Wenn 60 Männer unterschiedlicher Herkunft unter einem Dach leben, dann ist das eine echte Herausforderung. Wer sich ihr stellt, erlebt Schönes und Schwieriges. Das Schöne aber überwiegt.

Patricia Begle

Das ehemalige Sanatorium leuchtet im spätsommerlichen Morgenlicht und erinnert irgendwo an die „gute alte Zeit“. Dass es seit Juli ein Ort ist, an dem für Männer aus dem Osten und dem Süden eine „neue Zeit“ anfängt, lässt hoffen, dass auch diese eine „gute“ wird.

Im Aufbau. Schon im Park begegnen Bewohner. Einer verräumt gerade den Müll, ein anderer sitzt am Fahrrad, ein dritter blickt von der Treppe in den Garten. Der Gruß wird mit einem Gegengruß beantwortet, ein herzliches Lächeln inklusive. Keine Scheu ist spürbar, auch das Fotografiert-Werden ist für die Asylwerber kein Problem. Helga Kräutler begrüßt mich ebenso herzlich und führt mich durch das Haus. Seit sechs Wochen gehört sie zum Betreuungsteam. „Was wir hier sehen ist alles gewachsen, es wächst immer noch und wird immer besser“, erklärt die Caritas-Mitarbeiterin, „wir lernen alle dauernd dazu.“

Neues Leben in alten Räumen. 60 Asylwerber zwischen 18 und 51 Jahren leben mittlerweile in der Flüchtlingsunterkunft. Gleich sieben Nationalitäten sind vertreten: Syrien, Nigeria, Libanon, Jemen, Afghanistan, Irak und Pakistan. Drei Stockwerke stehen den Bewohnern zur Verfügung, meist leben sie zu dritt in einem Zimmer.  Nicht nur die Krankenbetten erinnern an die ehemalige Bestimmung des Hauses, auch Gänge oder Balkone vermitteln „Krankenhaus-Atmosphäre“. Gekocht wird allerdings nicht mehr für alle, für das Essen sorgt jeder selbst. Im Keller wurde dafür eine provisorische Küche eingerichtet, anfangs waren es drei Herde, letzte Woche sind weitere drei dazugekommen.

Haltungen einüben. „Hier geht es darum, den Alltag zu bewältigen und zu einem guten Miteinander zu finden“, erläutert die Caritas-Mitarbeiterin. Dass zu einem Vorarlberger Alltag Pünktlichkeit und Sauberkeit dazugehören, damit werden die Flüchtlinge von Anfang an konfrontiert. Putzpläne machen die Vorgaben, wenn‘s nicht klappt, müssen die Betreuerinnen den Dienst einfordern. Mülltrennung ist für viele Neuland. Es erfordert nicht nur das Wissen um die verschiedenen Stoffe, sondern auch die entsprechende Haltung dafür. Für das Einhalten dieser Regeln zu sorgen ist oft sehr mühsam und führt zu Reibungspunkten, weiß die Sozialarbeiterin. Aber es schult das Verantwortungsbewusstsein der Asylwerber.
Verantwortung übernehmen sollen die Bewohner auch für ihre Termine. Was in unseren Breitengraden selbstverständlich ist, ist in vielen Ländern nicht üblich. Das Zur-Stelle-Sein an einem bestimmten Ort zu einer vorgegebenen Zeit - das müssen manche neu lernen. Die Mitarbeiterinnen sind dabei vor die Aufgabe gestellt abzuschätzen, wieviel Unterstützung der Einzelne braucht und welche Form dabei sinnvoll ist.

Kommunikation. Eine der großen Herausforderungen ist natürlich die Sprache. Einige der Männer sprechen zum Glück Englisch, sie werden oft als Übersetzer herangezogen. „Bei einem solchen Gespräch geht dann aber immer einiges verloren“, erzählt Kräutler, „der Blick-Kontakt zum Beispiel oder die Gestik. Es ist keine direkte Kommunikation. Und das ist schade.“ Indirekte Gespräch sind auch jene mit Dolmetschern. „Hier kommt zum Beispiel hinzu, dass der Dolmetscher immer nur als Sprachrohr und nicht als Mensch wahrgenommen wird. Dabei hört er ja schreckliche Dinge. So gehört es für uns dazu, den Dolmetscher zu fragen, wie es ihm nach dem Dolmetschen geht.“ Für so viele Klienten Ansprechperson in unterschiedlichsten Belangen zu sein, braucht Zeit. Hinzu kommen für das vierköpfige Betreuerteam noch organisatorische und administrative Aufgaben. „Wir haben oft das Gefühl, für nichts genügend Zeit zu haben“, erzählt die Sozialarbeiterin. Der Zivildiener, der ab Oktober dem Haus zugeordnet ist, wird hier hoffentlich Unterstützung leisten und ein wenig entlasten.

Ehrenamtliche Hilfe. Unterstützung gibt es glücklicherweise auch seitens der Bevölkerung. Ein Ehepaar gibt Deutschkurse, eine Frau übernimmt Begleitungen zu Arztbesuchen und ähnlichem, und zahlreiche Privatpersonen helfen mit Schuh- oder Kleiderspenden oder alltäglichen Dingen. Freitags kommen immer Mitarbeitende des Projektes „Tischlein deck dich“. So können die Asylwerber einen Teil ihrer Lebensmittelkosten einsparen und kommen mit den 200 Euro, die monatlich für die Lebenserhaltungskosten vorgesehen sind, leichter über die Runden.

Potentiale der Bewohner. Trotz aller Herausforderungen weiß sich die engagierte Lustenauerin Kräutler am richtigen Platz. „Jeden Menschen hier erlebe ich als Bereicherung. Die Herzlichkeit hier herinnen ist sehr berührend. Und jeder bringt ein Talent mit - vom Musiker über den Schreiner und Politikwissenschaftler bis zum Wasserverkäufer.“ Manchmal gelingt es, diese Talente einzubringen. So ist zum Beispiel einer der Männer Frisör und sorgt bei anderen für einen neuen „Look“. Das ist nicht nur ein Zeichen für gegenseitige Hilfe, sondern auch dafür, dass das Äußere wieder Bedeutung bekommt. Im Blick auf die traumatischen Erlebnisse, die hinter den Asylwerbern liegen, spricht das für ein Stück gute Normalität und Lebensfreude.

Vergangenes wird gegenwärtig. Die traumatischen Erlebnisse sind im täglichen Umgang kein Gesprächsthema. Hierfür werden die Bewohner an die Fachstelle der Caritas verwiesen. Dennoch kommen die Traumatisierungen manchmal zutage. So zum Beispiel bei einem Feueralarm, der viele erstarren ließ. „Das Hinausrennen aus dem Haus widersprach völlig ihrer Erfahrung. In den Kriegsgebieten warteten nämlich in solchen Fällen draußen Bewaffnete, die auf sie schossen.“

Fuß fassen. Der Alltag im Haus ist Gott sei Dank ruhiger, die Sicherheit wird von den Bewohnern als großes Gut geschätzt. Für die Tagesgestaltung sind sie selbst verantwortlich. Da gibt es zum Beispiel solche, die morgens schon joggen gehen. Dschahs gehört zu ihnen. Der Nigerianer achtet darauf, dass sein Tag vielseitig gestaltet ist. Sport, Deutsch lernen, Hausarbeiten, kochen, Musik machen. „Zuviel schlafen und zu viel denken macht verrückt“, weiß er. Zu den Sportlern gehört auch Yasar. Dem jungen Syrer fehlten gerade noch drei Monate für seinen Studienabschluss. Nun schaut der Fast-Wirtschaftler darauf, dass seine Englischkenntnisse frisch bleiben, er lernt Deutsch via YouTube und nimmt am gemeinsamen Fußball- und Volleyballspiel teil. „Wenn mir ein Land Sicherheit gibt“, erklärt er, „dann ist es mein Land, dann gebe ich ihm alles.“

Hin zur Eigenständigkeit. Die Führung durchs Haus ist eine sehr bewegte. Helga Kräutler stößt in jedem Raum auf ein paar Handgriffe, die getan werden wollen, am Gang führt sie kurze Gespräche mit Bewohnern, bei denen immer Zeit für ein Lachen bleibt. „Mit meinen 53 Jahren bin ich für manche so etwas wie eine Mama“, erzählt sie. Das Ziel, das sie für ihre Arbeit vor Augen hat, ist auch ein „mütterliches“: Sie möchte, dass die Menschen in Bewegung kommen und letztendlich auf eigenen Beinen stehen. In die Zukunft blickt sie mit großer Zuversicht. „Es geht. Wir müssen es nur tun.“


Nachbarschaftshilfe


Da Asylwerbende keiner regulären Arbeit nachgehen dürfen, hat die Caritas das Projekt „Nachbarschaftshilfe“ ins Leben gerufen. Auf diesem Weg können Frauen und Männer, die auf ihren Asylbescheid warten, für Arbeiten in Haus und Garten engagiert werden. Neben einer sinnvollen Beschäftigung, die gut für Selbstwert und Lebensfreude ist, erhalten die Flüchtlinge die Spende, die für die Arbeit an die Caritas überwiesen wird. Vermittelt werden die Dienste über die Caritas-Flüchtlingshilfe:
oder T 05522 200-1796.