„L‘Assassin court toujours - Der Mörder ist immer noch auf freiem Fuß“. „Charlie Hebdo“, das französische Satiremagazin, veröffentlichte ein Jahr nach den Anschlägen auf die Pariser Redaktion eine Sonderausgabe und titelte mit obiger Schlagzeile. Auf dem Titelblatt ist ein wütend dreinschauender „Gott“ mit Bart und dem obligaten Dreieck samt Auge auf dem Kopf zu sehen, der in Sandalen, mit blutbefleckten Händen und mit einem Maschinengewehr auf dem Rücken durch das Bild springt.

niewiadomski_josef_ Ein Kommentar von Józef Niewiadomski

Der vor zwölf Jahren verstorbene Innsbrucker Theologieprofessor Raymund Schwager hat bereits in den 1970er-Jahren die These vertreten, dass Gewalt zu einem zentralen theologischen Thema der Zukunft gehören wird. In seinem - damals viel gelesenen - Buch „Brauchen wir einen Sündenbock?“ entwarf er eine klare Vorstellung, wie wir mit den vielen Texten der Bibel, die von einem gewalttätigen Gott sprechen, umgehen sollen.

Er nahm die Religionskritik beim Wort und sprach von Projektionen. Menschen, die mit ihrer eigenen Aggressivität und Gewalt nicht fertig werden, projizieren diese auf Dritte. Die alten Religionen waren der Menschheit eine große Hilfe. Nicht nur, dass sie mit ihren gewaltsamen Gottesbildern die Gewalt sanktionierten. Sie kontrollierten auch diese, waren so etwas wie ein Antibiotikum. Die religiös sanktionierte Gewalt stellte jenes notwendige Minimum am Gift der Gewalt dar, das notwendig ist, um die Krankheit - um die Gewalteskalation - zu verhindern.

Der allzu eifrige Gebrauch von Antibiotika hat aber die gegenteilige Wirkung. Anstatt die Katastrophe zu verhindern, verstärken sie diese. In einem solchen Zusammenhang sah Raymund Schwager die Bedeutung der biblischen Schriften. Auf etlichen Seiten der Bibel wird die Katastrophe - der religiöse Gewaltrausch - aber auch dessen destruktive Wirkung beschrieben.

Ausweg aus der Gewaltspirale
Genau auf dieser Folie wird die Alternative gezeigt. Es ist der Glaube an einen gewaltfreien Gott, einen Gott, der Friedensstrategien abseits der Gewaltanwendung offenbart, sich selber gar in Sackgassen menschlicher Gewalt begibt, um von dieser Position aus einen Ausweg aus den Teufelskreisen zu ermöglichen. Und dieser religiös motivierte Ausweg hat viel mit Versöhnung zu tun. Die Logik der Antibiotika geht aber auf das staatlich sanktionierte Gewaltmonopol (Polizei, Militär) über.

Mit Hilfe einer solchen Brille gelesen, zeigt sich die Bibel als ein Buch der Offenbarung, einer Offenbarung freilich, die mitten im Leben der Menschen stattfindet. Sie bleibt deswegen auch mit menschlichen Gewaltprojektionen vermischt. Die Befreiung von solchen Projektionen bleibt nicht nur ein „Dauergeschäft“, sondern auch eines, das der Gnade des gewaltfreien Gottes bedarf. Ohne diese Gnade verkehrt sich die Befreiung in ihr Gegenteil: Sie wird zur projektionsgeladenen Sündenbockjagd.

„Charlie Hebdo“ - Ein Jahr danach
Das Bild des französischen Satiremagazins stellt ein Paradebeispiel für diese Sackgasse der Projektionen dar. Als Antwort auf die verstärkte interreligiöse Bemühung um fundierte Kritik der gewaltsamen Gottesbilder im Namen eines gewaltfreien Gottes, ist auf dem Bild eine widerliche Karikatur des gewaltversessenen Gottes zu sehen. Die Botschaft ist klar: Alle Religionen sind nichts anderes als Gewalt. Jemand, der so denkt, projiziert bloß die eigene Aggressivität auf Dritte. Er beschwört ein „religiöses Monstrum“, von dem er sich distanzieren kann, so nach dem Motto: „Verglichen mit den Anhängern dieses Gottes bin ich selber o.k.“

Laizismus
Satire dieser Art verschleiert die untergründige Gewalt und Intoleranz des Laizismus. Als gläubiger katholischer Priester halte ich fest: Das Bild verletzt meine religiösen Gefühle nicht, weil es ein Monster zeigt, das meinem Gottesbild nicht entspricht. Es ist auch nicht das Gottesbild der katholischen Kirche. Und auch nicht jenes, dem breite Kreise der Muslime sich verpflichtet wissen.
Vielmehr empfinde ich Mitleid mit den Karikaturisten und der Lesergemeinde, die sich an solchen Bildern ergötzen. Verblendet von der eigenen Selbstgerechtigkeit betreiben sie Jagd auf die Religion, zündeln damit auch froh und frei auf primitivste Art am verminten Feld menschlicher Aggressivität.
Ich war nie „Charlie“. Nun kann ich hoffen, dass viele Menschen, die vor einem Jahr sich spontan zu einem Bekenntnis zu „Charlie“ fanden, erkennen, dass das nicht ihre Welt sein kann. Sie motiviert ja nicht zur Versöhnung, sondern hetzt zum Krieg. Angeführt von Laizisten.

Univ.-Prof. Dr. Józef Niewiadomski
ist Professor für Dogmatik am Institut für Systematische Theologie
an der Universität Innsbruck.

(aus dem KirchenBlatt Nr. 2 vom 14. Jänner 2016)