Werke von zwei Komponistinnen des 19. Jahrhunderts kommen beim November-Konzert von "musik in der pforte" zur Aufführung. Was hinter der Musik und Lebensgeschichte dieser außergewöhnlichen Frauen steckt, davon erzählt Klaus Christa, Initiator von "musik in der pforte" und Viola-Spieler beim Konzert.

Immer wieder widmet sich "musik in der pforte" Frauen, die musizieren und komponieren. Worin liegen die Gründe dafür? Und: Musizieren Frauen anders als Männer?
Wir haben ja eine wunderbare Kooperation mit dem Frauenmuseum Hittisau,  in der wir auch einen schönen Zyklus veranstalten dürfen, die „pforte im frauenmuseum“. Ob Frauen anders komponieren als Männer ist gar nicht leicht zu sagen, also ganz sicher komponierten sie über Jahrhunderte unter viel schwierigeren Umständen als ihre männlichen Kollegen. Komponistinnen waren über Jahrhunderte wirklich benachteiligt. Es ist kaum zu glauben, was für tolle Musik immer noch darauf wartet, entdeckt zu werden. Wenn es einer Frau früher gelang, sich in diesem Metier zu etablieren brauchte sie enorm viel Talent und Können und sehr, sehr gute Nerven. Klavier zu lernen im Sinne einer salontauglichen Ausbildung höherer Töchter, das war, was man den Frauen im 19.Jahrhundert zugestand. Sängerinnen brauchte man für die Oper und für das Lied, das war es dann aber schon auch.  Wenn es Frauen gelang, sich als Komponistinnen zu beweisen, dann sind das immer ganz besondere Geschichten, die unbedingt erzählt werden müssen.  Abgesehen davon ist es eine Freude, Schätze von solcher Qualität auszugraben, wie man sie oft findet bei den vergessenen Komponistinnen. Ich staune dann oft, wie Werke von einer Qualität wie das Klavierquintett von L. Farrenc so lange vergessen bleiben konnten…


Was ist das Besondere, das Neue oder Andere an der Musik von Louise Farrenc?
Farrenc hat in diesem Werk die Besetzung des Forellenquintetts von Franz Schubert aufgegriffen und sich somit eine hohe Latte gelegt. Aber sie hat es eben geschafft.  Das Quintett von Louise Farren ist einfach wunderbar: es hat wunderbare Melodien, sehr poetische Momente und ist handwerklich hervorragend gearbeitet. Für mich ist an dem Stück so besonders, dass es vielleicht besonders viele sehr poetische Augenblicke hat, die oft sehr überraschend und kunstvoll eingeführt werden. Als ob das Stück erzählen will: egal welche Stürme auch toben, es ist gibt immer etwas kleines Schönes, das uns erbauen kann. Und die Melodien sind einfach zauberhaft…  Unsere Konzertbesucher dürfen sich wirklich auf etwas ganz Besonderes freuen!

Elfrida Andrée füllte ihre Rolle als Frau mit ganz anderen Bildern als das die meisten ihrer Zeitgenossinnen taten. Sie war Frauenrechtlerin, unabhängig, erlernte Berufe, die Frauen verwehrt waren, machte sozusagen ihr eigenes Ding. Kommt dieses Kämpferische bzw. Freiheitsliebende auch in ihrer Musik vor?  
Das ist ja das Interessante: ich finde die Biographien von Frauen, denen es gelang sich durchzusetzen, zeigen oft  in eine andere Richtung. Dass man sich „durchkämpfen" muss, ist eine durch und durch männliche Vorstellung. Bei den Komponistinnen, die sich durchgesetzt haben finden wir oft etwas ganz anderes, eine große mentale Stärke, eine große geistige Unabhängigkeit. Ich habe oft den Eindruck, diese mentale Unabhängigkeit, diese innere Kraft war, was diese Frauen auszeichnete. Sie hatten einen reifen Blick auf das Ganze und haben sich darum nicht von den oft haarsträubenden Widerständen nicht verrückt machen lassen. So konnten diese ganzen Intrigen und kleinkarierten Ausreden mit einer gewissen Gelassenheit verdauen… Und das  war oft sehr starker Tobak, das muss man ehrlich sagen.


Elfride Andrée wollte das "Ansehen der Menschheit". Was steckt hinter diesem Wunsch?
Sie war eine unglaublich idealistisch gestimmte Künstlerin. Allein ihre Volkskonzerte sind für mich eine Großtat. Im 19.Jahrhundert war das wirklich etwas Besonderes, wenn jemand wie  Elfrida Andrée sich dafür einsetzte, möglichst allen Menschen, unabhängig von ihren finanziellen Mitteln und ihrer gesellschaftlichen Herkunft, die Schätze der abendländischen Musikgeschichte nahezubringen. Vielleicht war sie als Frau auch besonders sensibilisiert für die Benachteiligten der Gesellschaft, weil sie selbst dem benachteiligten Geschlecht angehörte…  In den Anfängen der Volkskonzerte war das so etwas wie eine Volkshochschule für Arbeiter mit Musik zwischendurch  Die Vorlesungen sind verschwunden, aber die Konzerte, die Elfrida Andrée auf die Beine gestellt hat, haben Jahre fortgedauert. Sie muss eine begeisterte, beharrliche Person gewesen sein, Elfrida Andrée. Schön find auch an dieser Geschichte,, dass Elfrida Andrée so beharrlich daran geglaubt hatte, dass auch die ArbeiterInnen die Sensibilität und Kultur hatten, die Schätze der Musikgeschichte von Bach bis Beethoven zu geniessen!  Spannend ist auch, wie sie gemeinsam mit ihrem Vater dafür gekämpft hat, dass Frauen in den Organistendienst zugelassen werden konnten, das war ja auch nicht ganz einfach.

Gibt es heute ähnliche Beispiele dieser Form von Volksbildung?
Die gibt es auf jeden Fall. „Musik in der Pforte“ ist entstanden, weil wir der klassische Konzert von der steifen, elitären Atmosphäre befreien wollten. Heute machen sich praktisch alle Konzertveranstalter darüber Gedanken, wie sie ein junges, neues Publikum erobern/erschliessen können. Wo ich dabei oft das Problem sehe, ist, dass es vielleicht zu sehr darum geht, einfach mehr Publikum zu haben. Elfrida Andée ging es darum, dass sie möglichst Vielen den Zugang zu den Schätzen der Kunst ermöglichen wollte, es ging darum Menschen zu bereichern.  Ich glaube, dass wir uns gerade von dieser Vision leiten lassen sollten, weil wir ein kostbares Erbe  weitergeben wollen. Wir müssen uns dafür einsetzen,  die Konzertsäle zu füllen, weil wir spüren, dass das was wir vermitteln wollen, einfach unglaublich wertvoll ist. Die Chance der sogenannten klassischen Musik ist ja, dass sie eben sehr fein, sehr differenziert und tiefgründig ist-  wir kennen das alle: der grösste Schatz ist oft nicht so leicht zugänglich, aber wenn er geborgen ist, ist es ein unglaubliches Glücksgefühl….

Beide Frauen sind in sehr liberalen Familien aufgewachsen. Inwiefern beeinflussen sich generell geistige Haltung und musikalisches Schaffen?
Die Eltern von Louise Farrenc lebten in einer Pariser Künstlerkolonie, das war so eine Art Kommune, ihr Vater war Bildhauer, ihr Eltern waren nicht verheiratet, also ziemlich unkonventionell. Elfrida Andrée kam in Visby auf der Insel Gotland zur Welt,  das war das Zentrum liberaler Ideen im damaligen Schweden und ihr Vater, der Arzt war, war auch ein Kämpfer für eine liberalere Gesellschaft . Also in diesem Punkt ähneln sich alle Komponistinnenbiographien:  die Frauen, die sich in diesem Metier etablieren konnten, stammten alle aus Familien mit einen weiten Horizont, Familien in denen auch die Väter sich dafür einsetzten, dass die Töchter sich in männlich dominierten Feldern etablieren konnten. Louise Farrenc heiratete einen Mann, der selber Musiker war und seine Frau in ihrem Schaffen vorbehaltlos unterstützte, die beiden waren große Idealisten. Diese besonderen  Familien waren wie Inseln. So sind  diese Geschichten wirklich ermutigend, denn man  merkt: wenn nur eine Familie ganz anders denkt und die Rollen anders zuordnet, kann daraus etwas Großes entstehen. Elfrida Andrée und ihr Vater haben sich auch dafür eingesetzt, dass die Gesetze geändert wurden in Schweden.

Streichquartett und Klavier - wie hört sich das an, worin liegt das Spezielle dieser Zusammensetzung? Worauf darf sich das Publikum bei diesen Werken freuen?
Streichinstrumente in allen Schattierungen, Violine, Viola und Violoncello mit Kontrabass, das ist an und für sich schon ein sehr farbiges Klangbild, jedes dieser Instrumente hat seine eigene Stimme, mit dem Klavier zusammen ergeben sich noch viel mehr klangliche Kombinationen, es ist ein sehr ausdrucksstarkes Klangbild, das diese Kombination möglich macht- wenn die Streicher für sich klingen, dann klingt das sehr intim, das Klavier bringt dann oft so eine symphonische, feierliche Note ins Spiel. Und die beiden Komponistinnen des Abends konnten unglaublich einfühlsam mit dieser Besetzung umgehen.