Romane Thana – Orte von Roma und Sinti – ist der Titel der aktuellen Sonderausstellung im vorarlberg museum. Sie lädt ein zum Hinsitzen und Zuhören, zum Nachlesen und Anschauen, zum Vertiefen in die Lebensgeschichten, die uns so nah sind – und doch verborgen.

Patricia Begle

„Wir leben im Verborgenen“ lautet der Titel jenes Buches, mit dem Ceija Stoika 1988 an die Öffentlichkeit ging, um über ihr Leben zu erzählen. Sie war eine der ersten, die das Schicksal der Roma und Sinti aus dem Verborgenen ans Licht brachte. Die Ausstellung tut Ähnliches: sie bringt Geschichten und Geschichte in die Öffentlichkeit. Jene der Roma und Sinti in Österreich.

Ausstellung mit Regionalbezug

Kuratiert wurde die Ausstellung von der gebürtigen Lustenauerin Andrea Härle. Die Ethnologin ist seit zehn Jahren Geschäftsführerin des Romano Centro -– Verein für Roma, der in Wien ansässig ist. Nach dem Wien Museum und dem Landesmuseum Burgenland ist die Ausstellung nun im vorarlberg museum zu sehen – erweitert durch regionale Beiträge.

Historische Belege sind eines der Hauptelemente der Ausstellung. Den Wänden entlang und in Vitrinen wird anhand von Texten und Bildern, Fotos und Audios Geschichte dargestellt. Da gibt es zum Beispiel Protokolle von Verhören, die im Jahr 1730 im Schloss Hohenems durchgeführt wurden. Zwei Mitarbeiter/innen des vorarlberg museums geben den Wortlaut in Form eines „Hörspiels“ wieder. Die Worte sprechen für sich. Vorarlbergbezug hat auch ein Plakat aus der Zeit des Nationalsozialismus. Es informiert über die Hinrichtung von Anna Guttenberger. Sie hatte in Hörbranz um Kleidung gebettelt und die geschenkten Kleidungsstücke nicht einem Hilfswerk, sondern ihrem Kind zukommen lassen. Für einen Mantel und ein paar Socken musste sie ihr Leben lassen.

Ein leerer Tisch

Diskriminierung und Ausgrenzung ziehen sich wie ein roter Faden durch die Geschichte der Roma und Sinti. Während des Nationalsozialismus wurden sie deportiert und ermordet - die Schätzungen für die Zahl der Opfer liegen zwischen 100.000 und 500.000. Doch die Unterdrückung endete nicht nach 1945. Als in den 1960er-Jahren viele Roma aus dem ehemaligen Jugoslawien als Gastarbeiter nach Österreich kamen, verbargen sie ihre Identität, um der Ausgrenzung zu entkommen.
Ihnen ist bei der Ausstellung ein Tisch gewidmet. Ein leerer Tisch. Denn von diesen Gastarbeitern konnte bislang noch keiner ausfindig gemacht werden. Es ist in Vorarlberg wohl immer noch besser, die Roma-Herkunft zu verschweigen, die eigene Muttersprache zu vergessen. Auch im Jahre 2017.

Die anderen Tische, die im Ausstellungsraum zum Hinzugesellen einladen, wurden von Mitgliedern unterschiedlicher Roma-Communities gestaltet. „Die Tische sind Ort des Dialoges“, erklärt Theresia Anwander, die seitens des vorarlberg museums für die Ausstellung zuständig ist. „Hier kann erzählt werden - wie im Wohnzimmer.“ Die Teppiche, die für die Wohnzimmer-Atmosphäre sorgen, wurden von Roma-Frauen gewoben. Walter Aigner, Geschäftsführer der Vorarlberger Firma Tisca, die in Rumänien Teppiche produziert, hat hier vermittelt.

Ins Gespräch kommen

„Partizipation ist wichtig. Roma und Sinti sollen selbst erzählen, wie sie sich sehen. Über sie ist schon genug gesprochen werden“, erklärt Kuratorin Härle. „Wir wollen zeigen, dass es hier eine große Fülle an Lebensentwürfen gibt, nicht nur das Betteln.“ So können sich die Besucher/innen zu ganz unterschiedlichen Persönlichkeiten dazusetzen. Zu Dotschy Reinhardt, zum Beispiel. Die Jazz-Sängerin ist in der Nähe von Ravensburg aufgewachsen und hat ihre Ferien regelmäßig am Bodensee verbracht. Im Campingplatz in Bregenz. Oder an den Tisch von Lilly Habelsberger, die eine der ersten war, die sich mit den Traumata der NS-Zeit auseinandergesetzt hat, damit sie diese nicht - so wie ihre Mutter - an ihre Kinder weitergibt. Ein trauriges Kapitel Zeitgeschichte wird am Tisch von Manuela Horvath vor Augen geführt. Mit zehn Jahren erlebte sie den Anschlag in Oberwart.

Die Lebensform des Bettelns, die heute für Roma und Sinti manchmal der einzige Weg zum Überleben ist, kommt in einem Filmbeitrag von Irina Spataru zur Sprache. Die Wienerin war für die FH-Studie im Jahr 2016 als Dolmetscherin tätig. So knüpfte sie auch Kontakt zu den Roma und Sinti in Vorarlberg. Mit Frauen, die damals in Dornbirn am Bahnhof lebten, führte sie Interviews, die filmisch festgehalten wurden.
Den Vorarlberger/innen wünscht Härle „einen pragmatischen Zugang“ zum Thema, einen „menschlich und rechtlich korrekten Umgang“ mit Bettelnden. Aus dem Blick in die eigene Vergangenheit – zum Beispiel auf die Schwabenkinder, die ausgewandert sind, um Geld mit nach Hause zu bringen – könne man etwas lernen. „Vorarlberg kann anders damit umgehen, mit Mitteln der Sozial- und Bildungsarbeit. Denn Österreich profitiert auch von den Veränderungen in Europa. Ärzte aus Rumänien werden gerne genommen. Wenn die Patienten dann nachkommen, ist das ein Skandal.“

Geschichte und Gegenwart

„Dem vorarlberg museum geht es nicht nur um Geschichte, wir kommen auch in der Gegenwart an“, erklärt Andreas Rudigier, Leiter des Museums. „Wir sind keine moralisierende Institution, sondern eine sensibilisierende. Und wir wollen das nicht nur in den Räumlichkeiten des Museums zeigen, sondern auch auf der Straße.“ So nimmt die Ausstellung die Besucher/innen an der Hand und führt sie in Räume, die bisher im Verborgenen lagen. Das kann Erstaunen und Neugier auslösen, vielleicht auch Trauer und Scham. Aber Blick und Verständnis weiten sich, für Vergangenheit und Gegenwart.

Dauer der Ausstellung: 25. Mai bis 8. Oktober 2017

www.vorarlbergmuseum.at