Die Verlegerin Rita Bertolini hat sich in den vergangenen Jahren intensiv mit der Vergänglichkeit des Lebens beschäftigt. Auszüge aus ihrer Auseinandersetzung sind nun zu Allerheiligen 2015 in Form einer Ausstellung im Atrium des vorarlberg museums zu sehen. Gleichzeitig ist ein dichter Katalogband namhafter Vorarlberger Autor/innen zum Thema entstanden.

Wolfgang Ölz

Das Thema Tod und Sterben sei in den letzten 40 Jahren sehr aus der Gesellschaft verdrängt und richtiggehend tabuisiert worden. Rita Bertolini (Jg. 1966) hat bei ihrer Arbeit an der Ausstellung „Sterbstund“ die Erfahrung gemacht, dass der Tod die Menschen sehr berührt und beschäftigt.
Bertolini erinnert sich an ihre eigene Kindheit im Bregenzerwald. In Egg wurde beim Tod eines Menschen die Totenglocke geläutet, und es gab noch die sogenannte Hausaufbahrung, die heute wie anderenorts in Vorarlberg auch, durch eine Aufbahrung in Leichenkapellen - aber nie mit offenem Sarg - ersetzt wurde. Trauerrituale sind laut Bertolini notwendig, „um überhaupt zu begreifen, dass jemand gegangen ist“. Rita Bertolini ist selbst schwerkrank geworden, und musste sich aus diesem Grund mit der Endlichkeit ihres eigenen Lebens auseinandersetzen. Die Seelsorge im Krankenhaus hält sie für unbezahlbar.  

Was in der „Sterbstund“ wichtig ist
Bertolini fragt sich, ob wir nicht mehr brauchen als den reinen Materialismus:  „Wenn jemand stirbt, dann wird er nicht sagen, ‚hätte ich doch mehr gearbeitet‘, sondern er wird eher sagen, ‚hätte ich doch eine bessere Beziehung zu meinen Kindern, zu meinem Partner, zu meinen Freunden gepflegt.‘“ Der Tod, so ist Bertolini überzeugt, bleibt für jeden seine eigene „Lebensreifeprüfung“, die er für sich bestehen muss. Rita Bertolini hat in der Beschäftigung mit dem Tod begonnen zu meditieren. In der Meditation trete das Geheimnis des Lebens zu Tage, das Gott genannt werden kann: „Man merkt, da ist noch etwas anderes zwischen Himmel und Erde.“ Bertolini: „Das Gebet schenkt Frieden, auch im Angesicht des Todes, wie das bei Carl Lampert der Fall war.“

Buch und Ausstellung

Buch: „Sterbstund“, Rita Bertolini (Hg.),
mit Beiträgen von Ingrid Bertel, Monika Helfer, Wolfgang Hermann, Albert Lingg, Andreas Rudigier u.a. Bertolini Verlag, Bregenz 2015,
284 Seiten, E 24,-.

Ausstellungseröffnung: „Sterbstund“, Begrüßung durch Ute Pfanner, Einführung durch Albert Lingg. Lesung mit Rita Bertolini. Musik: Julia Großsteiner (Sopran) und Clemens Morgenthaler (Klavier).
Do 29. Oktober, 19 Uhr, vorarlberg museum, Kornmarktplatz 1, Bregenz.
Bis 22. November.

INTERVIEW

Dr. Albert LinggAlbert Lingg
spricht anlässlich der Ausstellungseröffnung
über die Tragik der Suizide.

Verpasste Chancen der Trauerarbeit
Albert Lingg (Jg. 1949), der ehemalige Leiter des LKH Rankweil, widmet sich in dem vorliegenden Band dem Thema Suizid.

Wie sehen Sie den Umgang mit dem Sterben heute in Vorarlberg?
Das Buch wirft die Frage auf, ob das Aufgeben alter Bräuche nicht für viele eine Überforderung ist. Diese Rituale haben es dem Einzelnen und dessen Umgebung erleichtert, diese Grenzsituation, die das Sterben bedeutet, zu bewältigen. Wenn nun jeder das selbst managen muss, und es noch nicht ausreichend neue Formen gibt, die sich in Grenzsiuationen und im Alltag bewähren, ist das ein Problem.

Sollten Ihrer Meinung nach die alten Rituale gepflegt werden?
Ich komme aus dem Hinteren Bregenzerwald, und habe die alten Rituale als Kind noch ganz mitgemacht. Wenn man im Rheintal zu einer Beerdigung geht, dann ist es fast ein Elend, wenn die Leute einfach so auseinanderlaufen. Es gibt kein Totenmahl, kein Sterbebildchen. Man verpasst damit eine große Chance für das Loslassen. Ich denke, dass dadurch die Trauerarbeit erschwert wird.

Wie sehen Sie in diesem Zusammenhang den Suizid?
Beim Suizid sind die Menschen in ihrer „Sterbstund“ in einem schrecklichen inneren Kampf. Die Kirche hat sich diesbezüglich in den letzten Jahrzehnten sehr gut entwickelt, und den Leuten, die sich auf diese Weise verabschieden, nicht noch zusätzlich etwas aufgebürdet.

(aus dem KirchenBlatt Nr. 44 vom 29. Oktober 2015)