Von den politisch Verantwortlichen bis zu den Bildungsexperten - Schule ist in vieler Munde. Das KirchenBlatt fragt bei jenen Personen nach, die täglich hautnah am Geschehen teilnehmen. Ein erhellendes Gespräch.

Patricia Begle / Dietmar Steinmair

Drei Lehrerinnen sitzen um den Tisch, die Schulen, in denen sie tätig sind, können kaum unterschiedlicher sein: Monika Dorner und Hanni Gantner-Mäser unterrichten an der Freien Montessori-Schule in Altach, Christina Haas-Hämmerle ist Lehrerin für Englisch und Französisch am Bundesgymnasium Feldkirch. Trotzdem finden sich die drei in Vielem, ihr gemeinsames Anliegen ist das Umsetzen reformpädagogischer Ideen.
„Die Menschen stärken, die Sachen klären.“ Mit diesem Zitat von Hartmut von Hentig  antwortet Gantner-Mäser am Gesprächsbeginn auf die Frage nach dem Ziel von Schule. Der Satz ist gleichsam Ouvertüre.

Stärken. Die Stärken der Kinder herausfinden und fördern - darin sind sich alle einig. Es geht aber noch um mehr. „Kinder brauchen ein konstruktives Feedback“, erläutert Dorner. „Auch Defizite müssen wertschätzend und klar formuliert werden, damit sie mit beidem, mit Stärken und Schwächen umgehen und beides annehmen können. Wir dürfen ihnen die Wahrheit zumuten.“ Es geht darum, Kinder ganzheitlich wahrzunehmen und zu fördern: auf der kognitiven, emotionalen und sozialen Ebene. „Darin sehe ich den Bildungsauftrag der Schule“, so Dorner.

Rollenveränderung.
Während die Freie Montessori-Schule schon seit dreißig Jahren intensiv auf dem Weg ist, stellt der reformpädagogische Ansatz im Bereich des Gymnasiums eher eine Seltenheit dar. Das CoOL-Konzept (siehe unten) startete in Feldkirch im Herbst 2012, mittlerweile gibt es drei Klassen und elf Lehrpersonen, die involviert sind. Für die beteiligten Lehrer/innen bedeutet es einen Mehraufwand: mehr Zusammenarbeit zwischen Lehrenden, mehr Elternarbeit, mehr Vorbereitung und Nachbereitung. Dennoch: „Es macht Spaß, wenn man sieht, dass es den Schüler/innen gefällt, das tut gut“, berichtet Haas-Hämmerle von ihren Erfahrungen. Die Rolle der Lehrperson verändert sich hin zu einer „beratenden“ Funktion, „im Unterricht ist man entspannter und den schwächeren Schüler/innen viel näher“, erzählt Haas-Hämmerle. Und Gantner-Mäser bestärkt: „Wer das einmal erlebt hat, kann nicht mehr zurück.“

Klären. Ein wesentliches Merkmal der reformpädagogischen Ansätze ist die Freiarbeit. Das bedeutet, dass Schüler/innen wählen dürfen, mit welchem der anstehenden Arbeitsaufträge sie sich beschäftigen wollen. Die Schüler/innen sind dabei in ihrer Eigenständigkeit und Eigenverantwortlichkeit zwar sehr gefordert, können sich aber auch mehr nach den momentanen Interessen richten. Zudem fällt der Zeitdruck weg, der oft beim Prinzip „alle machen dasselbe“ aufkommt und das Lernen erschwert. Schüler/innen können sich während der Freiarbeit in die Themen vertiefen, diese für sich erschließen und klären - quasi so lange dran bleiben, bis sie klar sind. Was verstanden wurde, bleibt dann auch.
Für die Lehrpersonen bedeutet dies, den Stoff so aufzubereiten, dass er selbständig erarbeitet werden kann. Das benötigt natürlich ein Mehr an Zeit. Die Freie Montessori Schule kann hier zum Glück schon auf viel Unterrichtsmaterial zurückgreifen - und auf viel Erfahrung. 

Demokratisch. Das Kernstück beider Modelle bildet der Klassenrat. In Altach tagt er wöchentlich, in Feldkirch alle zwei Wochen. Hier werden Regeln vereinbart, Klassenverträge geschlossen, Konflikte bearbeitet, Gesprächskultur eingeübt, Entscheidungen gesucht - hier wird Demokratie gelebt. Zudem ist dieses Gremium beste „Mobbing-Prävention“. „Und Mobbing ist an unserer Schule in der Unterstufe echt ein Problem“, erklärt Haas-Hämmerle.

Haltung. Gute Rahmenbedingungen - sei dies die Methodenvielfalt, die Tagesstruktur oder die Raumgestaltung - wirken. Auf Lernende und Lehrende. Dennoch ist die Persönlichkeit und die Haltung der Lehrenden letztlich das Entscheidende. Sie werden als Lernbegleiter gesehen, die den Schüler/innen wertschätzend und respektvoll, auf Augenhöhe begegnen. Die Schüler/innen haben zwar nicht die gleichen Rechte, sind aber gleichwürdig. Im Focus stehen nicht so sehr die Defizite, sondern die Fähigkeiten und Begabungen der Lernenden. Die Lernbegleiter übernehmen die volle Verantwortung für den Lernprozess.
Fragt man bei den Schüler/innen nach, was eine gute Lehrperson auszeichnet, so hört man den Begriff „streng-nett“.  „Streng“ bedeutet dabei, dass die Person für jene Rahmenbedingungen sorgt, die Sicherheit und ein gutes Lernklima schaffen. Dazu gehören Ruhe und ansprechendes Unterrichtsmaterial ebenso wie das Lernen ohne Druck. „Nett“ ist eine Lehrperson laut Kindern zum Beispiel, wenn „sie eine Sache auch zwei Mal erklärt.“ 

Ausbildung. „Investiert nicht in Schulgebäude, sondern in die Ausbildung der Lehrpersonen.“ Diesem Rat von John Hattie können die drei Pädagoginnen viel abgewinnen. Die zukünftige Ansiedlung der Lehrer/innen-Ausbildung auf universitärer Ebene sehen sie mit großer Skepsis. Steht die Ausbildung dort schließlich nicht für eine sehr praxisbezogene. Diese wäre aber vonnöten. „Ein paar ‚Soft-Skills-Workshops‘ reichen nicht aus, es braucht eine längerfristige Ausbildung“, ist Dorner überzeugt. Gleichzeitig bedarf es einer Begleitung von Lehrpersonen - in Form von Supervisionen, Mentoren, speziellen Weiterbildungen etc. Auch in der Zusammenarbeit und im Austausch von Junglehrer/innen und Erfahrenen liegt unheimlich viel Potential. „Eine Lehrperson muss bereit sein, an sich zu arbeiten“, fordert Dorner. Die drei Lehrerinnen am Tisch sind das beste Beispiel dafür.

Wertschätzung. Für den Arbeitgeber bedeutet dies alles natürlich finanziellen Mehraufwand. Bisher werden die Zusatzstunden außerhalb des regulären Stundenplans weder in Altach noch in Feldkirch finanziell abgegolten. Das bringt manche an die Grenzen. „Wenn jemand eine volle Lehrverpflichtung hat, dann ist dieser zeitliche Mehraufwand fast nicht möglich“, erklärt Haas-Hämmerle. Die Anerkennung in Geldform ist aber nicht die einzige. Viel wichtiger erscheint den drei Frauen die gesellschaftliche Wertschätzung des Lehrberufes. Wenn Bildung und Förderung der Heranwachsenden einer Gesellschaft wichtig sind, dann muss sich das auch in der Haltung gegenüber Lehrenden zeigen.

Zur Sache

Freie Montessori-Schule
Die Freie Montessori Schule blickt auf intensive 30 Jahre zurück, in denen sie sich sowohl auf organisatorisch-struktureller als auch inhaltlicher Ebene ständig weiterentwickelt hat. Heute ist die Schule in Altach eine Privatschule (Volks- und Mittelschule) mit Öffentlichkeitsrecht. 172 Schüler/innen werden in acht Klassen von 26 Lehrpersonen begleitet. Die Klassen sind jahrgangsübergreifend, sie umfassen drei bzw. zwei Jahrgänge.
Die pädagogischen Grundsätze orientieren sich am Werk Maria Montessoris, deren wichtigstes Ziel es war, den Kindern eine freie Entwicklung zu ermöglichen, nach dem Motto „Hilf mir, es selbst zu tun“. Die Schule zeichnet sich aus durch: alternative Leistungsbeurteilung, intensive Kooperation mit Eltern, soziale Erziehung und Methodenvielfalt (Freiarbeit, Projektlernen, vernetzter Unterricht, Exkursionen).


CoOl-Klassen
CoOL (Cooperatives Offenes Lernen) ist ein reformpädagogischer Ansatz für mehr Selbständigkeit, Eigenverantwortung und Kooperation. Die 1996 gegründete Initiative hat vor allem in Berufsbildenden Höheren Schulen Fuß gefasst. Wesentliche Merkmale:

  • Die Lehrpersonen arbeiten eng zusammen
  • Freiarbeit: In den CoOl-Stunden (derzeit vier pro Woche) haben die Schüler/innen die Wahlfreiheit, wann, wo, wie und mit wem sie die gestellten Arbeitsaufträge ausführen wollen
  • Alternative Beurteilungsmethoden
  • Eltern werden verstärkt (freiwillig) mit eingebunden („Eltern-Hock“)
  • Im Klassenrat werden aktuelle Anliegen besprochen, Schüler/innen üben dabei Gesprächsführung, Konfliktlösung und demokratisches Handeln