Der Künstlermönch P. Jean-Sébastien Charrière OSB (Einsiedeln) zeigt in der Propstei St. Gerold handwerklich hervorragende und mystisch fundierte Bildwerke.

Die Mystik zielt in die mit Gott gefüllte Leere, wo nichts mehr verbalisiert werden kann (links). Anhand des „Vater Unser“ (rechts) entwickelt P. Jean-Sébastien Charrière OSB einen praktischen Katechismus: Drei Bitten richten sich an den Himmel, vier Bitten richten sich an die Erde, und nur in einer Bitte werden die Menschen selbst aktiv, nämlich in dem Vers „wie auch wir vergeben unseren ­Schuldigern“.  

Wolfgang ÖLZ 

Bereits mit drei Jahren wollte Jean-Sébastien Charrière (geb. 1972) Priester werden. Der kleine Sébastien wollte sein Bett hinter der Kanzel in der Kirche aufstellen. In seiner späteren Jugend wollte er dann heiraten, hatte Mühe mit der Kirche als Institution und wandte sich dem tibetanischen Buddhismus und dem Dalai Lama zu. Mit 21 Jahren entdeckte er: „Ich bin ein Christ.“

Da ist es.
Als Charrière bereits im Priesterseminar war, besuchte er auf den Impuls seines geistlichen Begleiters hin das Kloster Einsiedeln, obwohl er dachte, dass das benediktinische Mönchstum niemals etwas für ihn wäre. Am Ort selbst spürte er ganz klar: Das ist es! 1999 trat er dann in die Gemeinschaft in Einsiedeln ein. An der dortigen Ordenshochschule begann er sein Theologiestudium, das er in Fribourg angefangen hatte, noch einmal und wurde später zum Priester geweiht. Als Künstler hatte er bereits vor dem Eintritt ins Kloster zwei fundierte Ausbildungen zum Kunstmaler genossen. Arbeiten in Bronze - wie „Der heilige Gerold mit Esel“ für die neue Geroldsstube in der Propstei - hat er selbst geschaffen; für Goldschmiedearbeiten wie etwa den Hirtenstab für Abt Urban Federer stammt der Entwurf und das formvollendete Modell in Holz von ihm. Die Kunst ist bei Jean-Sébastien Charrière keineswegs eine Magd der Theologie.

Alles spricht.
Der Einsiedler Künstlermönch sagt von sich: „Ich bin in Gott verliebt. Meine Kunst muss sakral sein, Kunst ohne Transzendenz gibt es nicht, weil für mich alles von Gott spricht.“ Dabei sieht er durchaus eine Gefahr in einer süßen Spiritualität, die sich in einer schönen Wolke auf die Flucht vor der Welt begibt. Spiritualität muss sich im Hier und Jetzt treffen, Materie und Geist müssen gemeinsam wirken. Das Spirituelle ist eine Kraft, die zu erkennen gibt, entdecken lässt, was man nicht erwartet, nämlich dass die Liebe sich auch im Kreuz offenbart.
Die Werke in St. Gerold sind erfüllt von einer ausgeklügelten Zahlensymbolik, die P. Jean-Sébastien zum Teil aus der reichen Tradition bezieht oder sogar selbst kreiert. Zum Beispiel verweisen in der Zeichnung einer Rosette aus der gotischen Kathedrale in Fribourg die drei Blütenblätter der Rose auf die Dreifaltigkeit, die 12 Hauptblätter auf die 12 Apostel, die 24 kleinen Figuren auf die 24 Ältesten der Apokalypse.

Die Liebe trifft.
Jean-Sébastien Charrière ist außergewöhnlich beschlagen in den alten Sprachen und lässt immer wieder aufhorchen mit ursprünglichen Bedeutungen von Wörtern und erstaunlichen Übersetzungsfehlern in den alten Schriften. So bezeichnet das Wort „Sünde“ im Hebräischen wortwörtlich eine Zielscheibe. Wenn jemand nicht in Liebe gezielt hat, dann trifft er nicht, aber er kann immer wieder zielen, weil Jesus Christus unsere Sünden auf sich genommen hat. Demgemäß sind viele Bilder von Jean-Sébastien Charrière kreisförmig. In der Mitte befindet sich eine leere Fläche, weil in der Stille Gott der ist, der nicht mehr ausgesagt werden kann. Denn Gott lässt sich bei allem Wissen nie restlos verstehen. Gott bleibt DAS Mysterium. Je weiter vom Zentrum jemand wegkommt, desto mehr Erklärungen und desto mehr Worte gibt es. In der Dogmatik gibt es das Streitgespräch, die Stille ist die gangbare Brücke zwischen allen Religionen. Auch Buddha ist ein Sohn Gottes, und die sitzende Zenübung ist für Jean-Sébastien ein Ruhen zu Füßen Gottes. Das japanische ­Enso-Zeichen, das einen geschwungenen, meist  in Schwarz gezogenen Kreis darstellt, steht für Fülle, Göttliches, Himmel, Kreis und Bewegung. Auch Christen erfahren Gott auf diese Weise - ohne dass es zu einer Vermischung der Religionen kommt.  

Praktischer Katechismus.
Im Gespräch mit dem Künstler vor seinen Bildern entwickelt sich ein richtiger Katechismus, freilich ein mystischer, unmittelbar praktischer, der immer wieder Glaubenswahrheiten in gelebter Wirklichkeit aufleuchten lässt. Das „Pater Noster“ bzw. „Mater Noster“ kann dies verdeutlichen. Hier zeichnet P. Jean-Sébastien Charrière den Lebensweg bzw. die gangbare Himmelsleiter vom untersten Wort „Böse“ zum obersten „Gott-Vater“ bzw. „Gott-Mutter“. 

Ausstellung

P. Jean-Sébastien Charrière OSB.
Bis 25. Juni 2017,
Innenhof, Propstei St. Gerold,
T 05550 2121.
www.propstei-stgerold.at

(aus dem KirchenBlatt Nr. 13 vom 30. März 2017)