Mit „Der Volksfeind“ von Henrik Ibsen bringt das Vorarlberger Landestheater ein hochaktuelles Stück. Ibsen legt in seinem Werk Korruption, Vertuschung und das Zerbrechen von Familienbanden unmissverständlich offen. Über die Inszenierung in Bregenz kann man jedoch geteilter Meinung sein.

Dietmar Steinmair

Das Stück beginnt mit einem guten Schachzug von Regisseur Matthias Rippert: Er lässt die Figur des Kurarztes Dr. Thomas Stockmann, Protagonist der Originalversion Ibsens, von einer Frau spielen. Als Dr. Katrine Stockmann bringt die nunmehrige Kurärztin gleich auch die Feminismus-Debatte auf die Bühne - ohne sie jedoch zu überstrapazieren. Bald wird klar: Die einzelkämpferische Frau kommt den maßgeblichen, aber korrupten und opportunistischen Männern ihrer Heimatstadt auf die Schliche. Und tritt ihnen auf den Schlips. Hat sie doch entdeckt, dass die Heilquelle des mit viel Geld errichteten städtischen Badebetriebs durch industrielle Abwässer verschmutzt ist. Als Wissenschaftlerin will die Ärztin das Untersuchungsergebnis umgehend im örtlichen „Volksboten“ veröffentlichen. Der Redakteur Hovstadt unterstützt Katrine anfänglich, ebenso der Buchdrucker Aslaksen, Vertreter der kleinbürgerlichen Hausbesitzer. Mit der Kampagne wollen sie „denen da oben“ eins auswischen und erklären Katrine zum „Volksfreund“. Doch bald bekommt der mächtige Bürgermeister und Vorstand der Bäderverwaltung Wind von den Plänen der Kurärztin. Pikant daran: Es handelt sich dabei um Katrines Bruder, Peter Stockmann. Dieser versucht mit allen Mitteln zu verhindern, dass sie die Wahrheit ans Tageslicht bringt. Durch den Skandal würden die Gäste ausbleiben und die Stadt ruiniert. Redakteur Hovstadt von der wirtschaftlich angeschlagenen Zeitung knickt bald ein, ebenso fürchtet Aslaksen neue Steuerbelastungen durch eine nötige Neuverlegung der Wasserleitungen. Das Meinungsklima kippt. Auf einer Volksversammlung entlarvt die Ärztin nicht nur das Wasser, sondern auch die Gesellschaft als zutiefst vergiftet. Dennoch wird Katrine per Abstimmung zum „Volksfeind“ erklärt, als Kurärztin ent- und selbst von Mann und Tochter verlassen, die aufgrund des Meinungsumschwungs ihre Arbeit als Lehrerin verliert. Am Ende bleibt Katrine allein - und dennoch überzeugt: „Der ist der Stärkste auf der Welt, der allein steht.“

Die Umsetzung
Gleich vorweg: Die Schauspieler/innen boten bei der Premiere am vergangenen Samstag sehr überzeugende Leistungen. Bühne und Kostüm von Selina Traun waren ein Traum: Mit teils mobilen und aufs Wesentliche reduzierten Spielorten war die Bühne gut gefüllt. Die entstellten Gesichter und überdimensionierten Körperteile der Figuren machten die innere Vergiftung der Stadtbewohner auch äußerlich sichtbar. So konsequent Bühne und Kostüme funktionierten, so überraschend waren einige Regieeinfälle. Immer wieder waren Klamauk-Szenen und kabarettistische Forcierungen eingestreut, die für sich genommen wunderbar und mit Spannung ausgespielt wurden, aber zum Fortgang des Stückes wenig beitrugen. Zusammen mit einigen sehr langgezogenen Passagen entstanden so Brüche, die den Theaterabend etwas auseinanderfallen ließen.

Dennoch
Die Inszenierung lädt ein, sich das Stück gleich ein zweites Mal anzusehen. Vor allem liegt diese Lust auch an den Schauspieler/innen. ChrisTine Urspruch überzeugt als Katrine Stockmann vollauf und erhielt am Premierenabend verdientermaßen Szenenapplaus. Die kleinste Mimin war auf der Bühne die Größte. Lukas Spisser als Stadt-Zampano Peter Stockmann parodierte in der Szene im Bürgermeister-Büro einen Mafia-Paten ­derart irrwitzig und filmreif, dass sich selbst die ihm gegenübersitzende Schauspielkollegin das Lachen kaum noch verkneifen konnte. Doch Spisser konnte auch anders: Laut und leise, ernst und drohend. Ebenso überzeugten Luzian Hirzel, der den Kleinbürger Aslaksen - passend zum Klischee - in breitem Schweizer ­Dialekt präsentierte, sowie Thomas Schmidt als ewig Erdnüsse futternder opportunistischer Redakteur Hovstadt. Das Bregenzer Publikum goutierte die Leistungen mit anhaltendem Applaus.

Mehr noch 
Was die Besucher/innen nach aller Unterhaltung aber ebenso mit nach Hause nahmen, war Nachdenklichkeit. Manche Sätze, die Henrik Ibsen 1882 geschrieben hat, treffen auch heute haargenau auf den Medienboulevard und den Populismus von links und rechts zu: Die Kurärztin beklagt die „verdammte kompakte, liberale Mehrheit“, die „unsere geistigen Lebensquellen vergiftet und den Boden unter unsern Füßen verpestet“ und zudem meine, immer Recht zu haben. „Wenn aber eine Wahrheit alt geworden ist, ist sie auf dem besten Weg, eine Lüge zu werden“, so Katrine. Ihr Gegenspieler, der Bürgermeister, klimpert gekonnt auf der Klaviatur der Manipulationen und konstatiert sarkastisch: „Die ­öffentliche Meinung ist eine äußerst variable Größe.

Zum Stück

Ein Volksfeind
Schauspiel in fünf Akten von Henrik Ibsen.
Regie: Matthias Rippert, Bühne und Kostüm: Selina Traun.
Mit: ChrisTine Urspruch, Lukas Spisser, Luzian Hirzel, Thomas Schmidt, David Kopp, Peter Pertusini, Gerhard Brössner, Alexandra Maria Nutz und Lara Bereuter.
Dauer: 2 ½ Stunden, mit Pause.

Weitere Aufführungen: 9. / 11. Februar, 1. / 14. / 17. März, jeweils 19.30 Uhr,
Großes Haus, Vorarlberger Landestheater, Bregenz.

Karten: T 05574 42870-600