Gottfried Bechtold gilt als Aushängeschild der Kunst in Vorarlberg. Mit seinem Betonporsche (1971) „begann für Bregenz in gewisser Weise das Zeitalter der zeitgenössischen Kunst“, schreibt der Kunstkritiker Robert Fleck. Bechtolds Künstler-Ich ist in der Revolte der 1960er-Jahre geboren. Seine Kunst war bislang frei von jedem Bezug zur Religion. Es ist eine mittlere Sensation in der Ländle-Kunstszene, dass „Göpf“, wie Bechtold liebevoll genannt wird, eine Pietà ins Zentrum seiner aktuellen Dornbirner Schau stellt.

Wolfgang Ölz

Bis zur Eröffnungs-Pressekonferenz war es ein gutgehütetes Geheimnis: Der Künstler Gottfried Bechtold und die Leute vom Kunstraum Dornbirn - Geschäftsführer Thomas Häusle, Kuratorin Ingrid Adamer und Pressereferentin Herta Pümpel - hielten dicht. In der Vernissage-Ankündigung war lediglich verlautet worden, dass im neuen Werk „Themen wie Religion und Physik aufeinanderprallen“ würden. Auf KirchenBlatt-Anfrage gab die Kuratorin Ingrid Adamer immerhin bekannt, dass es einen „christlichen-theologischen Bezugspunkt“ gebe.  Mit dem Titel der Schau „Mitten durchs Herz“ ließ sich die Bibelstelle von der Darstellung des Herrn im Tempel (Lk 2,35b) assoziieren, wo der greise Simeon zu Maria sagt: „Dir selbst aber wird ein Schwert durch die Seele dringen.“ Gleichviel: Die Überraschung beim Betreten des Kunstraum Dornbirn war groß.

Schiene statt Schwert
Ins Zentrum des aufgelassenen Industriegebäudes platzierte der Konzeptkünstler Bechtold - auf einem 3,2 Tonnen schweren, monumentalen Granitsockel - eine stehende Pietà, Maria mit dem toten Jesus im Arm. Das Schwert wurde durch eine 15 Meter lange Stahlschiene ersetzt. Der namenlose Schmerz dieser Mutter um ihren toten Sohn hat eine existenzielle, ja spirituelle Dimension. Herta Pümpel sagt es so: „Es ist eine sehr eindrückliche Interpretation vom Leiden Christi, aber auch vom Leid im übergeordneten Sinn.“
Gottfried Bechtold hat einen persönlichen Bezug zu dieser weißen Marmorfigur. Sie stand viele Jahre im Haus seiner Eltern, später in seinem Atelier, das er in seinem Elternhaus eingerichtet hat. Es handelt sich um eine Kopie einer Bronzeskulptur seines Großonkels Albert Bechtold, die auf dem Dornbirner Stadtfriedhof steht. Die 15 Meter lange Schiene, die die Herzen Mariens und Jesu durchbohrt, durchmisst den gesamten Raum und wiederholt sich vielfach in der Innenansicht der ehemaligen Montagehalle.

In der christlichen Ikonographie gilt die Pietà als wichtiger, kunsthistorischer Bildtypus der Leidensgeschichte Christi. Man denke etwa an die Pietà von Michelangelo im Petersdom. Ein Vorarlberger Beispiel für eine spätgotische Schmerzensmutter bzw. barocke Pietà von einem unbekannten Künstler aus dem 16. Jahrhundert findet sich im Altarraum der Basilika in Rankweil. Das von sieben Schwertern durchdrungene Herz Mariens war zur Zeit seiner Entstehung hochaktuell: Viele Mütter mussten den Tod ihrer Kinder verkraften, die durch Hunger und Seuchen gestorben waren oder durch Kriege getötet wurden. Die Pietà steht dafür, dass Gott da ist - auch im letzten Gefühl der Verlassenheit, im größten Schmerz der Mutter, die ihr Kind verloren hat.

Antiblasphemisch 
Das Schwere ist in Bechtolds Werk von grundlegender Bedeutung: Der gewichtige Betonporsche etwa, und jetzt diese Pietà mit ihrem tonnenschweren Sockel. Der Künstler selbst sieht das Werk „antiblasphemisch“ und findet, dass es gut in eine Kirche passen würde. Um Gottfried Bechtold zu verstehen, muss man die Idee des Readymade kennen. Marcel Duchamp hat 1917 ein Pissoir auf einen Sockel gestellt und dieses zum Kunstwerk erklärt. „Readymade“ bedeutet „fertiggemacht“. Der Akt des Künstlers besteht nur darin, ein Ding aus seinem Kontext zu lösen und in einen neuen (Kunst-)Zusammenhang zu stellen.

Schlagende Metaphern
Mit dieser Pietà seines Großonkels verfährt Bechtold wie mit einem Readymade. Er nimmt die fertige Skulptur, durchbohrt sie, setzt sie auf einen Sockel und erklärt sie zu seinem Kunstwerk. Bechtold dazu: „Meine Arbeitsmethode ist es, der Welt nichts neues hinzuzufügen, sondern die Dinge, die uns umgeben, genau anzusehen und den Kontext zu verändern.“ Übrigens verfährt der Künstler im Prinzip so, wie eine sprachliche Metapher funktioniert: Ein Begriff wird aus dem ursprünglichen in einen neuen Kontext überführt, und wird so zum Bild für etwas anderes. In seiner Rede zur Werk-Präsentation verwendet Gottfried Bechtold schlagende Metaphern. So überführt er etwa den Begriff des Glaubens in das Weltbild der Naturwissenschaften, und wenn er sagt, dass ein Astronaut, der sich mit einer Rakete auf den Mond schießen lässt, einen immens großen Glauben an die Technik haben muss. Im Gespräch mit dem KirchenBlatt meinte der Künstler-Denker Gottfried Bechtold auch, dass in seinem Alter Spirituelles wieder interessant werde.

Ausstellung

Gottfried Bechtold: Mitten durchs Herz.
Ausstellung im Kunstraum Dornbirn, Jahngasse 9 (vis a vis Inatura).
Geöffnet: täglich 10-18 Uhr, bis 4. Dezember 2016.
www.kunstraumdornbirn.at

Gottfried BechtoldBegeisterung für sein Werk

"seit ich denken kann"

Gottfried Bechtold (geb. 1947 in Bregenz) ist gelernter Bildhauer.  Mit seinem Betonporsche 1971 in Bregenz beginnt seine Arbeit als konzeptueller (es geht mehr um die Idee als um die Ausführung), postminimalistischer (minimalistische Formen werden organisch weiterentwickelt) Künstler.

(Inter)national
Gottfried Bechtolds Beteiligung an der Documenta 1972 in Kassel, die in der Kunstwelt einem Ritterschlag gleichkommt, machte ihn auch international bekannt. Nicht ohne Grund schreibt Eckhard Schneider, der ehemalige Direktor des Kunsthauses Bregenz, dass Bechtolds Werk „national und international seinesgleichen sucht“. Thomas Häusle, Leiter des Kunstraum Dornbirn, empfindet „Begeisterung für Gottfried Bechtolds Werk, seit ich denken kann.“

Zum 70er 
1999 erhielt Gottfried Bechtold den Internationalen Kunstpreis des Landes Vorarlberg. Zu seinem bevorstehenden 70. Geburtstag widmet ihm das Lentos Museum in Linz diesen Herbst eine umfangreiche Personale.

(aus dem KirchenBlatt Nr. 37 vom 15. September 2016)