen; und vielleicht erfahren wir in diesen festlichen Stunden sogar den Einbruch der Ewigkeit, sehen einen Strahl des Himmels.

Die Aufnahme Mariens in den Himmel mit Leib und Seele ist das Fest vom ewigen Wert und der bleibenden Würde des ganzen Menschen, aus Fleisch und Blut. - Inmitten eines Jahrhunderts, das wie kein anderes der Weltgeschichte, von der Vernichtung von Menschen und der Zerstörung ihrer Würde gezeichnet ist, wurde dieses Fest von Papst Pius XII. in das Gedächtnis der Kirche und damit der Menschheit eingemerkt. Es erinnert, dass die Würde des Menschen nicht in Geldwert errechnet werden kann, sondern allein in der Frage aufgeht: Für wen bin ich wertvoll, wer ist mir wertvoll? Wer sagt JA zu mir, zu uns? Das Urwort des christlichen Glaubens lautet: JA! Die Marienfrömmigkeit war immer kosmisch, immer unbändig in ihrer Bejahung der Welt. Gott hat diese Frau erwählt als Mutter seines Sohnes. So sind auch wir erwählt durch unsere bloße Existenz und durch unsere Taufe. Und jede Person, die Gott durch seine Erwählung ins Herz geschrieben hat, bewahrt er in alle Ewigkeit. Die unbedingte Würde des Menschen hängt daher nicht an unseren Leistungen, sondern daran, dass Gott selbst uns unbedingt bejaht. Gott hat uns zuerst geliebt.

Die Erinnerung an die Entschlafung Mariens ist das gefährliche Fest der Alternative Gottes zu unseren Wertvorstellungen.  - Wir können dieses Fest nicht feiern, ohne dass wir uns mit offenen Augen zur Leidensgeschichte der Menschheit und der Schöpfung zuwenden. Wir wissen, welche grausigen Experimente der europäische Nihilismus bis heute anzettelt. Aus diesem Todesbewusstsein, dieser Nichtigkeitserfahrung erwächst aber auch die große Kunst, in der sich die Humanität gegen die Bestie und die Verzweiflung in uns kehrt. (...) Dieses Fest ruft uns in die große Verwandlung, will uns bekehren, allen unseren Mitmenschen, der Nachbarin neben mir, dem Bettler am Wegesrand, den Alten, Kranken, vor allem jenen, die wir innerlich bereits abgeschrieben haben, in jener Würde zu begegnen, die das heutige Fest gerade ihnen zuschreibt: Er erhöht die Niedrigen und stürzt die Mächtigen vom Thron, er lässt die Stolzen leer ausgehen: so sang das Mädchen aus Nazareth. Und bedenken wir: von diesem Mädchen (wie von unzähligen anderen) hat die sogenannte Weltgeschichte damals keine Notiz genommen. Gott aber vergisst niemanden.

Der hohe Frauentag ist das Fest von der besonderen Würde der Frau. - Gott hat sich in seinem Wort dieser Frau anvertraut, dem Ja eines einfachen Mädchens, dem schwächsten und kleinsten aller möglichen menschlichen Worte. Er hat sich uns Menschen ausgesetzt. Und in diesem scheinbar so schwachen Ja der begnadeten Freiheit dieser jungen Frau aus Galiläa feiern wir die geschichtliche Konkretheit der absoluten Nähe Gottes zu uns in Jesus Christus. In diesem Fest erkennen wir aber auch die besondere Nähe dieser Frau zu Gott. Gott hat keine Berührungsängste. Er fürchtet nicht um seine Souveränität und Einzigartigkeit durch die Nähe zu uns. Gottes Größe lebt nicht vom Ausschluss, sondern in einer alles umfassenden Beziehung der Liebe. Wir müssen nicht klein werden, um Gott groß sein zu lassen. Das Fest der Erhebung dieser Frau ist für unsere Kirche immer auch ein gefährliches Fest. Jedes Fest zeigt uns, dass wir in zeitlicher Gestalt und Stunde nicht jener Hoffnung entsprechen, die uns der Glaube eröffnet. Der wahren Kirche Jesu Christi ist immer Wandlung zugemutet. Im Horizont dieses Festes bin ich der festen Überzeugung, dass die angemessene Stellung der Frau in unserer Kirche noch nicht verwirklicht ist.

Mariä Himmelfahrt ist das Fest einer universalen Hoffnung. - Gottes geschichtliche Erwählung ist immer konkret. Sein Wort trifft immer einzelne Menschen, in all ihren Ambivalenzen und Abgründen, schließt aber immer eine Sendung für alle ein. Das Evangelium nach Lukas, das ja immer das marianische genannt worden ist, spricht von der Menschenfreundlichkeit Gottes.
Das heutige Fest eröffnet uns eine Ahnung von der Passion Gottes, der Leidenschaft seiner Menschenfreundlichkeit, die dem verlorenen Schaf nachgeht, auf den Sohn wartet und den Mördern noch am Kreuz vergibt. Gerade die Marienfrömmigkeit hat im Bild vom Schutzmantel in jenen Zeiten, in denen diese Liebe Gottes durch unsere Ängste und Gottesverzerrungen bis zur Unkenntlichkeit verstellt worden ist, die Erinnerung an die Barmherzigkeit Gottes bewahrt.
Der Mantel Mariens, das Ursymbol der Barmherzigkeit Gottes, deckt nicht nur die Katholiken, nicht nur die Christen, er deckt die weite Welt - und weil das zu wenig ist, hat der Dichter des bekannten Marienliedes es verdoppelt: die weite, weite Welt. Inmitten der Katastrophe des 30-jährigen Krieges ein solches Lied!

Das Lob dieser Hoffnung entspringt offenen Augen zur Leidensgeschichte der Menschheit, die Maria in ihrem eigenen Leben erfahren hat. Sie ist nicht nur himmlische Königin und die Mutter der Barmherzigkeit, sondern jene Frau, durch deren Herz ein Schwert gedrungen ist. Doch in allen Darstellungen Mariens, in allen Wallfahrtsorten sehen wir nicht ein Bild der Rache und der Vergeltung, sondern ein Bild der Hoffnung und der Seligkeit, das uns mitteilt, dass Christus die Gewaltlogik dieser Welt überwunden hat. Es ist das Fest der Hoffnung auf die Vollendung und Erlösung der ganzen Schöpfung, das Fest der Überwindung der Rache, ein Fest der Freude der Niedrigen, Trauernden, Demütigen. Also: „Lass Dich verwandeln, blick über Dich hinaus, glaube, hoffe und liebe. Schließe niemanden aus. Der Weg des Glaubens trägt. Auch Du wirst ankommen.“

*) Professor für Dogmatik an der Theologischen Fakultät der Universität Innsbruck. Wir bedanken uns für die Nachdruckerlaubnis der
 (leicht veränderten) Predigt, die Prof. Siebenrock am 15. August 2008 in der Innsbrucker Jesuitenkirche gehalten hat.

Links:
_ Der integrale Text dieses Artikel ist im Leseraum der Theologischen Fakultät, Innsbruck verfügbar.
_ Interpretationen der Bildenden Kunst zum Thema: Aufnahme Mariens in den Himmel (Maria Himmelfahrt) bei www.bildimpuls.de