Interview mit Dr. Severin Renoldner, Theologe und Politologe zum "Regierungspoker" um die Budgetsanierung.

Interview: Hans Baumgartner

In den Ministerien rauchen derzeit die Köpfe. Stundenlang wird jeden Tag verhandelt und gerechnet. Die Regierung will bis 2016 das Budgetdefizit um insgesamt zehn Milliarden Euro abbauen. Bei manchen läuten bereits die Alarmglocken. Sie fürchten massive Einschnitte bei den Schwächeren. Wie „gespart“ wird, ist auch eine moralische Frage, sagt Severin Renoldner.    

dr. Severin RenoldnerDr. Severin Renoldner
Der Theologe und Politologe
ist Sozialreferent der Diözese Linz

Österreichs Regierung verhandelt ein ehrgeiziges Sparpaket. Ist das wirklich notwendig?
Renoldner: Ja. Österreichs Budgetdefizit ist in Folge der Wirtschaftskrise von rund 60 Prozent der Jahreswirtschaftsleistung (Bruttoinlandsprodukt – BIP) auf über 70 Prozent – mit wachsender Tendenz – gestiegen. Maßnahmen zur Bankenrettung, aber auch für Unternehmenskredite und für den Arbeitsmarkt (Kurzarbeitsprogramme etc.) sowie geringere Einnahmen haben dazu geführt. Das, so könnte man sagen, ist der Preis, dass Österreich halbwegs gut durch die Krise gekommen ist. Jetzt aber ist es an der Zeit, die Budgetprobleme wieder in Ordnung zu bringen. Denn noch haben wir, im Unterschied zu anderen Ländern, das Gebot des Handelns selbst in der Hand. Ich hoffe nur, dass die Politik ebenso verantwortlich vorgeht, wie sie das in der Krise getan hat.

Was ist in Ihren Augen verantwortlich?
Renoldner: Dass jene, die vor allem auf Einsparungen setzen, und jene, die auch zusätzliche neue Einnahmen erschließen wollen, einen vernünftigen Kompromiss finden, etwa mit einer Quote von je 50 Prozent. Und wir brauchen einen intelligenten Mix, der sozial verträglich ist und der die Kaufkraft nicht dämpft und dadurch die produzierende Wirtschaft und den Handel schädigt.

Zudem müsste man sehr darauf achten, dass der Staat seine Verantwortung, die er etwa im Bereich der Bildung, des öffentlichen Verkehrs oder im Hinblick auf die Schwächeren der Gesellschaft sowie bezüglich der Grundrisikoabsicherung (Alter, Gesundheit,  Behinderung, Arbeitslosigkeit) hat, nicht einfach wegspart. Das Beispiel Griechenland zeigt, radikale „Sparkuren“ bringen nicht nur viele Menschen in existentielle Nöte, sie schädigen auch die Wirtschaft, wodurch das nächste Budgetloch bereits vorprogrammiert ist. Wer nur kürzt und kürzt, verschärft die Krise. 

Bisher wehrt sich vor allem die ÖVP gegen neue Steuern, weil sie fürchtet, dass dadurch notwendige Strukturreformen nicht ernsthaft angegangen werden. Wie sehen Sie das?
Renoldner: Ich bin sehr dafür, dass die Politik die Strukturreformen ambitionierter angeht – etwa bei der aufgeblähten Schulverwaltung (aber nicht in der Schule!) oder bei einer Flurbereinigung im Förderungs- und Kompentenzdschungel zwischen Bund, Ländern und Gemeinden. Nur sollte man dabei ehrlich sein. Wenn ich ein Bezirksgericht oder eine Spitalsabteilung auflöse, dann müssen die Leistungen eben wo anders erbracht werden.
Dort braucht es dann mehr Pflegepersonal, mehr Betten, mehr Rettungsfahrten.
Das wird oft verschwiegen. Strukturreformen ja; aber sie sind keine Zaubertüte und sie bringen oft nur einen Bruchteil der behaupteten Einsparpotentiale. Auch deshalb meine ich, dass man ohne zusätzliche Einnahmen nicht auskommen wird.

Woher sollen die zusätzlichen Einnahmen kommen?
Renoldner: Nicht durch die Erhöhung sogenannter Massensteuern (Mehrwertsteuer, Lohnsteuer), denn diese würden nicht nur die sozial Schwächeren besonders stark treffen, sondern auch die Kaufkraft schwächen.
Ich würde eine stärkere Besteuerung vor allem dort ansetzen, wo diese nicht auf die Realwirtschaft durchschlägt. Das ist z. B. bei größeren Vermögen oder Erbschaften der Fall. Das wäre auch ein Akt der Gerechtigkeit, weil die Vermögen in den vergangenen 20, 30 Jahren im Unterschied zu den Lohneinkommen massiv gewachsen sind und weil dieses Geld vorwiegend in jenen Finanzbereichen verdient wurde, deren Überhitzung letztlich zur schweren Wirtschaftskrise beigetragen hat. Deshalb sollten auch diejenigen, die da gute Geschäfte gemacht haben, jetzt etwas beitragen, um die Folgen der Krise zu bewältigen. Zusätzlich ließen sich einige Milliarden hereinholen, wenn man die Steuerschlupflöcher stopfen und den Steuermissbrauch eindämmen würde oder endlich zumindest im Euro-Raum die immer wieder geforderte Spekulationssteuer einführen würde. Dabei geht es nicht unbedingt nur um mehr Geld für den Staat. Man könnte zusätzliche Einnahmen auch für einen gerechteren Ausgleich  zwischen Abgaben auf Vermögen und auf Arbeit hernehmen. Das wäre vor allem ein Impuls für den Arbeitsmarkt.

Wo sehen Sie „absolute“ Spar-Tabus?
Renoldner: Überall dort, wo jetzt schon Menschen an der Existenzgrenze leben, bei der Mindestsicherung, bei der Notstandshilfe, bei kleinen Pensionen; auch bei der Ausbildung der Kinder und Jugendlichen darf es keine Abstriche geben, im Gegenteil, da sind weitere Investitionen notwendig. Letztlich, so denke ich, ist das auch eine Frage der Moral, wie man in einer schwierigen Phase zu einem gerechten Ausgleich kommt, zu dem alle – je nach ihren Möglichkeiten – einen fairen Beitrag leisten. Wer Millionenvermögen für „tabu“ erklärt und jene, die in der Krise schon draufgezahlt haben, noch einmal abräumt, handelt unmoralisch. 

Aufgabe der Politik ist es,
durch eine allen zugängliche Infrastruktur,
durch eine ausgleichende Steuer- und Sozialpolitik und
durch rechtliche Regelung von Arbeit und Wirtschaft dafür zu sorgen,
dass alle Menschen einen gerechten Anteil erhalten
und menschenwürdig leben können.

Sozialwort der Kirchen (191)