Über den Stellenwert der Arbeit - ArbeitsLeben Teil 1 von 4

Ansgar Kreutzer

Die Gleichsetzung, die in dieser Frage steckt, scheint übertrieben: Die Arbeit, der wir tagtäglich nachgehen, die Arbeit, die wir zum Lebensunterhalt verrichten (müssen), soll Religion sein? Unter Religion verstehen wir doch etwas anderes: Religion – das meint die Beziehung zu einem höheren Wesen, zu Gott. Religion stiftet Lebenssinn und Identität. Religion ist nichts Alltägliches, sondern etwas Tiefgründiges. Religion ist das, was uns zutiefst betrifft, „uns unbedingt angeht“, wie es der protestantische Theologe Paul Tillich formuliert hat.

Religiöse Sphäre. Gleichwohl mehren sich die Stimmen, die Arbeit in unserer Gesellschaft fast in religiöse Sphären aufgerückt sehen. Die deutsche Tageszeitung „Frankfurter Rundschau“ etwa stellte im Frühjahr des Jahres eine Artikelserie unter die Überschrift „Arbeit. Unsere Religion“. Tatsächlich lassen sich bei näherem Hinsehen doch gewisse Parallelen erkennen. Im Leitartikel hieß es: „Arbeit ist unsere Religion. Sie ist weit mehr als Broterwerb, sie gibt den Tagen Struktur, sie definiert, wer man ist in der Gesellschaft.“

Provokation. Lassen wir uns durch diese Provokation ein wenig zum Nachdenken anregen: Wie kommt es, dass Menschen Überstunden um Überstunden ansammeln, sich selbstzerstörerisch bis zum drohenden Burn-out „in die Arbeit stürzen“? Wie ist es möglich, dass arbeitslos gewordene Menschen unter ihrem Schicksal – weit über ihre materiellen Entbehrungen hinaus – so sehr leiden, dass sie sich, wie Studien zeigen, nicht mehr in die Öffentlichkeit trauen? Warum löst die Pensionierung bei vielen rüstigen Ruheständlern eine Sinnleere aus, die landläufig als „Pensionsschock“ bezeichnet wird?
Es scheint, als werde im Leben vieler Menschen und in den Werten der Gesellschaft Arbeit zu etwas, was uns ganz bestimmt, „was uns unbedingt angeht“. Wo Arbeit jedoch in ihrer Bedeutung (fast) religiöse Züge trägt, ist Einspruch geboten, nicht zuletzt im Namen von Religion und Kirche.

Lebens-Mittel. Arbeit ist nicht mehr und nicht weniger als Lebens-Mittel, Mittel und nicht Zweck des Lebens. Das hat Papst  Johannes Paul II. in seiner beeindruckenden Enzyklika über die menschliche Arbeit „Laborem exercens“ von 1981 mit einer Art Merkspruch eingeschärft: Die „Arbeit [ist] für den Menschen da und nicht der Mensch für die Arbeit“! Der Arbeit das rechte Maß (wieder) zu geben, ist wichtig für eine Gesellschaft, die Lebensqualität ermöglicht und eine Wirtschaft, die nicht ausbeutet. Die provokative Gleichsetzung von Arbeit und Religion erinnert daran.

Ansager Kreutzer

ArbeitsLeben

Teil 1 von 4

von Univ.-Prof. Dr.
Ansgar Kreutzer
Professor für Fundamentaltheologie an der Katholischen
Privat-Universität Linz

Weiterführende Literatur: A. Kreutzer: Arbeit und Muße. Studien zu einer Theologie des Alltags, Münster 2011; Theologisch-praktische Quartalschrift (Heft 3/2015), Schwerpunktthema „Freizeit und Muße“,
www.thpq.at

(aus dem KirchenBlatt Nr. 36 vom 3. September 2015)