Nach einer 10-tägigen Friedenspilgerfahrt mit Fahrrädern von Augsburg nach Wittenberg liegt der Artikel XVI der „Confessio Augustana“ (CA 16) nun wieder auf dem Schreibtisch im Arbeitszimmer seines Verfassers - Philipp Melanchthon.

Bild: Die Friedenspilger/innen vor der Statue Philipp Melanchtons auf dem Wittenberger Stadtplatz

Walter L. Buder

Bei - im wahrsten Sinne des Wortes - Wind und Wetter machte die Gruppe der 20 Radfahrerinnen und Radfahrer über 600 km Symbolpolitik (und -theologie) vom Feinsten. Rechtzeitig zum Abschlussgottesdienst der „Weltausstellung Reformation“ am 10. September auf dem Hauptplatz in Wittenberg waren die friedensbewegten Demonstranten in der Lutherstadt eingetroffen - mit „einem hochproblematischen Erbstück der Reformation“ im Gepäck. Die Rückführung des Artikels CA 16 (siehe Randspalte: Zur Sache) ist „unser Beitrag zur Weltausstellung ‚Tore der Freiheit‘ in Wittenberg“, sagt Thomas Nauerth, Initiator, Organisator und Navigator der Aktion: „Wir bringen etwas zurück, was besser nie die Tore Wittenbergs verlassen hätte.“ 

Die symbolische Rückführungsaktion wurzelt im Innersten des Internationalen Versöhnungsbundes (IVB), der sich weltweit „seit 1914 gewaltfrei aktiv gegen Unrecht und Krieg“ einsetzt. Seit fast 20 Jahren „ringt der IVB mit den evangelischen Kirchen um eine Distanzierung und Abkehr“ von CA 16, der immer benutzt wurde, um in zweifelhafter Weise staatliche Gewalt theologisch zu legitimieren, erklärt Nauerth. Der schmerzlichen und in der kirchlichen Realität oft abgespaltenen, verdrängten, blutigen Wirkungsgeschichte des Artikels 16 - vor allem im Hinblick auf die Verfolgung der Täuferinnen und Täufer durch die evangelische Kirche im 16. Jahrhundert - sind die Friedenspilger/innen täglich begegnet, haben die Blutzeugen in Gedenkmomenten und Gebeten erinnert. „Es waren schmerzliche, aber heilsame Unterbrechungen, die den Botschaften unserer Transparente Tiefe gaben und Gegenwart vermittelten.“ 

„Wir treten ein für das Recht eines jeden Christen, ‚Nein!‘ zum Krieg und ‚Nein!‘ zum Soldatsein als ‚Beruf‘ sagen zu dürfen - und wir wollen uns für diese Überzeugung von niemandem mehr verdammen lassen“, ist der einhellige Auffassung der Friedensradler/innen. Sie werden darin - konfessionsübergreifend - von nicht wenigen Christinnen und Christen unterstützt: Der Ökumenische Rat der Kirchen ist auf ihrer Seite; Bischöfinnen und Bischöfe, Theologinnen und Theologen nicht nur der evangelischen Kirchen. Doch trotz der Überzeugung, „dass die Kirchen aufgerufen sind, vor der Welt ein klares Zeugnis abzulegen von Frieden, Versöhnung und Gewaltlosigkeit, die auf Gerechtigkeit“ gründen, bleibt CA 16 im Widerspruch dazu unverändert in Kraft.

Nun ist die „Rückführung“ also erfolgreich geschehen. Wie soll es weitergehen? „Es ist nun Aufgabe der evangelischen Kirchen, einen neuen Artikel 16 zu entwerfen und endlich in angemessener Weise die Ermordeten des 16. Jahrhunderts zu erinnern“, heißt es in Schlusserklärung der Friedenspilger/innen. Denn „die Aufgabe christlicher Weltverantwortung lässt sich besser und friedlicher formulieren“, meinen sie. Man ist geneigt, ihnen zuzustimmen.

CA 16-Annahme verweigert

ZUR SACHE

Mit dem Kürzel „CA 16“ ist der Artikel 16 der „Confessio Augustana“, dem „Augsburger Bekenntnis“ gemeint, einer zentralen reformatorischen Bekenntnisschrift von 1530, verfasst von Philipp Melanchthon. Sie hat in den lutherischen und vielen unierten Kirchen bis heute Gültigkeit. Viele Pfarrerinnen und Pfarrer, Gemeindeälteste und Kirchenvorsteher/innen wurden und werden auf dieses Bekenntnis verpflichtet.

Der CA 16 legt fest: „...dass alle Obrigkeit in der Welt und geordnetes Regiment und Gesetze gute Ordnung sind, die von Gott geschaffen und eingesetzt sind, und dass Christen ohne Sünde in Obrigkeit, Fürsten- und Richteramt tätig sein können, nach kaiserlichem und anderem geltenden Rechten Urteile und Recht sprechen, Übeltäter mit dem Schwert bestrafen, rechtmäßig Kriege führen, in ihnen mitstreiten, kaufen und verkaufen, auferlegte Eide leisten, (...). Hiermit werden die verdammt, die lehren, dass das oben Angezeigte unchristlich sei.“ (Hervorhebung durch den Autor)
 
Immer wieder ist CA 16 benutzt worden, um staatliche Gewalt theologisch zu legitimieren. In seiner Wirkungsgeschichte hat der Artikel 16 zur blutigen Verfolgung der (Wieder-)Täufer durch die evangelischen Kirchen beigetragen und zur Ausgrenzung von Pazifistinnen und Pazifisten bis heute. Friedensbewegte Pfarrerinnen und Pfarrer kamen wegen dieses Artikels immer wieder in Schwierigkeiten mit ihrer Kirche.
Die - oben verkürzt zitierte - Textfassung des CA 16 findet sich im Evangelischen Gesangbuch, das in den deutschen Landeskirchen verwendet wird.

Weitere Informationen unter: versoehnungsbund.de/ca16

(aus dem KirchenBlatt Nr. 38 vom 21. September 2017)