Noch nie zuvor wurde in Österreich derart breit, kontrovers und lang über die Wehrpflicht diskutiert. Christliche Friedensbewegungen kritisieren dennoch, dass am 20. Jänner die entscheidenden Fragen nicht gestellt würden: Die nach einer aktiven Friedenspolitik Österreichs. Auch die Katholische Jugend macht einige Fragezeichen hinter das Referendum.

von Dietmar Steinmair

Im Bild rechts: Pete Hämmerle (Internationaler Versöhnungsverbund, Wien), Gottfried Schröckenfuchs (ehem. Militärkommandant für Vorarlberg), Wolfgang Palaver (Univ.- Prof. für Sozialethik am Institut für Systematische Theologie an der Universität Insnbruck) und Moderator Roland Poiger (v.l.n.r.)

Die Alternativen

Den Stammtisch in voller Länge zum Nachhören finden Sie hier.

Der „Gesellschaftspolitische Stammtisch“ des EthikCenters am Montag dieser Woche in Dornbirn war außergewöhnlich gut besucht. Der Saal des Kolpinghauses war bis zum letzten Platz gefüllt, auch mit vielen Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Sie sind es, die die Frage nach der Beibehaltung der Wehrpflicht oder der Einführung eines Bundesheeres als erste betrifft.

Glaubensfrage
Über weite Strecken der Publikums-, aber auch der Podiumsdiskussion waren sachliche Argumente seltener zu hören als emotionale Begründungen. Die persönlich gemachten Erfahrungen prägen. Auch Straßeninterviews und Leserbriefseiten stärkten zuletzt den Eindruck, dass einmal eingenommene Standpunkte mit allen zur Verfügung stehenden Argumenten vehementest verteidigt werden. Die Wehrpflichtdebatte ist beinahe zur Glaubensfrage geworden.

Begründungsfrage
Prof. Wolfgang Palaver machte am Montag deutlich, dass die allgemeine Wehrpflicht eine sehr neuzeitliche Erfindung sei. Denn den größten Teil der Menschheitsgeschichte wurden Kriege ausschließlich mit bezahlten Söldnern geführt. Vorbereitet durch Jean-Jacques Rousseau, wurde die allgemeine Wehrpflicht erstmals 1793 in Frankreich eingeführt. Mit dem Ziel, die ausländischen Mächte daran zu hindern, in Frankreich die Revolutions-Folgen wieder rückgängig zu machen. Doch schon 1796 erhob Immanuel Kant in seiner Schrift „Vom Ewigen Frieden“ die Forderung, dass „Menschen niemals als Mittel zum Zweck“ (der Kriegsführung) missbraucht werden dürften. Kant sprach sich gegen die Wehrpflicht, aber für freiwillige militärische Übungen der Bürger aus.

Ab Beginn des 19. Jh. wurde die Wehrpflicht in fast allen europäischen Ländern eingeführt. Die zunehmende Militarisierung der Gesellschaften - vor allem in Deutschland - führte letztlich zu den großen Katastrophen der beiden Weltkriege, so Palaver. Daher müsse die Wehrpflicht - und das gelte bis heute -
immer politisch-ethisch und nie nur rein militärisch begründet werden.

Gewissensfrage
In Österreich kann der Wehrdienst seit 1975 aus Gewissensgründen verweigert werden. Die Gründe mussten in einem Antrag schriftlich begründet und persönlich vor der „Gewissenskommission“ verteidigt werden. Zivildiener galten lange als Drückeberger. Wenn nun in der aktuellen Debatte ausgerechnet mit den Zivildienern - Stichwort: Krankentransporte - pro Wehrpflicht argumentiert wird, ist dies nichts weniger als eine Verhöhnung von ehemals gewissensgeprüften Zivildienstleistenden.

Sinnfrage
In dieselbe Kerbe schlägt auch der Jugendseelsorger der Diözese Feldkirch, Dominik Toplek: „Wir treten für eine Entmilitarisierung der Gesellschaft ein. Die Katholische Jugend Österreich setzt sich für einen Friedensdienst in Form des Zivildienstes und für eine aktive Friedenspolitik ein.“ Die Junge Kirche Vorarlberg, die älteste Zivildienstberatungsorganisation im Land, habe die Erfahrung gemacht, dass es sich beim Zivildienst für die jungen Männer um ein sehr sinnvolles Engagement handle, so Toplek. Es sei in der Regel die erste Arbeitsstelle, in der sie für ihre persönliche Zukunft lernen und profitieren können. „Wir sind daher strikt gegen die Koppelung an die Frage der Landesverteidigung. Bei den Fragen des Referendums orten wir einen Missbrauch des Zivildienstes für die jeweilige Militär-Option.“

Friedensfrage
Christliche Friedensbewegungen wie der Internationale Versöhnungsbund und Pax Christi kritisieren, dass bei der vorgelegten Befragung die zwei wichtigsten Fragen nicht gestellt würden: Erstens: Braucht Österreich überhaupt ein Heer? Und zweitens: Wozu braucht Österreich ein Heer? Die Friedensbewegungen bezeichnen die Volksbefragung daher als „Wahl zwischen Pest und Cholera“ und geben keine Empfehlung für den 20. Jänner ab.
Auffallend ist, dass in allen Leitmedien die  für die Friedensbewegungen entscheidende Grundsatzfrage praktisch nicht vorkommt: „Wie stehst du zum Einsatz von Gewalt?“ Der gewaltfreie Widerstand hat sowohl in der DDR als auch auf den Philippinen zum Sturz von Diktaturen geführt. Dass gewaltfreie Konfliktlösungsstrategieen und Mediation - auch im internationalen Kontext - erfolgreich sein können, zeigt etwa die Gemeinschaft „Sant‘Egidio“ immer wieder.

„Wenn du den Frieden willst, rüste zum Krieg“. Dieses die Menschheitsgeschichte bestimmende Muster - bei uns in Europa zuletzt im Kalten Krieg - müsse abgelöst werden durch das Wort: „Wenn du den Frieden willst, bereite den Frieden vor.“ Die Volksbefragung am 20. Jänner diene, so die christlichen Friedensbewegungen, diesem Ziel definitiv nicht. Wem dient sie aber dann?

Die Alternativen

Nach Michael Striebel, Mitglied des Internat. Versöhnungsbundes und Sprecher von Pax Christi Vorarlberg

Boykott der Befragung
- Verzicht auf Mitbestimmung
- Ablehnende Wirkung nur durch intensive Öffentlichkeitsarbeit, ansonsten auslegbar als Desinteresse
- Stärkung des Status quo

Ungültig stimmen
- Bekenntnis zur Mitbestimmung
- Ablehnende Wirkung nur durch intensive Öffentlichkeitsarbeit und entsprechend hohen Stimmenanteil
- Indirekte Unterstützung der Mehrheit

Für Berufsheer und freiwilliges Sozialjahr
- Territoriale Landesverteidigung ist nicht mehr notwendig - Schwerpunkte sind Auslandseinsätze und Katastrophenschutz
- Gleicher Zugang für Frauen und Männer
- Befürchtungen: negative Auslese, rechtsgerichtete, antidemokratische, nationalistische Bewerber/innen
- „Leichtere“ Integrierbarkeit in eine EU-Armee oder in die NATO
- „Freiwilliges“ Sozialjahr: befristetes Dienstverhältnis, keine unbezahlte (freiwillige, ehrenamtliche) Tätigkeit
- Zivile Friedens- und Auslandsdienste sind nicht vorgesehen

Für Beibehaltung von Wehrpflicht und Zivildienst
- Noch vage Reformabsichten
- Zivildienst wird weiterhin „bestraft“, weil um die Hälfte länger
(9 statt 6 Monate) als Wehrdienst
- Katastrophenschutz, Zivildienst, Verankerung in der Bevölkerung, Integration in die Demokratie sind keine militärischen Kernaufgaben
- Zwangsverpflichtung von über 30.000 jungen Männern angesichts mangelnder Bedrohungen
- Ausbildung von 75% der männlichen Bevölkerung im Kämpfen und Töten (einer Tätigkeit, die man nach der Ausbildung auf keinen Fall mehr ausüben darf) ist volkswirtschaftlich eine Verschwendung. Das Einüben von Friedenstätigkeiten (z.B. Gewaltfreie Kommunikation, bürgerschaftliches Engagement) ist nachher anwendbar und daher eine sinnvolle volkswirtschaftliche und politische Investition