Kurz nach Redaktionsschluss dieser Ausgabe wurde in den U.S.A. die Wahl zum Präsidenten entschieden. Der schmutzige Wahlkampf in der mächtigsten Demokratie der Welt, der Umbau des türkischen Staates durch Erdogan oder auch der AfD-Höhenflug in Deutschland werfen Fragen auf: Wie schlau ist das Volk? Und gibt es Grenzen für die (direkte) Demokratie?

Dietmar Steinmair

Zu diesen Fragen lud das EthikCenter der Katholischen Kirche Vorarlberg am vergangenen Montag zum Stammtisch ins Kolpinghaus nach Dornbirn. Über 100 Teilnehmer/innen ließen sich Thema und Referierende nicht entgehen.
„Eigentlich steht völlig außer Zweifel: Es gibt keine vernünftige Alternative zur Demokratie. Das wissen gerade wir in Österreich spätestens seit der Katastrophe des Dritten Reiches vor 70 Jahren“, so Wolfgang Palaver in seinem Impulsreferat. Gleichzeitig zeigte er in einem kurzen Gang durch die Geschichte auch Probleme der Demokratie auf: Wo etwa das Axiom „Vox populi - vox Dei (Die Stimme des Volkes ist die Stimme Gottes)“ von einer - demokratisch legitimierten - Mehrheit gegen eine Minderheit benützt werde, kann es schnell zur Sündenbock-Jagd kommen. Das sei gerade bei Populisten problematisch, die für sich beanspruchten, nur sie würden „das Volk“ vertreten.
Zu den Voraussetzungen einer menschengerechten Demokratie zählt Palaver unter anderem: Menschenwürde, Menschenrechte und das Gemeinwohl als Ziel und Kriterium.

Direkte Demokratie

Auf dem von Petra Steinmair-Pösel moderierten Podium fanden sich Kenner von politischen Entscheidungsprozessen wieder: Landtagspräsident Harald Sonderegger machte auf mögliche Grenzen der direkten Demokratie aufmerksam. Nicht jede Frage sei geeignet für eine Volksabstimmung. Im Blick auf die Schweiz hielt Sonderegger fest, dass manche Stimminitiativen den vorschlagenden populistischen Parteien anschließend Probleme bereiteten. Denn die Inhalte etwa der Ausschaffungs- oder Minarett-Initiative seien nicht unmittelbar umsetzbar, sondern stehen noch den Korrektiven Parlament und Justiz gegenüber. Sonderegger plädierte jedenfalls dafür, heiße Themen mit Hausverstand und ohne Emotionalität zu bearbeiten.
VN-Kommentator Johannes Huber konstatierte einen zunehmenden Pessimismus bei den Menschen, obwohl faktisch viele Indikatoren - etwa die Löhne oder die Zahl an Maturant/innen - in den letzten Jahren stetig zugelegt hätten. Bürgerkriegsgefahr oder Notstände würden von den Politikern in Österreich mutwillig - und ebenso kontrafaktisch - herbeigeredet.
Felder wiederum griff den Sündenbock-Begriff Palavers auf und bestätigte, dass Menschen gerne die Verantwortung auf andere abschieben: Auf die, die angeblich Schuld sind an der gefühlt schlechten Situation sowie auf jene, die es ändern könnten, aber nicht tun.

Demokratie stärken

Am Ende des Abends gab Moderatorin Steinmair-Pösel den Besucher/innen eine Ermutigung mit auf den Weg: Die stv. Chefredakteurin der „ZEIT“ hatte vor kurzem zehn Dinge benannt zur Frage: „Was ich tun kann, um die Demokratie zu stärken, in der ich lebe.“ Der 10. Vorschlag lautete: „Ich trete in die Kirche ein oder in eine aufgeklärte Glaubensgemeinschaft anderer Religionen: auch als Agnostiker. Diese Gemeinschaften halten die Gesellschaft zusammen, sie lehren die Tugenden des Umgangs: Höflichkeit, Freundlichkeit, Herzlichkeit. Sie bewahren mich vor dem Irrweg, alles besser zu wissen.“
Übrigens war der 4. Vorschlag Rückerts: „Ich informiere mich. Ich höre, lese oder sehe Nachrichten, kaufe gute Zeitungen ...“ Diesen Vorschlag haben sowohl Besucher/innen des Stammtisches als auch Leser/innen dieser Ausgabe bereits erfüllt.

(aus dem KirchenBlatt Nr. 45 vom 10. November 2016)