Die "Projekte der Hoffnung" luden bereits zum achten Mal Träger/innen des Alternativen Nobelpreises nach Bregenz. Zu Gast in Vorträgen, Gesprächen, Kreisdialogen, Filmvorführungen und nicht zuletzt: in erfolgreichen Begegnungen in Schulen waren dabei auch die Probleme der Welt, mögliche Lösungen inklusive. Die Lösungen entspringen zivilgesellschaftlichem Engagement, die motiviert sind durch bestimmte Haltungen. Zivilgesellschaftliche Engagements führten bereits vielfach zu Veränderungen - und die Teilnehmer/innen der Tagung am vergangenen Samstag zum Staunen, in die Betroffenheit und in den Dialog.

Von Dietmar Steinmair

"Öko war einmal!" und "Die Kohle besiegt das Klima!" - Diese Hiobsbotschaften erreichten uns von der zuletzt tagenden Weltklimakonferenz in Warschau. Der Klimagipfel endete dann doch noch, wie immer, mit einem Minimalkonsens. Derweil sich aber, unbeirrt davon, zivilgesellschaftlich engagierte Menschen im Bregenzer Siechenhaus trafen - unter dem Vorzeichen der "Hoffnung".  Und um den "Schmerz um die Welt und die Liebe zu den Menschen und zur Erde" zu teilen, wie es Initiatorin Marielle Manahl mit Bezug auf die kenianische Umweltaktivistin und Friedensnobelpreisträgerin Wangari Maathai (1940-2011) formulierte.

Ameisen. Unaufhaltsam.

Geseko von Lüpke (55), Publizist und Kenner des Alternativen Nobelpreises, überdies altbekannter Freund und Gast bei den Projekten der Hoffnung, sprang am Samstagmorgen mit einem Vortrag über die "Zivilgesellschaft als globale Macht" ein, da mit Anwar Fazal erstmals in der achtjährigen Geschichte der Veranstaltung ein Preisträger kurzfristig absagen musste. Von Lüpke erklärte die "Projekte der Hoffnung" zu "Orten der Zukunft". Geschätzte zehn Millionen Nicht-Regierungs-Organisationen (NGO) gebe es heute. Sie alle - von der Kleingruppe zur transnationalen NGO mit Millionen Mitgliedern - gleichen Ameisen, die ein Hochhaus unaufhaltsam erobern könnten: untergründig und hintergründig. Oder in einem anderen Bild: Einem wildgewordenen Stier - gemeint sind damit: Heuschrecken-Kapitalisten, Staudamm-Betreiber, Agrarkonzerne, Militärbündnisse oder gar Diktaturen - sollte man besser keinen Stier entgegenstellen, sondern einen Mückenschwarm.

Geseko von LüpkeBeispiele aus den letzten Jahrzehnten gefällig? Von Lüpke zählte auf: Vom Mauerfall 1989 oder der Befriedung von Medellín (Kolumbien) durch ein Literaturfestival, über den Widerstand 1999 in Seattle gegen ein Freihandelsabkommen bis hin zu den Protesten gegen den Irakkrieg 2003 oder zur Occupy-Bewegung vor zwei Jahren. Der Unterschied zwischen NGOs und Regierungen bzw. Konzernen: NGOs arbeiten uneinheitlich, weil zersplittert, und sind daher kaum berechenbar. Sie sind überall, organisieren sich selbst, nutzen die modernen Informationstechnologien, bilden eine kollektive Intelligenz aus und verbreiten sich gleichsam "viral". Ein Ziel jedoch eint sie: Der Versuch, Machtkonzentrationen aufzulösen. Erfolgreich sind Bewegungen dann, wenn die richtige Idee zum richtigen Zeitpunkt mit den richtigen Mitteln auftritt. Für den deutschen Publizisten sind erfolgreiche Bewegungen das notwendige "Immunsystem der Welt".

Die Zivilgesellschaft ist und bleibt - und da spricht Geseko von Lüpke mit der Tiefenökologin Joanna Macy - "Sterbebegleiterin des alten Systems und Hebamme einer neuen Welt". Die Zivilgesellschaft ist der "blessed unrest", die "gesegnete Ruhelosigkeit".

Die Demokratisierung des Essens

Soweit ein erster Überblick. Frances Moore Lappé (69) kann vom Kern gelungener Projekte erzählen. Sie hat schon mehrere Bewegungen mitbegründet und bereits 17 Ehrendoktorwürden erhalten. 1987 bekam sie den Alternativen Nobelpreis für den Einsatz gegen den Welthunger und seine Ursachen. Ihr Credo: "Keine Gesellschaft hat ihr demokratisches Versprechen erfüllt, wenn Menschen hungern. Wenn einige nichts zu essen haben, sind sie offensichtlich jeder Macht beraubt worden. Die Existenz von Hunger straft die Existenz der Demokratie Lügen." Die Frage, die dahintersteht, formuliert sie in Bregenz so: "Warum schaffen wir - gemeinsam - eine Welt, die wir - als Individuen - niemals wählen würden?" Niemand auf der Welt wählt freiwillig den Hunger - dennoch gibt es ihn: 842 Millionen Menschen leiden akut Hunger, über zwei Milliarden an Mangelernährung. Ein Viertel aller Kinder weltweit ist unterernährt, für 50% der Kindersterblichkeit unter fünf Jahren ist Hunger die Ursache.

Frances Moore LappeDer Geist (der Gedanke) der Knappheit, der für Lappé eine Art Orientierungsrahmen ist, hat drei Gründe: das Getrenntsein voneinander, der Stillstand von Entwicklungen und der Mangel. Die Spirale dreht sich und führt meist nach unten. Lappé spricht nicht vom "Bösen", so wie generell moralische Maßstäbe oder die Unterscheidung zwischen gut und böse, richtig und falsch, in ihrer Diktion kaum vorkommen. Die Spirale nach unten wird beschleunigt durch drei Ursachen: die Machtkonzentration, der Mangel an Transparenz und das Abschieben von Schuld auf den jeweils anderen.

Lappé fordert nicht weniger als die "Demokratisierung des Essens". Gemeinsame Ernährung und die Ernährungssouveränität seien schließlich das Recht einzelner Regionen. Nach dem Grundsatz "Lernen und teilen" unterstützt die US-amerikanische Aktivistin in Indien Frauengruppen, die sich dem biologischen Anbau verpflichtet haben, die sowohl das Saatgut als auch das Wissen teilen, und die mit dem Saatgut nachhaltig umgehen. Beispiele für die Demokratisierung des Essens gibt es viele: In Mali entscheiden Bürger mit, wenn es in einer Gemeinde wichtige Fragen rund um die Landwirtschaft gibt. In Belo Horizonte (Brasilien) wurden öffentliche Volksrestaurants eingeführt, in denen - unabhängig von sozialer Herkunft - alle Menschen zu niedrigen Preisen essen können. Die Kindersterblichkeit unter fünf Jahren wurde so innerhalb der letzten 12 Jahre um 72% reduziert.

Für Lappé ist klar: Damit der Geist des Mangels zum ökologischen Denken wird, muss das Getrenntsein zum Verbundensein, der Stillstand zur fortwährenden Veränderung, der Mangel zur Teilhabe werden. Und der Einzelne und engagierte Gruppen zählen dabei, denn - Lappé zitiert den deutschen Physiker Hans Peter Dürr: "Es gibt keine Teile, es gibt nur Teilnehmer."

Das Kippen von Ökosystemen

Juan Pablo OrregoJuan Pablo Orrego (64) aus Chile ist einer der bekanntesten Aktivisten Lateinamerikas im Kampf gegen Naturzerstörung und Menschenrechtsverletzungen. Er ist so etwas wie der "Erwin Kräutler Chiles", auch wenn seine Motivation keine explizit religiöse ist. Seit den 90er Jahren kämpfte der Umwelttechniker, Sänger und Komponist gegen Staudammprojekte des spanischen Energieriesens ENDESA am Río Bío Bío, ca. 500 km südlich von Santiago de Chile. Die Staudämme bedrohen zwar weit weniger Menschen als etwa in Belo Monte (Brasilien), es sind auch nicht zwei Millionen Menschen, die umgesiedelt werden müssten wie im Falle des chinesischen Drei-Schluchten-Dammes. Dennoch betreffen die Staudämme Kerngebiete des indigenen Volks der Mapuche im südlichen Teil Zentralchiles. Seit den 1970er Jahren wehren sich die Mapuche gegen diese Pläne. Von acht projektierten Dämmen entlang des Bío Bío konnten fünf verhindert werden.

Orrego zeigte anhand geschichtlicher Beispiele deutlich, dass sich massive Eingriffe in Ökosysteme immer negativ auf die Bewohnbarkeit von Gebieten auswirken. So etwa sind die Mayas in Mittelamerika ebenso zugrunde gegangen wie die Bewohner der Osterinsel. Und das angesichts der Tatsachen, dass die Mayas mit der Züchtung von Mais und ihren mathematischen und astronomischen Kenntnissen, und die Bewohner der Osterinsel mit ihren kolossalen Moai-Skulpturen hochentwickelte Völker waren. Durch exzessive landwirtschaftliche Nutzung oder das Abholzen des gesamten Waldes kamen die betreffenden Ökosysteme derart aus dem Gleichgewicht, dass sich die Völker damit ihre eigenen Lebensgrundlagen entzogen hatten.

Zurück ins Heute und nach Chile: Für Juan Pablo Orrego spielt nicht zuletzt die Gewaltlosigkeit des Protestes eine große Rolle. Er selbst wurde schon öfters bedroht, die Büroräume seiner Organisation bereits mehrmals verwüstet und geplündert. Auch unter den Mapuche gibt es Tote zu beklagen. Dennoch bleibt: Ohne gewaltlosen Widerstand kann keine Bürgerbewegung erfolgreich sein.

Fotos und Videos von den diesjährigen "Projekten der Hoffnung" gibt es hier.