1. Adventsonntag (Lesejahr B), 27. November 2011. Wort zum Sonntag von Judith Junker-Anker.

Welcher Mensch steckt in diesem Lodenmantel, und welcher in den hautengen Jeans? Welche Hoffnungen und Enttäuschungen verbergen sich hinter diesem lachenden Gesicht, und welche Sehnsucht und leidvollen Erfahrungen sind zugedeckt von lauten Tönen und Spaß? Wer redet vielleicht viel, und kann doch nicht aussprechen und Worte finden dafür, was ihn oder sie bewegt? Advent. Zeit des Wartens. Zeit des Sich-Lösens von dem, was am Aufbruch hindert. Zeit des Vertrauens, neue Wege zu gehen.

1. Lesung
Jesaja 63, 16b–17. 19b; 64, 3–7

Du, Herr, bist unser Vater, „Unser Erlöser von jeher" wirst du genannt. Warum lässt du uns, Herr, von deinen Wegen abirren und machst unser Herz hart, so dass wir dich nicht mehr fürchten? Kehre zurück um deiner Knechte willen, um der Stämme willen, die dein Eigentum sind. [. . .] Reiß doch den Himmel auf, und komm herab, so dass die Berge zittern vor dir. [. . .]
Seit Menschengedenken hat man noch nie vernommen, kein Ohr hat gehört, kein Auge gesehen, dass es einen Gott gibt außer dir, der denen Gutes tut, die auf ihn hoffen. Ach, kämst du doch denen entgegen, die tun, was recht ist, und nachdenken über deine Wege. Ja, du warst zornig; denn wir haben gegen dich gesündigt, von Urzeiten an sind wir treulos geworden. Wie unreine (Menschen) sind wir alle geworden, unsere ganze Gerechtigkeit ist wie ein schmutziges Kleid. Wie Laub sind wir alle verwelkt, unsere Schuld trägt uns fort wie der Wind. Niemand ruft deinen Namen an, keiner rafft sich dazu auf, festzuhalten an dir. Denn du hast dein Angesicht vor uns verborgen und hast uns der Gewalt unserer Schuld überlassen. Und doch bist du, Herr, unser Vater.
Wir sind der Ton, und du bist unser Töpfer, wir alle sind das Werk deiner Hände.

2. Lesung
1 Korinther 1, 3–9

Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus. Ich danke Gott jederzeit euretwegen für die Gnade Gottes, die euch in Christus Jesus geschenkt wurde, dass ihr an allem reich geworden seid in ihm, an aller Rede und aller Erkenntnis. Denn das Zeugnis über Christus wurde bei euch gefestigt, so dass euch keine Gnadengabe fehlt, während ihr auf die Offenbarung Jesu Christi, unseres Herrn, wartet. Er wird euch auch festigen bis ans Ende, so dass ihr schuldlos dasteht am Tag Jesu, unseres Herrn. Treu ist Gott, durch den ihr berufen worden seid zur Gemeinschaft mit seinem Sohn Jesus Christus, unserem Herrn.

Evangelium

Markus 13, 24–37

Aber in jenen Tagen, nach der großen Not, wird sich die Sonne verfinstern, und der Mond wird nicht mehr scheinen; die Sterne werden vom Himmel fallen, und die Kräfte des Himmels werden erschüttert werden. Dann wird man den Menschensohn mit großer Macht und Herrlichkeit auf den Wolken kommen sehen. Und er wird die Engel aussenden und die von ihm Auserwählten aus allen vier Windrichtungen zusammenführen, vom Ende der Erde bis zum Ende des Himmels. Lernt etwas aus dem Vergleich mit dem Feigenbaum! Sobald seine Zweige saftig werden und Blätter treiben, wisst ihr, dass der Sommer nahe ist. Genauso sollt ihr erkennen, wenn ihr all das geschehen seht, dass das Ende vor der Tür steht. Amen, ich sage euch: Diese Generation wird nicht vergehen, bis das alles eintrifft. Himmel und Erde werden vergehen, bis das alles eintrifft, aber meine Worte werden nicht vergehen. Doch jenen Tag und jene Stunde kennt niemand, auch nicht die Engel im Himmel, nicht einmal der Sohn, sondern nur der Vater. Seht euch also vor, und bleibt wach! Denn ihr wisst nicht, wann die Zeit da ist. Es ist wie mit einem Mann, der sein Haus verließ, um auf Reisen zu gehen: Er übertrug alle Verantwortung seinen Dienern, jedem eine bestimmte Aufgabe; dem Türhüter befahl er, wachsam zu sein. Seid also wachsam! Denn ihr wisst nicht, wann der Hausherr kommt, ob beim Hahnenschrei oder erst am Morgen. Er soll euch, wenn er plötzlich kommt, nicht schlafend antreffen. Was ich aber euch sage, das sage ich allen: Seid wachsam!

Wort zum Sonntag

Zeit der Erschütterung

Advent ist eine Zeit der Erschütterung, in der der Mensch wach werden soll zu sich selbst." Dieser Ausspruch des Jesuiten Alfred Delp fällt mir ein, wenn ich die Zeilen des Evangeliums zum 1. Adventsonntag lese. Scheinbar so gar nicht passend zum Advent der Christkindlmärkte, denn es werden Bilder des Schreckens gezeichnet, des Untergangs, eben der Erschütterung. Das, was bisher war und gegolten hat, verliert an Bedeutung, es kommt einzig darauf an, bereit zu sein für das, was kommt. Und das heißt, aufmerksam und wachsam zu sein und in Erwartung.

„Erwarten" – das kann bedeuten, ich habe ein genaues Bild von dem, was kommen wird – möglicherweise bin ich dann aber enttäuscht, wenn es ganz anders ist, oder übersehe es auch.
„Erwarten" kann auch heißen, ich richte mich ganz nach dem Angekündigten aus, bin in Bereitschaft, egal, wann und wie er kommen wird, bin ganz da – wie der Türhüter in Jesu Gleichnis es sein sollte. 

Doch was hält uns wach in der Zeit des Wartens, was lässt uns aufmerksam sein und aufhorchen? So manches könnte uns entmutigen. In schweren, dunklen Zeiten hat gerade auch das Volk Israel immer wieder Hoffnung und Ermutigung gesucht im Blick zurück auf die Erfahrungen, die es bisher mit seinem Gott gemacht hatte. So konnte es immer wieder einen Neuanfang wagen und sich vertrauensvoll in Gottes Hände überantworten (vgl. 1. Lesung).

Adventliche Wachsamkeit erfordert Geduld und Zuversicht. Vielleicht ist gerade der Adventkranz ein gutes Bild dafür: die erste brennende Kerze als Symbol für die Hoffnung wider alle Hoffnungslosigkeit. Die einzelne Kerze ist ein einzelner Lichtpunkt im Dunkel, und doch steht sie schon für dieses Licht, das in unsere Dunkelheiten hineinkommen will – langsam, aber sicher.

Zum Weiterdenken

Was bedeutet es für mich, „adventlich" zu leben, was bedeutet für mich „bereit sein"?
Mit Jesu Kommen hat etwas Neues begonnen. Was ändert sich durch Jesu Kommen in meinem Leben? Was könnte neu werden?