Auf das Fasten der Seele, darauf kommt es an, denn sie soll sich … füllen mit unerschöpflicher jubelnder Liebe.

Von der jüdischen Dichterin Else Lasker-Schüler wird erzählt, dass sie einst am Jom Kippur, also dem größten Fasttag im Judentum, in der Synagoge gesessen und dort in aller Öffentlichkeit Schokolade gegessen hätte. Vom Synagogendiener darauf ermahnend angesprochen, habe sie nur geantwortet: „Stören Sie meine Andacht nicht!“ Nicht mit dem Magen wollte sie fasten, sondern vor allem in der Seele Platz machen für Gott. Sie schreibt: „Platzmachen für Gott. Auf das Fasten der Seele, darauf kommt es an, denn sie soll sich … füllen mit unerschöpflicher jubelnder Liebe.“ Dieses Platzmachen für Gott bezeichnet für sie Inspiration, das andächtig lauschende Sich-Hingeben an seinen Engel.

Platz machen – wie geht das?

Wie also kann ich dem Göttlichen in meinem Leben Raum geben? Wenn Else Lasker-Schüler vom Fasten der Seele spricht, weist sie uns ein Stück des Weges: Es gilt, all das loszulassen, beiseite zu räumen, was den Blick auf das Eigentliche, das Echte, das Bleibende verstellt. Das kann ein materielles Zuviel sein: zu viel Essen, zu viel Alkohol, zu viel Konsum, zu viel Unnötiges, zu viel Luxus, aber auch: zu viel Arbeit, zu viel Stress, zu viele Termine. Wir leben heute in Westeuropa (und ja: auch hier in Vorarlberg) in einer Ära, wo viele von vielem eigentlich zuviel haben. Simplify! hieß es deshalb eine Zeit lang in den Ratgeberecken vieler Buchgeschäfte, und heute verweisen Bewegungen wie clean eating auf ein wachsendes Bewusstsein vieler Menschen, dass nicht alles, was wir haben und konsumieren können, unserem Leib, unserer Seele und unserer Mitwelt gut tut – im Gegenteil! Die Fastenzeit kann eine Gelegenheit sein, bewusst Altes, Überflüssiges, das die Lebendigkeit der Seele zu ersticken droht, loszulassen. So entsteht Raum für Neues.

Sich der Leere anvertrauen

Im unverzweckten Dasein, im Hineinlauschen in die Leere, in die Stille, eröffnet sich die Tiefendimension des Daseins. Das lehrten bereits die deutschen Mystiker: Meister Eckhart weist darauf hin, dass jedem Erfüllt-Werden notwendiger Weise ein Leer-Werden vorausgeht. Und Angelus Silesius lädt uns ein, innezuhalten, still zu werden, wenn wir beständiges Glück suchen: „Halt an, wo läufst du hin, der Himmel ist in dir: Suchst du Gott anderswo, du fehlst ihn für und für.“ Platz machen für Gott kann aber auch bedeuten, lieb gewonnene Ideen, Wünsche, Vorstellungen loszulassen. Zum Beispiel die Vorstellung, welche Bedingungen erfüllt sein müssten, damit ich endlich glücklich und zufrieden sein könnte. Oder die Vorstellung, wie Gott unsere Bitten beantworten und auf das himmelschreiende Unrecht in der Welt reagieren müsste. Ich glaube die Vorstellungen von Gott verstellen uns oft die Sicht und verhindern damit eine wirkliche Begegnung mit diesem unaussprechlichen Geheimnis unseres Lebens. Ich merke es ja an mir selber: Noch immer rede ich in meinen Gebeten zu viel und höre zu wenig … Auch hier geht es also darum, Platz zu machen, (scheinbare) Leere auszuhalten.

Ein Gott, der selbst Platz macht …

Dabei macht Gott selbst es uns vor. In der jüdischen Kabbala gibt es dafür das schöne Bild vom Zimzum: Gott zieht sich zurück und schafft so erst den Raum für die Schöpfung. Ohne dieses Platzmachen Gottes wäre die Existenz des Weltalls gar nicht möglich gewesen. Auch in der christlichen Tradition kennen wir dieses Platzmachen Gottes und nennen es Kenosis, was soviel wie „Leerwerden“ bedeutet: Im Brief an die Gemeinde von Philippi beschreibt Paulus Christus als den, der nicht an seiner Göttlichkeit festgehalten sondern sich ganz leer gemacht hat. In der Person Jesu begegnet uns Gott als der, der sich nicht aufdrängt oder aufzwingt, sondern frei lässt und frei macht. Für Simone Weil war gerade der Atheismus ein Hinweis auf diese höchste freilassende Liebe Gottes, die sich dort realisiert, wo der Geliebte nicht einmal um den Liebenden weiß.

Dem anderen Platz machen

Bedeutet an einen auf diese Weise freilassenden, Raum gebenden Gott zu glauben dann nicht auch, selbst anderen Platz zu machen? Den Fremden an den Grenzen der EU, aber auch den/dem Fremden unter uns? Bedeutet es nicht, auch in Gesprächen anderen Raum zu geben, achtsam hinzuhören, statt immer nur selbst reden zu wollen? Und schließlich: Bedeutet es nicht, durch eine Reduktion des eigenen Konsums, des eigenen ökologischen Fußabdrucks Platz zu machen für die Menschen weniger privilegierter Regionen und zukünftiger Generationen, dass auch sie genügend Raum zum Leben und Atmen haben?

Petra Steinmair-Pösel
aus : Bregenzer Pfarrblatt 03/2015