3. Teil der KirchenBlatt-Serie von Dr. Walter Buder: "Im Übergang leben und glauben" - über die Spiritualität und das Leben der Simone Weil.

Bild re: Das Kreuz ist der Schnittpunkt von allem, in dem das wahre Leben wurzelt. (Station 5,  Kreuzweg in der Pfarrkirche St. Agatha, Meiningen von Harald Gfader und Albrecht Zauner)

Simone Weil ist Lehrmeisterin.
Die Fragmentarität ihres Lebens, Denkens und des schriftstellerischen Werkes sind eine provokante Einladung zu lernen. Lernen meint: In die Lehre zu gehen, also: Handgriffe und Denkweisen, Tricks und Kniffe, erlebtes Wissen und bedachte Erfahrungen anzuwenden, praktisch werden zu lassen. Ein Handwerk, sagte sie, „dringt dir in den Leib“, beansprucht Verstand, Vernunft, Geist und Seele. Im Tätigsein finden sie zueinander, ihren Zusammenhang. Sie kennt und weiß Grenzen und Begrenzungen für Leib und Seele, für das Zeitliche und das, was darüber hinaus reicht. Ihre „martyria“ (Zeugnis) erzählt davon, wie in Werkstücken und Elementarteilen des Menschenlebens das unsagbare, überzeitliche Ganze sich einbringt und verwurzelt. Sie ist das Muster einer „animal naturaliter christiana“ – einer Lehrmeisterin für die Kirche(n) und die Christen im Besonderen. (Auch) darin ist Simone Weil wie geschaffen für unsere Zeit.

Eine Frau mit Erfahrung.
Simone Weil gehört zu jenen, die „etwas erfahren haben“, wie Karl Rahner (1904–84) bescheiden formuliert, ohne das es keine Frommen der Zukunft gibt². Und das klingt dann so: „Dass Gott den Menschen sucht, ist ein Gedanke von unergründlichem Glanz und Tiefsinn. Das sind Verfallszeiten, wo der Gedanke, dass der Mensch Gott suche, an seine Stelle tritt“³. Das ist Religionskritik vom Feinsten, erschlossen aus dem Innersten des christlichen Glaubens, aus der Begegnung mit dem gekreuzigten Auferstandenen.

Der Platz in der Welt.
Wer auf diese Weise in die Herzmitte des christlichen Glaubens gefunden hat, wo ist sein Platz in dieser Welt? „Wer das Schwert ergreift, wird durch das Schwert umkommen. Und wer das Schwert nicht ergreift (oder es fahren lässt) der wird am Kreuz umkommen.“ Am Fuß des Kreuzes also, mit der Mutter und den Freunden Jesu auszuharren, das ist der Ort, wo so jemand seinen Platz in dieser Welt einnimmt. In den Vor- und Zwischenräumen, der heranwachsenden Erlösung, in den Ein- und Ausgängen, in und an den Übergängen gilt es, aufmerksam zu sein und zu warten, auszuharren – oder gar: umzukommen im Wissen, dass der
Erlöser lebt. „Diese Einwilligung liebt Gott in uns“, nämlich „dass wir uns zurückziehen, um ihn hindurchzulassen.“ Nicht mehr und nicht weniger darin besteht das (selten realisierte) „Genie der Christen“.

An der Schwelle.
Ihre Vorbehalte der Kirche gegenüber blieben bis in ihre letzten Zeilen hinein konstant. „Die Arbeit des Verstandes und die Erleuchtungen der Liebe im Bereich des Denkens“ wollte sie in keiner Weise eingeschränkt wissen. Solcher „Tyrannei des Geistes“ hielt sie ihren einfachen, erfahrungsverwurzelten Herzensglauben entgegen, dass „die einzige Bedingung des Zugangs zu den Sakramenten darin besteht, den Mysterien von Trinität, Inkarnation, Erlösung, Eucharistie und dem Wesen des Neuen Testamentes als Offenbarung mit dem Herzen anzugehören.“ Wie die Bettler im Eingang der Kirche ihre Hand aufhalten, so verharrte sie auf der Schwelle des Eingangs zur Kirche in ihrer – sagen wir – geistgewirkten aber ungetauften Nachfolge. Trotzig, mutig und überzeugt folgte die herzensgute, hingebungsvoll widerspenstige Anarchistin dem Ruf Christi zu einer unerhört radikalen Katholizität, die sie in Tat und Wahrheit von der katholischen Kirche einforderte, die sie „immer schon“ in einer Art begnadeten Selbstverständlichkeit für„ihre“ Kirche hielt.

Stete Mahnung.
Ob Simone Weil die Taufe empfangen hat und wenn ja unter welchen Umständen und Gegebenheiten ist nach wie vor strittig. Dass sie sie – bewusst – nicht entschieden verlangte, aber geradezu maßlos ersehnte, ergibt sich aus der Logik ihres Lebens und Denkens. So bleibt sie auf der Schwelle: Stete Mahnung, bleibende Erinnerung an die tiefreichenden Wurzeln einer unausrottbaren, religiösen Dimension alles Lebens, zu jeder Zeit, in aller Welt. Eine Katholizität über Räume und Zeiten hinweg - noch nicht, aber doch schon.

(2) Karl Rahner, in: Schriften VII, 22

(3) Entscheidung zur Distanz. S. 58

Vorarlberger Kirchenblatt Nr. 42 vom 18. Oktober 2009