Mit einiger Spannung war sie erwartet worden, die gemeinsame Enzyklika von Papst Franziskus und seinem Vorgänger Benedikt XVI. Ein „Lehrschreiben zu vier Händen“ gab es in der Kirche noch nie.

Alois Halbmayr

Die Spekulationen blühten. Wird die Handschrift des neuen Papstes schon erkennbar sein? Werden neue Akzente gesetzt? Die Lektüre des Textes zeigt: Diese Enzyklika ist ein Dokument des Übergangs. Franziskus reiht sich zum einen ganz in die Spuren seines Vorgängers ein, setzt aber im Schlussteil einige, wenn auch noch recht zaghafte neue Akzente. Man darf daher gespannt sein, ob und wie sich diese neuen Akzente in den anstehenden Strukturreformen und Personalentscheidungen auswirken werden.

Vermächtnis
Die Enzyklika mit dem Titel „Licht des Glaubens“ (Lumen Fidei) schließt die Trilogie ab, die Benedikt mit einer Enzyklika über die Liebe (Deus Caritas, 2005) und die Hoffnung (Spe Salvi, 2007) begonnen hatte, aber durch seinen Rücktritt im Frühjahr dieses Jahres nicht mehr beenden konnte. Franziskus schreibt selbst im Vorwort, dass er die wertvolle Arbeit seines Vorgängers übernommen und „den Text durch einige weitere Beiträge“ ergänzt habe (Nr. 7). Sprache, Stil und Bezüge deuten darauf hin, dass ein Abschnitt aus der Einleitung und das letzte Kapitel die Handschrift des neuen Papstes tragen. Es ist und bleibt aber ein Werk, aber mit unterschiedlicher Linienführung.

Lehrstück
Der Text bringt noch einmal alle Themen und Überzeugungen, für die Benedikt in seinem knapp achtjährigen Pontifikat oft recht vehement eingetreten ist: das Verhältnis von Vernunft und Glaube, die enge Bindung des Glaubens an die Wahrheit, die Absage an jeden Relativismus, die Skepsis gegenüber dem (auf Messbares) reduzierten Vernunftbegriff der Moderne, die Notwendigkeit der Einheit im Glauben, die Kirche als treue (und einzige) Hüterin der Wahrheit. Zum Abschluss des von Benedikt ausgerufenen „Jahr des Glaubens“ wird ein theologisches Lehrstück vorgelegt, das einem Vermächtnis gleicht und alle Vorzüge, aber auch die Grenzen seines Ansatzes zeigt. In einem großen Bogen und anhand exemplarischer Gestalten buchstabiert diese Enzyklika aus, was Glauben heißt, in welcher Weise Christus den unverrückbaren Bezugspunkt bildet. Wer glaubt, sieht mehr (Nr. 18). Und: „Die Geschichte Jesu ist der vollkommene Erweis der Verlässlichkeit Gottes“ (Nr. 15). Meisterhaft wird die Lichtmetapher auf Christus hin in ihren verschiedenen Bezügen erhellt. Aufschlussreich, wenn auch merkwürdig „zeitlos“, sind die in einer selten gewordenen Mischung aus theologischer Reflexion und meditativer Grundhaltung entfalteten  Ausführungen über den Glauben als Hören und Sehen, über das unaufgebbare Ineinander von Glaube und Vernunft, von Wahrheit und Liebe.
Zugleich werden jedoch auch Positionen wiederholt und eingeschärft, die innerkirchlich längst umstritten sind und auf eine Lösung drängen: der einseitige, pessimistisch gefärbte Blick auf die Moderne, die Überbetonung von Lehramt und Hierarchie, eine verkürzte Theologie der Sakramente, ein einseitiges Familienbild. Seltsam blass bleibt der Text, wenn es um mögliche Glaubensgründe geht. Es ist keine Rede vom Glaubenssinn der Gläubigen, vom Volk Gottes auf dem Weg durch die Zeit, von Frauen und Laien, auch nichts von den Schwierigkeiten und dem Mut, den es braucht, um in der Welt von heute den Glauben zu leben und weiterzutragen.

Neue Töne leise
Erst im vierten, dem letzten und kürzesten Kapitel, erklingen leise neue Töne, gerät die Welt mit ihren Nöten stärker in den Blick. Die Handschrift des Franziskus wird hier deutlicher erkennbar. Pastorale und politische Motive treten in den Vordergrund. Da ist die Rede davon, dass der Glaube, der aus der Liebe kommt, ein „Dienst am Gemeinwohl“ ist und mithilft, gerechte Strukturen aufzubauen und das Leben der Gemeinschaft zu bereichern (Nr. 51). Glaube lässt uns „die Natur mehr achten, da er uns in ihr eine von Gott eingeschriebene Grammatik und eine Wohnstatt erkennen lässt, die uns anvertraut ist, damit wir sie pflegen und hüten“. Er hilft uns, Entwicklungsmodelle zu finden, „die nicht allein auf Nutzen und Profit gründen“ (55). Und schließlich kommt der Papst in einer längeren Passage auf das Leiden zu sprechen. Der Glaube kann eine tröstende Kraft sein, vor allem in jenem Leiden, das sich nicht beseitigen lässt, aber vielleicht doch „zu einem Akt der Liebe und des Sich-Anvertrauens in die Hände Gottes werden kann“ (56). Ein (Marien-)Gebet zum Schluss findet sich auch in früheren Texten von Jorge M. Bergoglio.

Die bewegenden Fragen
Dennoch, so ganz will der Text der Enzyklika nicht zu dem passen, wie wir Franziskus in den ersten 100 Tagen seines Pontifikats kennengelernt haben. In der Betonung der Kontinuität fehlt dem Dokument das Frische und Unmittelbare, auch das Neue und Überraschende, mit dem „der Papst vom anderen Ende der Welt“ schon so viele Hoffnungen geweckt hat. Hier spiegeln sich nochmals zwei unterschiedliche Perspektiven, die sich nur mehr schwer vermitteln lassen, eben ein Dokument des Übergangs. Vielleicht wollte sich Franziskus damit die Möglichkeit eröffnen, in seiner nächsten Enzyklika stärker auf die Probleme einzugehen, die ihn und mit ihm sehr viele Menschen innerhalb und außerhalb der Kirche umtreiben: das Problem der Armut, die globale Ungleichheit mit einer stetig wachsenden Zahl an Ausgeschlossenen, die Traditionskrise des Glaubens, die Struktur- und Glaubwürdigkeitskrise innerhalb der Kirche. Fürwahr eine große Agenda. Diese Enzyklika hat sie noch nicht angepackt. Aber sie nährt die Hoffnung, dass dies bald geschehen möge.