Die Teilnehmer/innen am Lehrgang Soziale Verantwortung verbrachten eine Woche in Brüssel und besuchten wichtige EU-Institutionen und zahlreiche Nichtregierungsorganisationen (NGOs). Auch ein Treffen mit Vertretern der Europäischen Bischofskonferenz stand auf dem Terminplan. Im Brüsseler EU-Viertel weht ohne Frage der Wind Europas. Hier agieren Menschen in zum Teil riesigen Bürotürmen. Sie brennen für ihre Sache und sie treffen Entscheidungen, die von europaweiter Bedeutung sind.

Wolfgang Ölz

Brüssel ist aber auch die Hauptstadt von Belgien, deren Spezialitäten Waffeln, eine immense Anzahl von Biersorten und die feine belgische Schokolade sind. Ein Magritte-Museum mit der wichtigsten Sammlung des berühmten Surrealisten ist genauso zu finden wie Hauptwerke des Jugendstils, der nicht in Wien, sondern 1893 in Brüssel erfunden wurde. Das Rathaus ist im Gegensatz zum neugotischen Wiener Rathaus in echter Gotik gestaltet. Goldene Fassaden am Hauptplatz, dem Grand´ Place, zeugen vom Reichtum des alten Brüssels.

Neben einem Schwarzen-Viertel aus der Geschichte von belgisch Kongo, gibt es einen historistischen Stadtteil, der in seiner Monumentalität der Wiener Ringstraße in nichts nachsteht. Von zentraler Bedeutung ist aber das EU-Viertel, das die riesigen Bürotürme beherbergt, die sich zum Teil nahtlos an klassizistische Bauten des frühen 20. Jahrhunderts reihen. Hier befindet sich das Berlaymont-Gebäude, das mit seinen Stockwerken einem New Yorker Hochhaus ähnelt und das das Herzstück der Europäischen Union beherbergt: die EU-Kommission. Direkt gegenüber tagt der Europäische Rat, wenn er einberufen wird, der alle Regierungschefs der (noch) 28 Mitgliedstaaten umfasst. Auch das glasfunkelnde Gebäude des EU-Parlaments in Brüssel befindet sich nur einen Steinwurf entfernt. Hier finden die EU-Entscheidungsprozesse statt: Die EU-Kommission hat das alleinige Recht ein Gesetz vorzuschlagen, dass dann vom EU-Rat und vom EU-Parlament beraten wird. Eventuelle Änderungsvorschläge werden eingearbeitet und wieder an die Kommission geschickt. Dieser Prozess kann bis zu dreimal in Form von Lesungen wiederholt werden.

Die Macht der Lobbys
Die vielen Lobbygruppen, die in Brüssel angesiedelt sind, verfolgen das Ziel diesen Entscheidungsprozess zu beeinflussen. So wurde etwa ein von der European Women´s Lobby lancierter Gesetzesentwurf zur Mutterschaft acht Jahren lang hin und her geschickt, um schließlich abgelehnt zu werden. Interessensvertretungen der Arbeitgeber machten diesen schließlich zunichte. Es gehört zu den bedenklichen Entwicklungen, dass hohe EU-Beamte nahtlos zu den Lobbys wechseln. Der ehemalige EU-Kommissionspräsident Barroso etwa arbeitet jetzt für Goldmann Sachs, den Brexit und Großbritannien.

Spannende Termine
Auf dem Terminplan der ksoe-Lehrgangsgruppe stand ein Besuch bei Johannes Noack, der den österreichischen Kommissar Johannes Hahn vertrat, und die komplexen Bedingungen der Erweiterungspolitik der EU erläuterte. Auch ein Arbeitsgespräch mit Michael Gast vom Kommissariat für Soziales stand auf dem Programm. Gast machte deutlich, dass die EU im Sozialbereich keine verbindlichen Gesetze (hard laws), sondern nur  Empfehlungen an die Mitgliedstaaten abgeben kann.   
In drei kleineren Gruppen besuchten die ksoe-Student/innen auch  Nichtregierungsorganisationen wie etwa das Europäische Anti-Armuts-Netzwerk. Von 500 Millionen EU-Bürger/innen leben nämlich ca. 120 Millionen in Armut. Den Abschluss bildete eine Begegnung mit  Markus   Vennewald  von der „Kommission der Bischofskonferenz der Europäischen Gemeinschaft“ und Jorge Nuno-Mayer von der Caritas Europa.

ksoe-Lehrgang 2016-2018

KirchenBlatt-Redakteur Wolfgang Ölz berichtet in losen Abständen von seinem Besuch des Lehrgangs „Soziale Verantwortung - Gestaltungskompetenz für den gesellschaftlichen Wandel“ der katholischen Sozialakademie Österreichs (ksoe). Mittlerweile ist ein Jahr vergangen und von zehn meist dreitägigen Modulen, die in der Regel im Kardinal-König-Haus in Wien stattfinden, ist vom 12.-16. September ein Modul in einem Zentrum des gesellschaftlichen Wandels - in Brüssel, der Hauptstadt der EU, - über die Bühne gegangen.

Im zweiten Lehrgangsjahr findet ein Modul in Sarajevo statt, sind doch einige der Kursteilnehmer/innen aus Osteuropa. Ebenfalls im zweiten Lehrgangsjahr setzen die Teilnehmer/innen jeweils ein gesellschaftlich relevantes Projekt um. Wolfgang Ölz führt eine „personenzentrierte Sozialraumanalyse“ in Hohenems durch, die vor allem die ärmeren Quartiere der Stadt ins Auge fasst und die Lebenssituationen und Befindlichkeiten der Menschen dort in den Blick nimmt.

ksoe-lehrgang 2016-2018

(aus dem KirchenBlatt Nr. 38 vom 21. September 2017)