Das diesjährige Philosophicum vom 16. bis 20. September fand zum 19. Mal in Lech am Arlberg statt und stand unter dem Titel „Neue Menschen und deren Optimierung.“

Felix Rohner-Dobler

Der Leiter des Philosophicums, Prof. Konrad Paul Liessmann, sagte zum Thema des Symposions: „Alles wird besser. Auch der Mensch. Schon vor der Geburt beginnen die Optimierungsprogramme, die dafür sorgen sollen, dass später Höchstleistungen erbracht werden können. Mithilfe technischer, chemischer, chirurgischer oder auch genetischer Veränderungen, Eingriffe und Ergänzungen sollen vorhandene Leistungen verbessert, ausgebaut und beschleunigt werden. Das Hirn wird umfassend gefördert, die Seele wird durch Psychopharmaka von allen Irritationen fern- und durch permanente Kontrolle im Gleichgewicht gehalten. Am Ende solcher Optimierungsprozesse steht die Version eines perfekten, transhumanen Wesens - eines Über-Menschen - das reibungslos funktioniert und dem alles Menschliche fremd geworden ist.“

Kompatibel mit dem Christentum? Am Sonntag sprach der renommierte Theologe Dr. Dietmar Mieth aus Tübingen zu diesem Thema. Die Optimierung des Menschen ist für ihn ein Wesenszug des Christentums: „Seid nun vollkommen, wie euer Gott im Himmel vollkommen ist.“ (Mt. 5, 48). Wer hier „Vollkommenheit“ als moralische Aufforderung fehlerlos und perfekt sein zu müssen versteht, der irrt. Das griechische Wort „teleios“ im Urtext meint vielmehr: „ganz sein, vollständig sein - ganz in der Liebe sein wie Gott.“ Und in der großen Gerichtsrede (Mt. 25) mit den Werken der Barmherzigkeit wird ausgeführt, wie sich das verwirklichen lässt.

Das Geschenk verändern. Die „Transzendierung“ - das über sich selbst hinausschreiten, sich selbst „optimieren“ - ist eine wesentliche Aufgabe des Menschen. Gleichwesentlich ist aber auch die „Empfänglichkeit“, so Mieth: „Der Mensch muss sich einlassen auf ETWAS, das auf ihn einwirkt, ohne dass er selbst darauf einwirken könnte.“ Der Mensch ist immer ein Empfänger und Gestalter. Wir Menschen sollen das Geschenk, das wir empfangen haben und das auf uns einwirkt, dankbar annehmen, daraus Neues gestalten, es jedoch nicht verändern. Der Optimierungs- und Perfektionismus-Wahn unserer Zeit will aber genau dieses Geschenk verändern, manipulieren.

Lösungen. Welche Auswege gibt es aus diesem Wahn? Dietmar Mieth: „Bildung und Mystik!“ Technische Lösungen kommen von außen und sind meist schnelle Lösungen. Bildung entspringt dem Inneren, ist eine langsame Aneignung kritischen Bewusstseins, doch dafür wirkt sie nachhaltig. Bildung setzt Religiöses voraus: Die Mystik lehrt uns einen anderen, empfänglichen Umgang mit der Endlichkeit und Fehlerhaftigkeit des Menschen. „Vielleicht schafft die Verlangsamung den neuen Menschen …“

 

Kommentar

Felix Rohner-DoblerLiebe und Barmherzigkeit
Dietmar Mieth meint: „Wir müssen die Endlichkeit des Menschen annehmen lernen und damit auch seine Fehlerhaftigkeit.“ Und dann stellt er die kritische Frage: „Kann ein endlicher, fehlerhafter Mensch einen unendlichen, unfehlbaren Menschen hervorbringen? Und wäre das dann ein Gott?“
Nach kurzem Überlegen und ein paar guten Gesprächen fand ich für mich folgende Antwort: Nein! Dieser hochtechnisierte, computergesteuerte, genmanipulierte, muskulöse, megaschöne Übermensch aus dem Frankensteinlabor ist kein Gott. Ihm fehlt das Wesentliche: Liebe und Barmherzigkeit!

 (aus dem KirchenBlatt Nr. 39 vom 24. September 2015)