Ferchl-Blum Annamaria

von Annamaria Ferchl-Blum

Vor kurzem zerbrach mir aufgrund einer Unachtsamkeit eine Tonschale, die über viele Jahre unser Wohnzimmer schmückte. Sie erinnerte an die bewegte Entstehungszeit unserer Familie und gehörte einfach still dastehend zu uns. Zuerst versuchte ich den Bruch zu ignorieren und schob die beiden Hälften einfach wieder zusammen. Aber bald legte jemand etwas auf die zerbrochene Schale und schon wurde der Riss wieder sichtbar. Ein Klebeversuch scheiterte; es schien so, als wollten die beiden Hälften nicht mehr zusammengefügt werden.

Der Abschied von unserer Schale lässt mich spüren, wie sehr ich mich nach dem Vollkommenen, Ganzen sehne und, wie schwer ich mich mit dem Zerbrochenen, Fragmentarischen tue. Zugleich lehrt mich das Leben, dass es die Ganzheit nicht gibt und es schon viel ist, eine halb gute Mutter oder eine halb gute Ehefrau zu sein.

Wer nur Ganzheiten erträgt, gerät in Panik, wenn er die Lebensverletzungen wahrnimmt, schreibt Fulbert Steffensky in seinem Text „Lob der Halbheit“, in dem er sogar vom „Ganzheitsterror“ unserer heutigen, auf Perfektion und Makellosigkeit ausgerichteten Zeit spricht.  Souverän – und christlich – wäre es,  sich mit dem begrenzten Glück anzufreunden, es zu genießen und dabei den Durst nach dem ganzen Leben nicht zu verlieren.