Pilgerreisen sind ein beliebte Form der Auszeit. Peter Mayerhofer hat als Fortbewegungsmittel für seine Reise ein ungewöhnliches gewält: sein Motorrad. Seine Erfahrungen als „Pilger mit seiner Maschin“ hat er hier zu Papier gebracht.

Peter Mayerhofer

Seit über 20 Jahren gehört das Motorradfahren zu meinen großen Leidenschaften. Das hohe Konzentrationserfordernis sorgt schon auf den ersten Metern für Abstand von den Sorgen und Gedanken des Alltags, die Wendigkeit und das Beschleunigungsvermögen geben dem Leben Leichtigkeit, und das Zusammenspiel zwischen dem vorgegebenen Verlauf einer Straße, der individuellen Linienwahl und der Beherrschung der Technik erzeugen einen „Flow“, wie ich ihn von kaum einer anderen Tätigkeit her kenne.

Doch was macht eine Motorradreise zur Pilgerreise? Zunächst einmal das angesteuerte Ziel. In meinem Fall war es allerdings nicht ein bestimmter Wallfahrtsort, den ich unbedingt erreichen wollte, sondern es ging mir darum ein Land zu „erfahren“, das in seiner Gesamtheit durch und durch mit der Geschichte des Christentums verbunden ist. Schließlich finden sich in Italien quasi an jeder Ecke inspirierende Zeugnisse großer Heiligengestalten oder kirchengeschichtlicher Ereignisse. Rom bildete dabei natürlich einen gewissen Höhepunkt meiner Reise – besonders angesichts des aktuellen Heiligen Jahres der Barmherzigkeit. Die großen Hauptkirchen empfinde ich immer wieder als besuchenswerte Monumente der historischen Kraft und Bedeutung unserer Glaubensgemeinschaft in Europa. Unterm Strich empfing ich aber angesichts eines kleinen Kirchleins am Wegrand oder umwerfend schöner Landschaften oftmals wesentlich mehr Inspiration als in der von Touristenströmen durchfluteten Großstadt.

Als besonders eindrücklich habe ich etwa Marina del Cantone in Erinnerung – ein kleines Kaff an der herrlichen Küste Kampaniens, wo gerade das Antoniusfest begangen wurde: Jung und Alt feierten singend und tanzend miteinander ihr Patrozinium. Musik, Strand, Lebensfreude und ein Schuss Melancholie waren die Hauptzutaten für einen Stimmungsmix, der mich für einen Moment das Leben in einer Intensität spüren ließ, die mich zu Tränen der Dankbarkeit rührte.

Eigentlich wurde aus meiner Motorradreise nicht durch das Aufsuchen bestimmter Orte eine Pilgerfahrt. Vielmehr trug das bewusste Unterwegssein als solches dazu bei – das Öffnen für das Ferne und das Fremde und der sich daraus ergebende innere Weg, den ich „abgefahren“ habe. Das Alleinsein spielte dabei eine wichtige Rolle. Das Führen eines Tagebuchs half mir, spannende Gedanken und Eindrücke zu ordnen und zu reflektieren, und ausgewählte Bibelstellen, inspirierende Texte oder Heiligengeschichten gaben den einen oder anderen Impuls dazu. Wesentliches Element war für mich auch das mit dem Reisen verbundene einfache Leben: Bewusst bin ich nicht in noblen Hotels abgestiegen und habe keine Gourmettempel aufgesucht, sondern habe mich gut zwei Wochen mit Zelt, Schlafsack und Isomatte durchgeschlagen.

Die landschaftlichen und kulturellen Eindrücke haben dabei den einen oder anderen Gedanken verstärkt und einen guten Rahmen für den spirituellen Weg geschaffen. Beispielsweise der Anblick von auch heute teilweise noch bewohnten Höhlen im kleinen sizilianischen Städtchen Sperlinga: Trotz oder vielleicht gerade wegen dieser urtümlichen Einfachheit der Lebensumstände wirken die Menschen dort glücklich und führen uns so vor Augen, mit wie wenig materiellem Wohlstand frohes Leben möglich ist.

Oder der Blick von einem Vorgipfel des Ätna: Die Aussicht von 3000 Metern Höhe auf das weite Meer ließ mich erschauern vor der Größe und Herrlichkeit der Welt. Mitten in erkalteten Lavaströmen errichtete Häuser und Hütten sind Zeugnis der Willenskraft und Widerstandsfähigkeit menschlichen Kulturstrebens, und die von der Vulkanasche schwarz gefärbte, vegetationslose Krater- und Wüstenlandschaft des Gipfelmassivs reduziert beim Durchwandern die äußeren Eindrücke auf das ganz Wesentliche. Das macht für mich das Pilgern aus.

3.800 Kilometer und 15 Tage später bin ich bereichert, erholt und mit vielen Gedanken und Vorsätzen für den nächsten Lebensabschnitt zurück gekommen. Eine motorradfahrerische Erkenntnis lässt sich dabei vielleicht auch auf die Lebensplanung übertragen: Kurven und Nebenstraßen sind weitaus spannender als Autobahnen.

(aus dem KirchenBlatt Nr. 32 / 33 vom 11. / 18. August 2016)