Am Montag dieser Woche erzählte der junge US-amerikanische Theologe Chris Haw in Dornbirn vom Leben in "neo-monastischen" Gemeinschaften, von seiner Arbeit in einer der ärmsten Städte der USA und von seinem Weg aus einer evangelikalen Mega-Kirche "zurück" in die Katholische Kirche.

Dietmar Steinmair

„Manchmal hört man jemanden seine Geschichte erzählen und spürt intuitiv, dass dieser Mensch ein Pionier ist, ein Kundschafter, ein Wegbereiter, ein Vorreiter… einer, der einen Weg bahnt, auf dem viele Menschen folgen werden, auch wenn er selbst längst nicht mehr da ist.“ So beschreibt der Aktivist und Buchautor Shane Claiborne seinen Kollegen Chris Haw. Zusammen haben sie 2008 das Buch „Jesus for President“ geschrieben, in dem sie für eine Kirche plädieren, die sich nicht den Spielregeln der politischen und wirtschaftlichen Machtlogiken unterwirft.

Von Chicago nach Camden
Chris HawSeinen eigenen Weg hat Haw im Buch „From Willow Creek to Sacred Heart“ nachgezeichnet. Haw - als Kind katholisch getauft - war als Jugendlicher Mitglied in der stark wachsenden evangelikalen Mega-Kirche Willow Creek (Illinois, südlich von Chicago). Anders als die meisten evangelikalen Kirchenmitglieder war Haw jedoch mit dem US-geführten Krieg gegen den Irak ab 2003 alles andere als einverstanden. Nach einem Protest und der friedlichen Blockade von Bundesgebäuden verbrachte er sogar eine Woche im Gefängnis.

Die Katholische Kirche nahm er damals als einzige Kirche wahr, die sich dezidiert und deutlich gegen den Krieg positioniert hatte. Kurz darauf lernte Haw auf einem College-Vortrag einen katholischen Priester kennen, der die Pfarre Sacred Heart in Camden (New Jersey, Nähe Philadelphia) leitete. Camden ist eine heruntergekommene ehemalige Industriestadt. Prostitution, Drogenhandel und verschiedenste Formen des Rassismus bestimmen viele Stadtviertel. Die Mordrate ist gleich hoch wie jene in Bogotà, Kolumbien. In ihrem Stadtviertel ist die katholische Pfarre Sacred Heart die einzige Institution, die noch vor Ort ist und Erziehungs- und Sozialarbeit leistet. Haw zog nach Camden, renovierte ein verlassenes Haus und zog mit einigen Freunden dort ein, um mitten in der Dunkelheit etwas von der Auferstehung zu leben, Hoffnung und Schönheit an diesen Ort der Hoffnungslosigkeit zu bringen. Der Start war nicht einfach: Noch vor dem Einzug wurden alle Habseligkeiten gestohlen, in der ersten Nacht fielen unmittelbar vor dem Haus Schüsse.

Neo-Chris Haw 02monastische Gemeinschaften
Doch Haw blieb und gründete eine kleine Gemeinschaft, die der so genannten „neo-monastischen Bewegung“ zuzurechnen ist. Neo-monastische Gemeinschaften sind keine Klöster im herkömmlichen Sinn mit den Gelübden von Armut, Gehorsam und Ehelosigkeit, sondern bestehen aus Menschen - Einzelne, Paare, Familien - die nach einer gemeinsamen Vision und einer selbstgestalteten verbindlichen Regel ein am Evangelium orientiertes Leben führen wollen.
Kennzeichen neo-monastischer Gemeinschaften sind etwa, dass sie sich bewusst an verwahrlosten Orten ansiedeln, um diese positiv zu verändern, dass die Mitglieder in gemeinsamen Häusern oder in unmittelbarer Nachbarschaft leben und regelmäßig Mahlzeiten miteinander teilen. Oft werden dazu Menschen aus der Nachbarschaft, aber auch Fremde, Bettler, Menschen am Rand der Gesellschaft eingeladen. Manche legen ein Zehntel des persönlichen Einkommens zusammen, um damit in Not geratenen Menschen im Umfeld helfen zu können. Viele engagieren sich in Umweltfragen, zum Beispiel in Form eines gemeinsamen Gartens zur Selbstversorgung.
In Camden unterrichtete Haw, der selbst in einer wohlhabenden Vorstadt Chicagos aufgewachsen war und ursprünglich wie sein Vater Pilot werden wollte, gewalttätige Kinder an der Pfarr-Schule. Er lernte das Tischlern und Töpfern, denn er wollte „schöne Dinge in einer Umgebung voll von Hässlichkeiten“ machen. Dazu gehörte es auch, verfallende Häuser zu renovieren, sodass sich dort wieder Werkstätten und Büros ansiedeln konnten.

Gottes Abwesenheit
Chris Haw 03Immer wieder, so sagt Haw, hatte er sich in seinem Leben dafür entschieden, gerade an jene Orte zu gehen, an denen Gott scheinbar abwesend ist. Haw beschreibt das als Teil seiner spirituellen Suche. Mehr noch: Zur „DNA der Katholischen Kirche“ - so Haw im KirchenBlatt-Gespräch - gehöre, dass sie dorthin geht, wo alles auseinanderfällt, dorthin, wo die Armen und Vernachlässigten leben. Daher kann er auch den starken symbolischen Gesten von Papst Franziskus viel abgewinnen.
Die persönliche Zuwendung zu den Armen, zu Menschen, die auf irgendeine Weise leiden, ist für Haw die Kernfrage christlicher Existenz. Gerade in einer - an der Oberfläche - wohlgestalteten und sauberen Gesellschaft sei die Kirche allerdings in Gefahr, nur noch das Sahnehäubchen, quasi die Kirsche auf dem Eisbecher zu sein. Die Menschen würden in die Kirche gehen, um sich religiös und gesellschaftlich respektiert zu fühlen - doch: Ist es das, was Jesus will?
Haws Zugang ist ein anderer: Die Feier einer Karfreitags-Liturgie zu Beginn der Camden-Zeit hatte ihm klargemacht, dass christlicher Glaube mehr ist als das Leben in der Komfortzone: In den Vorgängen im US-Foltergefängnis Abu Ghuraib (Irak), die damals publik wurden, erkannte Haw eine Parallele zur Passion Jesu und zum gefolterten Gottessohn. Das Drama des Lebens Jesu und das Zentrum der Eucharistiefeier fand er auch auf den Straßen Camdens wieder, wenn Prostituierte an seine Türe klopften und um Essen baten. In seiner „personalisierten“ Sozialarbeit (der Begriff stammt von Dorothy Day) kam Haw oft in unangenehme, mitunter auch gefährliche Situationen - doch, so ist er überzeugt - gerade jene Situationen sind es auch, die einen am meisten wachsen lassen.

Die entscheidende Frage
Zehn Jahre hat Haw - wie er sagt - „inmitten des Dramas“ in Camden gelebt. Seit zwei Jahren arbeitet er nun an der University of Notre Dame (South Bend, Indiana) an seinem Doktorat, weil er in sich die Berufung spürt, Theologie zu unterrichten.
Dennoch ist er mit Begriffen wie „Göttliche Vorsehung“ für die Beschreibung der entscheidenden Knotenpunkte seines Lebens vorsichtig. Vieles in seinem Leben sei ihm ein Geheimnis, sagt er. Er sei kein Träumer oder naiver Optimist, sondern im Blick auf die Zukunft der Erde angesichts der vielfältigen Bedrohungen sogar durchaus pessimistisch.
Trotzdem geht von Haw die Faszination eines Lebensentwurfes aus, der nicht nach Stabilität und Planbarkeiten sucht, sondern der mutig neue Wege geht und in dem letztlich vor allem diese eine, wiederkehrende Frage zählt: Was würde Jesus tun?

Bücher

Chris Haw: From Willow Creek to Sacred Heart.
Rekindling My Love for Catholicism.
Ave Maria Press, Notre Dame 2012, 256 Seiten.

Shane Claiborne, Chris Haw: Jesus for President.
Brunnen Verlag 2009, 352 Seiten.

(aus dem KirchenBlatt Nr. 21 vom 21. Mai 2015)