Musste bis vor eineinhalb Jahren jedem Artikel über Carl Lampert eine Biografie beigefügt werden, so kann ich mir das heute sparen. Carl Lampert ist zu einer Berühmtheit im Lande geworden. Für den katholischen Bereich hat er sogar das höchste Ziel erreicht, das ein Mensch erreichen kann, die Seligkeit. Doch Carl Lampert hat über diese päpstliche Deklaration hinaus Bedeutung und Gewicht.

Karin Bitschnau

Mein Weg mit Carl Lampert hat im Haus meiner Ursprungsfamilie begonnen, in dem ein Bild von ihm im Zimmer einer Großtante hing. Als „einer, den der Hitler umgebracht hat“ wurde er mir vorgestellt. Er sei ein „Märtyrer“, hieß es, für mich unverständlich, im Nachsatz.

Aus- und Einzug
Über zwei Ferialjobs bei der Diözese habe ich später begonnen, mich mit Carl Lampert und der Zeit des Nationalsozialismus intensiver auseinanderzusetzen. Carl Lampert hat mich irgendwie gefunden, drei oder vier Generationen später. Es ist wie mit dem jüdischen Erinnerungsbegriff: Vergangenes ereignet sich heute. Ich bin mit den Israeliten aus Ägypten ausgezogen und mit meinem Großvater in den Krieg hinein gezogen. Wer sich über längere Zeit mit dem Nationalsozialismus beschäftigt, hat meistens eine eigene Geschichte aufzuarbeiten, ist eine meiner Beobachtungen der letzten Jahre. Und da nehme ich mich mit hinein. Traumatisierungen auf Opfer- wie Täterseite aus dem Krieg wirken bis in die heutige Friedenszeit hinein.

Landkarte
Als ich gemeinsam mit Hans Rapp 2007 für das Diözesanprojekt „Lampert erinnern“ tätig wurde, bekam ich die Chance, mich systematischer mit dieser Generationen prägenden Zeit auseinanderzusetzen. Die Ziele waren klar vorgegeben, die Durchführung frei: Carl Lampert bekannt machen und unter seiner Patronanz eine „Erinnerungslandkarte Vorarlbergs“ zu zeichnen, vergessene Opfer zu benennen und ihnen durch Erinnerung etwas von ihrer Würde zurückzugeben, die ihnen genommen worden war. In einem groß gewordenen Netzwerk (den Newsletter zu Carl Lampert empfangen mittlerweile über 200 Interessierte) steht Carl Lampert heute dank vieler Engagierter für die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus jenseits politisch vereinnahmter Geschichtsschreibung.
 
Verweigerung
Mit Seligen- und Heiligenverehrung kann ich persönlich nichts anfangen. Dass Carl Lampert nun selig ist, berührt mich wenig. Ich verweigere mich hier der Verehrung im kultischen Sinne. Die Seligsprechung war ein tolles Fest, es war eine riesige Freude in der Kirche und im ganzen Land spürbar. Carl Lampert hat für mich bisweilen mit der letzten Radikalität seines Lebens eine fundamentale Frage stetig präsent gehalten: Wofür gebe ich mein Leben? Sie katapultiert mich immer wieder heraus aus den Planungen für den nächsten Urlaub, der nächsten Sitzungsvorbereitung, den täglichen Feigheiten und dem alltäglichen Familienleben.

Carl Lampert verweigert sich einer bequemen und leichten Auseinandersetzung. Bei jedem Artikel zu Carl Lampert drängten sich andere Aspekte in den Vordergrund, tauchten eigene Entwicklungslinien auf, hat er sich immer wieder  neu erschlossen und gleichzeitig verschlossen. So nobel und galant dieser Herr der 1920er Jahre war, so uneinholbar klar und gewiss der „inneren Kraft“ hat er sich 1944 gezeigt. Carl Lampert und sämtliche weltanschauliche Opfer des Naziregimes wie Ernst Volkmann, Johann Anton King, P. Alois Grimm, Maria Stromberger oder Samuel Spindler spiegeln für mich die Unverfügbar- und Unplanbarkeit des Lebens wieder. Und auf erstaunliche Weise haben sie mich immer wieder frei gemacht für das Wesentliche.

Anfang
Mit einer Person wie Carl Lampert in Kontakt gekommen zu sein, war rückblickend mehr als eine Herausforderung. Sie ist mir zur Aufgabe geworden. Mehr ein Aufblicken beim Anblick seines Schicksals, manchmal ein Zurückweichen und Ausweichen auf andere Themen, wenn es zu tief gegangen ist und am Eigenen zu heftig gerührt hat. Carl Lampert ist nun von oberster Stelle zur Aufgabe für die Kirche Vorarlbergs bestellt worden. Dass die Seligsprechung der Beginn einer neuen Phase ist, in der in seinem Namen das Gewichtige gesehen werden kann, ist ein großes Glück.

Carl Lampert erinnern

An Carl Lampert zu erinnern und unter seinem Namen die Geschichte der Kirche und des Nationalsozialismus in Vorarlberg aufzuarbeiten, geschieht seit 2004 im Rahmen eines Projektes der Katholischen Kirche.

Lampert-Akademie
Rund um den 13. November, dem Todestag Lamperts, fand alljährlich eine Gedenkwoche mit Gottesdiensten, Vorträgen, Gesprächen und Ausstellungen statt. Ein Schwerpunkt der Arbeit lag - in Zusammenarbeit mit der Kulturabteilung des ORF Vorarlberg - in der Ausrichtung der Provikar-Lampert-Akademie.

Die Initiative „Carl Lampert erinnern“ hat vier Dimensionen:

  • Netzwerk lokaler und regionaler Einrichtungen. Die Koordination von Seiten der Diözese nahm von 2004 bis 2006 Christof Thöny, von 2007 bis 2012 Karin Bitschnau wahr.
  • Pädagogik. Durch Erinnerung eine Zukunft in Freiheit und demokratischer Verantwortung gewinnen. Initiierung von Schulprojekten.
  • Wissenschaft. Theologische Deutung und Vertiefung, vor allem durch die Provikar-Lampert-Akademie.
  • Dokumentation und Archivierung
    unter: www.provikar-lampert.at