In allem Gottes Spuren lesen lernen

spuren im schneeSeid stets bereit ...," jedem Rede und Antwort zu stehen, der nach der Hoffnung fragt, die euch erfüllt." (1 Petr 3,15) Dieser Auftrag, den Petrus an die Ältesten der Gemeinde schreibt, begründet das Reflektieren und Vertiefen des Glaubens seit jeher. Unreflektierter Glaube oder unreflektiertes Hoffen drohen fanatisch, überheblich zu werden, weil man sich der Mühe des Argumentierens entzieht und vermeintliche Wahrheiten absolut setzt, weil die Auseinandersetzung mit der Gegenwart so ignoriert wird. Nur reflektiertes Glauben und Hoffen wird auf Dauer ernst genommen und steht im Dienste der Menschen, die heute nach dem Sinn des Daseins, nach dem Woher und Wohin fragen.

Mit Vernunft glauben

erde=scheibe_vernunft&glaubeAls ernstzunehmender Christ hat man die Aufgabe, nichts gegen die Vernunft zu glauben. Mit Bischof Reinhold Stecher sehe ich eine einzige Ausnahme: Die Auferstehung. Sie kann nicht erklärt werden, sie geht über Verstehen und Begreifen hinaus. Über alle anderen Fragen kann, darf und soll man diskutieren, auch zweifeln.
Die "stete Bereitschaft zur Rechenschaft" braucht es auch deshalb, weil der Glaube und das Hoffen in je anderen Lebensumständen und Zeitepochen neu formuliert werden müssen. Hoffen und Glauben brauchen in einer sich verändernden Welt wie der unseren eine glaubwürdige Sprache.

Gelassenheit lernen

tapies antoni_kompositionReflektierter Glaube setzt Bildung voraus. ‚Bildung' - das Wort wurde von Meister Eckhart (1260-1328) in die deutsche Sprache eingeführt - hat ihren tiefen Sinn im "Erlernen von Gelassenheit", gilt ihm als "Gottessache", "damit der Mensch Gott ähnlich werde".
Würde Bildung auf das Erlernen von Gelassenheit zielt, wären die heftig diskutierten Pisa-Kriterien relativiert oder sogar zu hinterfragen. Bildung wäre mehr als Fach- und/oder Datenwissen. Bildung stünde so verstanden auch nicht im Dienste von Karriere, Macht oder Gewinnmaximierung, sondern würde in all den Spannungen und Fragen des menschlichen Daseins helfen, sich zurecht zu finden. Man stelle sich das einmal vor: Gelassenheit als heutiges Bildungsziel!  Könnte die Rückbesinnung auf diesen Ursprung nicht hilfreich und heilsam sein? Und dann - Bildung als "Gottessache" - als Beitrag, "dass der Mensch Gott ähnlich werde". Nach Meister Eckhart ist Bildung etwas Göttliches. Etwas, das den Menschen in besonderer Weise ehrt und seine Gottebenbildlichkeit ausdrückt. Daraus ist zu folgern, dass es jedem Menschen zustehen muss, Zugang zur Bildung zu haben, ja mehr noch, dass Bildung und Ausbildung ein wichtiger Teil des menschlichen Lebens sein darf und soll.  

Bildung ist weit gefächert

Bregenz, Kloster Mehrerau, BibliothekDie Bildung hat in unserer Diözese eine gute Tradition und es wurde ihr seit Anbeginn viel Raum gegeben: Einladende Bildungshäuser, die kreativ Themen mit interessanten - manchmal umstrittenen - Referenten anbieten, die Bildung sehr umfassend verstehen, den Dialog mit der Kunst pflegen, sich ökologischen Frage stellen.
Wir haben Klöster, die unserem Land vielfältigste Impulse geben, das Katholische Bildungswerk im Land und in zahlreichen Gemeinden. Engagement und Lernbereitschaft stehen mannigfaltig für den Auftrag der Bildung und das Wollen, jedem Rechenschaft zu geben, der/die "nach der Hoffnung fragt, die euch erfüllt."

Im Dialog mit Mensch und Welt

dialogWir dürfen und wollen nicht darauf verzichten, im Dialog mit den Menschen und der Gesellschaft zu sein und zu bleiben. Diese Welt ist unsere Aufgabe, selbst und gerade wenn sie uns - die Christinnen und Christen - fordert, hinterfragt, kritisiert oder ihnen gar feindlich gesinnt ist. Wer sonst wenn nicht Glaubende, sollten unsere Zeit und Welt mit Zeichen tragfähiger Hoffnung erfüllen?
Diese Hoffnung tragen vorwiegend jene in die Welt, die die Spuren Gottes gerade in all den gegenwärtigen Umbrüchen und Veränderungen sehen und zu lesen vermögen und die sich gegen Zukunftsängste und alle möglichen Ausgrenzungstendenzen stellen. Unsere Welt ist nicht "gott-loser" geworden.
Aber: Auch Hoffnung will gelernt sein.

 

Der Beitrag ist in der Jubiläumsausgabe des Vorarlberger Kirchenblattes (Nr. 49 vom 8. Dez. 2008) erschienen.

Zum Autor:
Mag. Erich Baldauf, Pfarrer von Dornbirn- St. Christoph und geistlicher Assistent des Katholischen Bildungswerkes Vorarlberg